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Flüchtlingshilfe in DeutschlandEin Sofa ist gut, Respekt ist besser

Das eigene Sofa einem Flüchtling anzubieten, ist wichtig. Noch wichtiger ist aber, dass Flüchtlinge selbst entscheiden, was sie wollen.

Juli 2015: Flüchtling Madina mit drei kleinen Kindern in Brandenburg an der Havel. Foto: dpa

Ein berühmter Schauspieler baut ein Flüchtlingsheim und legt sich mit allen an, die das für eine schlechte Idee halten. Ganz normale Leute rechtfertigen sich dafür, dass sie in ihrer Wohnung noch keinen Flüchtling aufgenommen haben. Pensionierte deutsche Botschafter begleiten junge Syrer zu Sozialämtern.

Studenten tingeln über Sommerfestivals und versuchen eine fünfstellige Summe Geld zu sammeln, um eine Wohnung für Flüchtlinge zu bauen. Und auch der jährlich von der taz vergebene Preis für zivilgesellschaftliches Engagement ist ein kleiner Seismograf für das Geschehen in diesem Land: Erstmals waren in der laufenden Runde fast die Hälfte aller Bewerber Flüchtlingsinitiativen.

Wer sich vor zehn Jahren mit Flüchtlingspolitik befasste, kannte fast alle, die in diesem Bereich aktiv waren. Heute ist es kaum möglich, auch nur alle Initiativen in manchem Berliner Stadtteil zu überblicken. Der Protest gegen Rassismus und für Flüchtlingsrechte hat fast allen sozialen Bewegungen den Rang abgelaufen. Flüchtlingssolidarität ist mancherorts geradezu Popkultur geworden.

Das ist eine angemessene Antwort auf die Nazis und ihre Bürgerfreunde. Auf Freital. Auf die Mordfantasien in den sozialen Netzwerken. Auf die abgefeuerten Gewehrkugeln und die gelegten Brandsätze. Auf die Zeltstädte, die fast so aussehen wie die, aus denen die Menschen geflohen sind.

Die Aktivitäten von immer mehr wohlmeinenden Privatpersonen, bewegten Kunstschaffenden oder eigenwilligen Start-Ups haben aber auch zur Folge, dass die Grenzen zwischen Solidarität und Paternalismus, zwischen Hilfsbereitschaft und Eigennutz, zwischen Integration und Instrumentalisierung immer mehr verschwimmen.

Ist jede Hilfe automatisch gut?

Ist die Zivilgesellschaft nicht geradezu gefordert, das zu leisten, was der Staat offensichtlich nicht hinkriegt, wenn er Zeltlager wie in Dresden baut? Wie aber soll man helfen? Wer legt das fest? Kann, darf man einfach so eine jesidische Familie, einen gefolterten Tschetschenen auf dem heimischen Dachboden oder dem WG-Sofa unterbringen? Ist ein Hilfsangebot automatisch gut, wenn es von denen angenommen wird, für die es gedacht ist?

Flüchtlinge waren und sind Objekte der Verwaltung in der Ausländerbürokratie. Nun werden sie zunehmend Objekte sehr unterschiedlicher Solidarität. Anders als in der Verwaltung aber gibt es dafür keine Richtlinien und keine Kontrolle. Und manchmal scheint es fast, als spreche aus lauter Erleichterung darüber, dass nicht alle Deutschen Pegida-Fans sind, keiner über die Risiken dieser Fürsorglichkeit.

Doch die gibt es. Es besteht eine fundamentale Asymmetrie zwischen denen, die Hilfe anbieten können, und denen, die sie brauchen. Das spricht nicht dagegen zu helfen. Flüchtlinge sind – meist jedenfalls – keine Kinder, die man vor allen Eventualitäten schützen muss. Die meisten haben wesentlich Schlimmeres erlebt als Paternalismus.

Frei entscheiden dürfen

Die Gefahr aber besteht, die Flüchtlinge als die zu sehen, die immer der Fürsorge bedürfen – und sie so in dieser Lage zu halten. Sich von bloßem Mitleid leiten zu lassen. Sich an der eigenen Güte, gar der eigenen Aufopferung zu berauschen und den moralischen Distinktionsgewinn als Identitätsbaustein auszubeuten. Nicht mehr zu sehen, woher die Menschen kommen und warum. Nicht darauf zu achten, ob sie Gelegenheit bekommen, selbst zu sprechen und sich selbst zu repräsentieren – in Gremien, in Medien, gegenüber den Institutionen. Und es ihnen nicht selbst zu überlassen, wie sie ihre politischen Auseinandersetzungen führen.

taz. am Wochenende

Flüchtlinge kommen nach Deutschland und sind nicht bei allen willkommen. Doch viele BürgerInnen wollen helfen und wissen nicht, wie. In der taz. am Wochenende vom 15./16. August 2015 haben wir eine vierseitige Handreichung erarbeitet. Weiterhin: Fußball ist in Zeiten von Pep Guardiola und Joachim Löw eine Angelegenheit der Berechnung geworden. Wir führen ein Gespräch mit dem Philosophen Wolfram Eilenberger über die Schönheit des Unerklärlichen. Zudem: Auch in Israel ist es derzeit vor allem heiß. Der Fotograf Daniel Tchetchik hat den Sommer-Alltag festgehalten. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Nur zwei Dinge schützen gegen diese Fallen: Reflexion aufseiten der Helfer und Autonomie aufseiten der Flüchtlinge.

Als Faustregel könnte gelten: Je stärker die Grundbedürfnisse gesichert sind, desto weniger Probleme gibt es. Wenn Flüchtlinge ausreichende Sozialleistungen bekommen, ein Dach über dem Kopf haben und vor Abschiebung geschützt sind, können sie leidlich frei entscheiden, ob sie sich zum Amt begleiten oder für ein Theaterstück casten lassen, zum Deutschkurs der Heim-Anwohner gehen oder das aufgemöbelte Kinderfahrrad als Geschenk annehmen wollen.

Hilfe, die für Gleichberechtigung sorgt

Die Sache wird umso schwieriger, je weniger die Grundbedürfnisse gesichert sind. Das gilt am stärksten für Menschen ohne Papiere, aber zunehmend auch für die Bewohner von Erstaufnahmeeinrichtungen, für alle, deren Aufenthalt gefährdet ist, und für die, die ihre Rechte nicht kennen. Sie sind besonders auf Unterstützung angewiesen: Zugang zu Ärzten, Anwälten, Dolmetschern, Beratungsstellen, Spenden, Übernachtungsmöglichkeiten, persönliche Kontakte.

Gleichzeitig ist ihre Freiheit, Angebote abzulehnen, eingeschränkt. Wird jemand sich einem Film- oder Seminarprojekt verweigern, dem gesagt wird, „Öffentlichkeit“ sei seine einzige Chance, einer Abschiebung zu entgehen? Wird jemand sich gegen zweideutige Bemerkungen oder sonstige Übergriffe seiner Helfer wehren, wenn er nicht weiß, an wen er sich sonst wenden soll?

Die Helfer müssen sich dieser Ungleichheit bewusst sein. Die beste Hilfe ist die, die für gleiche Rechte sorgt. Für deren Umsetzung ist der Staat zuständig. Dazu kann man ihn drängen. Die zweitbeste Hilfe ist die, die bis dahin einspringt – und sich gleichzeitig überflüssig zu machen versucht.

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5 Kommentare

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  • Der Beitrag spricht etwas Wichtiges an: Selbstreflexion des eigenen Handelns. Warum tue ich etwas? Warum helfe ich? Warum helfe ich nicht? Reflektiert mit einer Situation - jeder Situation - umzugehen ist stets geraten. Jeder Impuls Reflexion zu fördern ist positiv. ABER: Es ist schwierig sich in einer Situation, in der jede helfende Hand nötig und willkommen ist, an der alten philosophischen Diskussion über Handlungsmotivation aufzuhängen. Besonders als meinungsbildendes Medium. Den geflüchteten Menschen schnellst möglich zur Unabhängigkeit zu verhelfen ist ohne Frage eine Schlüsselaufgabe. Doch ist es wichtig, ob jemand, der Flüchtlingen hilft dadurch selber eine Befriedigung verspürt? Ist es nicht viel wichtiger, dass unbeachtet der individuellen Motivation, Menschen in einer Notsituation eine Alternative zu einem überforderten öffentlichen System geboten wird. Wenn ein Gedanke im Mainstream verankert wird, hat es zwangsläufig zur Folge, dass nichtmehr alle seine Anhänger die gleiche Reflexion an den Tag legen, wie die Pioniere des Gedankens. Und auch wenn unreflektierter Gehorsam stets kritisch zu sehen ist, muss doch das Positive an dieser Entwicklung in Flüchtlingsfragen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen: Menschen spüren eine Verantwortung und eine Verpflichtung sich zu engagieren. Aber diese gespürte Verantwortung ist noch ein zarter Keim, eine erste Reaktion auf eine für viele unerwartete und damatische Situation. Die Motivation des Verantwortungsgefühls zu kritisieren birgt die Gefahr, den Keim zu ersticken, statt durch Lob und ja, vielleicht auch teils unreflektiertem Selbstlob, den Keim zu einer feststehenden Pflanze heranwachsen zu lassen.

    • @Lou:

      Ihre Reaktion auf diesen Artikel trifft ihn doch gar nicht. Es geht vor allem darum, dass die Wahrung von Grundrechten der Migranten politisch abzusichern ist. Mehr und mehr Ehrenamtliche geben das Signal, dass eine menschenwürdige Versorgung gar nicht durch den Staat sicherzustellen ist, der übrigens zehnmal soviel Geld für die Bankerrettung hatte. Ich will gerne Flüchtlinge willkommen heißen, möglicherweise auch aus moralischer Distinktion, aber ich will auch, dass sie nicht von meinem guten oder schlechten Willen abhängig sind, sondern Rechte haben. Ich will nicht, dass der soziale Bereich aus der Politik rausfällt, weil es da ja soviel bürgerliches Engagement gibt von der Tafel, der Arche bis zum Flüchtling auf dem heimischen Sofa, während Steuereinnahmen frei werden für den Erhalt Notleidender Banken und schrottreifer Ausstattung der Bundeswehr. Wer Flüchtlingen helfen will, sollte immer daran denken, dass er nicht Rechtsansprüche durch Gnade unterminiert.

    • @Lou:

      @Lou

      Vollkommen richtig.

      Es wird sehr subtil versucht, den Menschen, die helfen wollen zu unterstellen, dass sie einen Eigenzweck damit verfolgen. Auch eine Möglichkeit, immer nur nach dem Staat zu rufen, wohlwissend, dass dieser überfordert und nicht in der Lage ist zu helfen.

      Ich glaube, dass jeder Flüchtling dankbar ist, wenn er/sie nicht in Massenlagern, sondern in kleinen und noch so beschaulichen Verhältnissen, bürgernah und freundlich empfangen wird. Der erste Schritt heißt nämlich, erstmal durchschnaufen! Sich von dem Horror der Flucht erholen zu können!

    • @Lou:

      Sie sollten für diesen Beitrag bezahlt werden, danke!

  • Sehr guter Kommentar!