: Pensionierte sollen an die Tafel
Flüchtlingshilfe (I) Aus dem Ruhestand ins Klassenzimmer: Weil es immer mehr Kinder zu unterrichten gibt, wird in Niedersachsen der Ruf nach dem Einsatz ehemaliger Deutschlehrer laut. Das Kultusministerium verweist auf ehrenamtliche Initiativen
von Laurin Meyer
Aufgrund der wachsenden Zahl schulpflichtiger Flüchtlingskinder sollen pensionierte Lehrer zurück in den Schuldienst geholt werden – das fordern niedersächsische Behörden und Verbände. „Pädagogen aus dem Ruhestand zurückzuholen, wäre ein gutes Mittel, um den gestiegenen Bedarf an Schulangeboten zu decken“, findet Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Niedersachsen.
Weber beklagt, dass die Flüchtlinge bislang stark auf die ehrenamtliche Tätigkeit der Initiativen vor Ort angewiesen sind. „Die können jetzt nicht auch noch die Aufgabe übernehmen, Kinder zu beschulen“, sagt er. Hier sei das Kultusministerium verantwortlich.
Im niedersächsischen Gifhorn konnte schon vor den Sommerferien der Sprachunterricht nicht im nötigen Umfang erteilt werden, weil es an Lehrern mangelte.
Pensionierte Lehrkräfte, die sich in der Sprachförderung für Flüchtlingskinder in Schulen engagieren wollen, seien herzlich willkommen, heißt es aus dem Kultusministerium. Gezielt anwerben will sie die Behörde allerdings nicht. „Die Schulen vor Ort wissen am besten, ob ein Bedarf besteht und wen sie dafür ansprechen können“, sagt Susanne Schrammar, Sprecherin des niedersächsischen Kultusministeriums.
Ihr Ressort setze daher auf den direkten Kontakt zwischen den Schulen und Lehrkräften. Über die Landesschulbehörde könnten jene Verträge mit pensionierten Lehrkräften abschließen. Diese arbeiten dann nebenamtlich.
Die Landesregierung rechnet damit, dass etwa 30 bis 40 Prozent der Flüchtlinge im schulpflichtigen Alter sind. Dem Vorsitzenden des niedersächsischen Philologenverbandes, Horst Audritz, genügt diese Information nicht. „Es ist völlig unklar, wie groß der Bedarf an zusätzlichen Lehrern ist“, kritisiert er. Es fehlten genaue Zahlen vom Kultusministerium. Die Schulen könnten deshalb häufig nur kurzfristig reagieren.
„Wir können die Flüchtlingskinder nicht einfach in die Klassen setzen und die Lehrer alleine lassen“, sagt der Philologen-Vertreter Audritz. Schließlich sollten sie nicht nur beaufsichtigt, sondern auch unterrichtet werden. Dafür sei mehr Geld nötig – auch um personell aufzustocken.
Das Kultusministerium verweist auf die breite Erfahrung in der Beschulung von Flüchtlingskindern. „Wir fangen in Niedersachsen nicht bei null an“, sagt Schrammar. Bereits im vergangenen Schuljahr erhielten die Schulen insgesamt rund 40.000 Lehrerstunden, die für Sprachförderung verwendet werden konnten. Auch die Zahl der Sprachlernklassen sei auf rund 240 gestiegen. Dies entspreche einer Vervierfachung gegenüber dem Schuljahr 2013/2014.
Bundesweit werden dieses Jahr rund 800.000 Flüchtlinge erwartet. Nach Schätzungen der Niedersächsischen Landesregierung sind zwischen 30 und 40 Prozent im schulpflichtigen Alter. Es sei zu erwarten, dass die Zahl der Flüchtlingskinder im Land stark zunehmen wird.
Allein im vergangenen Schulhalbjahr ist die Zahl der Sprachlernklassen in Niedersachsen auf rund 240 gestiegen, vier mal so viele wie im Schuljahr 2013/2014. Rund zehn Millionen Euro wurden dafür zur Verfügung gestellt.
Die Aufnahme von Flüchtlingskindern in niedersächsische Schulen ist durch einen Erlass vom Juli 2014 geregelt. Danach sind Kinder nicht-deutscher Herkunftssprache, die in Niedersachsen schulpflichtig werden, wie alle anderen auch in die örtlich zuständige Grundschule aufzunehmen. Wegen fehlender Sprachkenntnisse darf niemand vom Schulbesuch ausgeschlossen werden.
„Der Erlass liest sich gut“, sagt Weber. Diesen Rechtsanspruch müsse das Kultusministerium aber auch durchsetzen. Dazu seien weitere Gelder und Lehrkräfte nötig. „Der Markt ist nicht leergefegt“, behauptet er.
Weber fordert zudem, dass das Land auch 18- bis 25-Jährigen anbietet, eine Schule zu besuchen. „Investitionen in Kinder und Jugendliche sind ein langfristiger Gewinn“, sagt er. Als Steuerzahler würden sie dem Staat früher oder später Leistungen zurückbringen. „Es wären verschenkte Ressourcen, sie nur auf Hilfstätigkeiten zu verweisen“, findet Weber.
Auch in Bremen wächst der Bedarf an Schulangeboten für Flüchtlingskinder. Über Lösungsansätze will das Bildungsressort allerdings erst morgen diskutieren. Fest steht jedoch: Die im rot-grünen Koalitionsvertrag versprochenen 200 zusätzlichen Lehrer kommen zum Schuljahresbeginn noch nicht. „Im Haushaltsjahr 2016 werden zunächst 120 neue Stellen geschaffen“, sagt Holger Ilgner, Sprecher der Bremer Bildungsbehörde. Alle weiteren sollen schrittweise folgen.
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