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Gewalt im Vorfeld der Braunkohleproteste„Ich brech dir die Finger“

Die ProtestlerInnen machen den Ordnungskräften vor Beginn der Antibraunkohleproteste schwere Vorwürfe. Ein Anwalt spricht von Polizeistaatmethoden.

Blühende Landschaften: Garzweiler 2 Foto: dpa

Berlin taz | Drohungen, Schläge ins Gesicht, Verletzungen am Rücken: BraunkohlegegnerInnen machen der Polizei im Rheinland schwere Vorwürfe. Bei der Anreise zu den geplanten „Ende Gelände“-Protesten am Wochenende waren sechs AktivistinInnen in Niederaußem in der Nähe von Köln von der Polizei angehalten und später aufs Revier gebracht worden.

Laut einer der vier Frauen im Auto, die Hannah genannt werden will, sollen die PolizistInnen dabei aggressiv aufgetreten sein. Nachdem sie die Insassen nach eigener Aussage als „Kohleaktivisten“ erkannt hatten, forderten sie nicht nur die Papiere des Fahrers, sondern auch die der anderen.

Eine Überprüfung von MitfahrerInnen dürfe es nicht ohne triftigen Grund geben, sagt Rechtsanwalt Christian Mertens, der die AktivistInnen vertritt. Die Polizei müsse einen konkreten Verdacht haben, dass sie in der Vergangenheit in eine Straftat verwickelt waren oder in naher Zukunft eine begehen werden. Der Grund für den Verdacht müsse den Betroffenen dargelegt werden, sonst seien sie nicht dazu verpflichtet, der Bitte nachzukommen.

„Wir wollten halt wissen, warum wir uns ausweisen sollen“, sagt Hannah. „Bis auf den Fahrer hatte niemand von uns seinen Pass dabei.“ Eine Begründung hätten die PolizistInnen jedoch auch auf Nachfragen nicht geliefert. Hannah zufolge sollen die fünf MitfahrerInnen gewaltsam in einen bestellten Gefangenentransporter gezerrt worden sein, wobei zwei von ihnen verletzt wurden – der einzige Mann durch Schläge an den Kopf, Hannah wurde am Rücken verletzt, weil sie über den Boden geschleift worden sei.

Das Auto sei mit der Begründung beschlagnahmt worden, dass darin zwei Kanister mit verdächtigen Flüssigkeiten gewesen seien, die überprüft werden müssten. Der Fahrer wurde ohne Mobiltelefon zurückgelassen und musste in die nächste Ortschaft laufen. Bei der Flüssigkeit habe es sich um Wasser gehandelt, sagt Hannah. Die abtransportierten AktivistInnen hätten die Nacht in Handschellen in Einzelzellen verbracht. Aktiven Widerstand hätten sie zu keinem Zeitpunkt geleistet. Letzteres bestätigt auch die Polizei.

Staatsschutz übernimmt den Fall

Trotzdem sollen die Beamten laut Hannah auch am nächsten Tag aggressiv vorgegangen sein. Die Frauen seien einzeln von mehreren PolizistInnen in einen Raum getragen worden, wo sie von überwiegend männlichen Beamten fixiert wurden, um ihre Fingerabdrücke zu nehmen. „Ich brech dir die Finger, das ist mir scheißegal“, soll einer der Polizisten zu Hannah gesagt haben.

Inzwischen hat der Staatsschutz in Köln den Fall übernommen. Warum, darüber rätselt auch Anwalt Mertens. Der Staatsschutz werde nur bei Verdacht auf politisch motivierte Verbrechen eingeschaltet. Bislang gebe es aber noch keine Anzeige der Polizei gegen die fünf KohleaktivistInnen.

Ein Pressesprecher der Polizei begründete das Vorgehen seiner KollegInnen bei der Verkehrskontrolle damit, dass im Auto der AktivistInnen „verdächtige Gegenstände“ gewesen seien, die „den Eindruck erweckt haben, dass die Insassen eine Straftat begehen wollten“. Die Überprüfung ihrer Identitäten sei daher allein „im Rahmen der Gefahrenabwehr geschehen“. Welche Gegenstände das Misstrauen der Beamten erweckt haben, konnte der Sprecher nicht sagen.

Von einem beschlagnahmten Auto wusste er nichts. „Es geht aus der Schrift über den Fall nicht hervor, dass da was mit einem Auto war. Auch die Schläge kann ich nicht bestätigen.“

Für Anwalt Mertens ist das Geschehen kein Einzelfall. Wenn sich die Situation so zugetragen habe, wie Hannah berichtet, verstoße das Vorgehen der PolizistInnen gegen das Gesetz. „Wenn der Grund eines polizeilichen Zugriffs nicht genannt wird und trotz Widerstand durchgeführt wird, befinden wir uns in einem klassischen Polizeistaat“, meint Mertens. Er habe in diesem Jahr schon mehrere KlientInnen gehabt, die gegen erlebte Polizeigewalt vorgehen wollten. Die meisten Verfahren wurden eingestellt.

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4 Kommentare

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  • Hier drüben verprügeln und inhaftieren die Bullizisten Menschen, die Wasser im Auto haben und einen friedlichen Protest gegen Ressourcenverschwendung anstreben (und kommt mir NICHT mit Gesetz ist Gesetz und Hausfriedensbruch und so Gequatsche - was die Energieriesen weltweit in dieser Hinsicht am Stecken kleben haben, reicht für drei Menschheiten nicht!) - und dort drüben in Sachsen geben sie den selben PolBeamtInnen keine Abwehrschilde gegen die Faschos, zu Festnahmen in Heidenau macht keiner Angaben, weil es keine gibt. Ich weiß genau, dass das eben so ist, dass gerade auf den "linken" Demos immer gerne die besonders dümlichen, gewaltbereiten Staatsbeamten antreten dürfen. Die, die mit "Befehl ist Befehl" kein Problem haben. Die, denen man das Denken schon auf dem Schulhof ausgetrieben hat und die später dann selber mal mobben wollten und deshalb zum Trachtenverein Grünwald gegangen sind. Aber auch wenn man das weiß, es machts halt nicht besser. Bäh, Deutschland, echt!

     

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  • Offensichtlich muss es in den Reihen der Polizei Leute geben, die vollkommen skrupellos und hasserfüllt sind (eine Kleinigkeit – betrachtet man Belastung und Bezahlung).

     

    Und die man dann womöglich für solche Einsätze in petto hat.

     

    Diese Menschen scheinen den Bezug zur Realität verloren zu haben.

     

    Nicht die Gesellschaft wird durch sie geschützt, sondern die Gesellschaft muss vor solchen Leuten geschützt werden.

     

    Das passt entsetzlich wenig in das ansonsten eher durch Deeskalation geprägte Auftreten der Schutzpolizei.

  • Muß wohl die gelebte 'Transatlantische Wertegemeinschaft' sein . Noch mal Glück gehabt , ihr taffen Mädels von der Anti-Kohle-Front ! In den USA wären wohl paar Magazine auf euch geleert worden .

  • Übrigens war gestern Welterschöpfungstag. Also der Tag im Jahr, an dem rechnerisch die Ressourcen verbraucht sind, die während des ganzen Jahres regeneriert werden können. Dieses Jahr war der Welterschöpfungstag sechs Tage früher als im letzten Jahr.

     

    Ach, übrigens: Von der Menge, die rechnerisch jedem Menschen zustehen, damit am Ende des Jahres ausgeglichene Bilanz herrscht, verbraucht der Deutsche das Doppelte, der Sambier ein Drittel.

     

    Detlef Esslinger schreibt heute in der SZ ein paar interessante Zeilen dazu.