piwik no script img

CDU-MdB Patzelt über Flüchtlinge„Anlass genug, um Hallo zu sagen“

Der Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt lässt zwei Flüchtlinge bei sich zu Hause wohnen. Dafür bekommt er Hassmails.

Alle unter einem Dach: Bundestagsabgeordneter Martin Patzelt mit seinen neuesten Mitbewohnern. Foto: dpa
Juliane Fiegler
Interview von Juliane Fiegler

taz: Was denken Sie, was Ihnen mehr Medienanfragen beschert: dass Sie zwei Flüchtlinge bei sich wohnen lassen oder dass Sie dafür Hass-Mails und Morddrohungen bekommen?

Martin Patzelt: Ich denke mal, dass ein Politiker Fremde in seinem privaten Haus wohnen lässt und ihnen dort auch WG-artig Anschluss ans Familienleben gewährt, war die große Geschichte. Durch die Hassmails ist es dann noch mal zusätzlich aufgeflammt.

Haben Sie sich von Anfang an auf solche Reaktionen eingestellt?

Wir hören dann immer von der einen Schlägerei oder Messerstecherei und dann wird gesagt: So sind die!

Na ja, wie soll ich mich auf so was einstellen? Ich bin seit der Wende in der Politik, kenne politische Bewegungen von rechts und links. Ich überbewerte so etwas nicht. Wenn ich Zeit hätte, würde ich auf alle E-Mails antworten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mehr bringt, mit Menschen zu reden, anstatt sie in rechts oder links, schwarz oder weiß, und so weiter zu sortieren.

Wissen Sie, woher die Mails kommen? Von besorgten Bewohnern aus Ihrem Wohnort?

Nein, die Menschen in Briesen oder meinem Wahlkreis sagen mir ihre Meinung über mich meistens persönlich. Vor mehreren Monaten habe ich da auch so was gehört wie: „Wir werden Sie nie wieder wählen.“ Mittlerweile hat sich einiges verändert. Das stärkt meinen Optimismus, dass es etwas bringt, Flüchtlinge aus der Anonymität der großen Gruppe herauszuholen und ihnen Namen und Gesichter zu geben. Ansonsten kann ich nicht nachverfolgen, woher die E-Mails kommen. Ein paar schreiben aber ihre Adresse dazu, was mir Sorgen macht, weil das zeigt, dass sie sich mit ihrer Meinung immer sicherer fühlen.

Haben Sie denn Angst und irgendwas unternommen?

Nein. Angst habe ich nur davor, dass die allgemeine Stimmung im Land wirklich kippen könnte.

Wer sind die beiden Flüchtlinge, die jetzt in Ihrem Haus wohnen?

Die beiden jungen Männer, der 19-jährige Haben und der 24-jährige Awet, kommen aus Eritrea. Kennengelernt haben wir sie schon vor Monaten in unserer Kirche. Seit etwa eineinhalb Monaten wohnen sie jetzt mit unserem ältesten Sohn und unserem Neffen in einer WG über uns. Es ist weniger spektakulär, als man denkt. Ich muss und will mich ja auch nicht dauernd um sie kümmern – das sind erwachsene Menschen, die arbeiten gehen, Deutschunterricht nehmen, Bekanntschaften schließen. Ich habe ihnen nur ein paar Wege gebaut, auf denen sie jetzt gehen können.

Und wie gehen Haben und Awet damit um, dass Sie Hass- und Drohmails bekommen?

Ich habe ihnen nichts davon erzählt, weil es mir das einfach nicht wert ist. Aber die beiden haben selbst im Internet darüber gelesen. Awet hat mich gefragt, ob es stimmt, dass ich bedroht werde. Ich habe ihn gefragt, ob er Angst hat, und ihm versichert, dass er keine haben muss. Awet hat aber geantwortet: „Ich habe Angst wegen dir! Dass dir was passiert.“ Das hat mich schon berührt. Es zeigt ja auch, dass da eine Beziehung gewachsen ist.

Wie stark hat Ihnen Ihr Status als Bundestagsabgeordneter bei der Suche nach Praktikumsstellen für Awet und Haben geholfen?

Im Interview: 

68, leitete ab 1972 ein Kinder- und Jugendheim in Calbe (Saale). Politisch aktiv wurde Patzelt erst nach der Wende. Seit 2013 sitzt er als CDU-Abgeordneter für den Wahlkreis Oder-Spree/Frankfurt (Oder) im Bundestag.

Schon viel, glaube ich. Aber das ist in meinen Augen das Wichtigste: Nur durch eine Arbeit kriegt man sie vom Heimalltag weg. Wir hören ja immer nur von der einen Schlägerei oder Messerstecherei und dann wird gesagt: „So sind die!“ Ich würde mal gerne sehen, wie wir Deutsche unter solchen Bedingungen zurechtkämen – ohne zu wissen, was die Zukunft bringt, mit Fremden zusammen, mit denen man sanitäre Einrichtungen und Küche teilen muss. Das ist doch nachvollziehbar, dass das schwer ist. Deshalb bin ich gegen Gemeinschaftsunterkünfte und für privaten Wohnraum für Flüchtlinge.

Nur wenige Menschen können Flüchtlingen Praktika verschaffen. Was ist bei der Hilfe für Flüchtlinge aus Ihrer Sicht das Wichtigste?

Den Blick auf die Menschen zu richten und zu sehen, dass sie in Not sind. Das nimmt man zum einen durch die Medien wahr, zum anderen kann man aber auch mal in seiner Nähe gucken. Wenn man sich bewusst ansieht, wie Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften leben, drängt sich von selbst die Frage auf, warum wir andere Menschen so leben lassen. Das ist schon Anlass genug, um wenigstens mal hinzugehen und „Hallo“ zu sagen. Bis zur Aufnahme im eigenen Haus ist es dann noch ein weiter Weg. Dazwischen findet jeder das Richtige für sich.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Über den Hass und die Wut gegen die Flüchtlinge muss sich doch wirklich niemand mehr wundern.

    Was ist hier denn von einer korrupten Politikerelite gemacht worden? Mit Hartz IV sind in bitterer Armut Millionen Menschen den Tafeln vor die Füße geworfen worden. Von Vermittlung selbst von hochqualifizierten Fachkräften, vor allem wenn sie älter sind, kann durch die Jobcenter keine Rede sein. Gleichzeitig wurden für die Betroffenen keinerlei Rentenbeiträge abgeführt und obendrein lässt man die Betroffenen durch die Jobcenter mit 63 mit massiven Abschlägen entsprechend der eingeführten Rente mit 67 zwangsweise verrenten. Also nach Hartz IV, ab in dauerhafte Altersarmut. Muss man sich dann noch wundern, wenn denn Flüchtlingen massive Ablehnung entgegen schlägt?

  • nzuli sana (Kishualei: sehr schön!).

     

    Herr Platzelts Mitbewohner sind aus Eritrea.

    Wichtig ist die Thematisierung der Lage in Eritrea: Hauptfluchtgrund ist die Einziehung zur Armee- und zum Arbeitsdienst, die ab dem 17. Lj lebenslang möglich ist und unbefristet werden kann. V.a. können Frauen wie Männer in Arbeitslagern weit von ihren Familien entfernt landen, bei Verfehlungen.

    Die Bespitzelung durch das Afewerki-Regime geht bis ins Ausland, sie verlangen "Emigrantensteuer" und beeinflussen Dolmetscher bei den Asylantragsanhörungen.

    Herr Platzelt, wirken Sie darauf hin, dass den Menschen aus Eritrea geglaubt wird!

  • Hut ab vor Herrn Patzelt, der wohl wissen konnte, dass er sich damit nicht nur Freunde macht. Eigentlich hat er aber ja gar nix gemacht, außer ein Wohnung an eine WG zu vermieten. Schade, dass das so was besonderes ist.