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Kolumne German AngstDie Lust an der Grausamkeit

Sonja Vogel
Kolumne
von Sonja Vogel

Das von Merkel gestreichelte Flüchtlingsmädchen darf bleiben – weil es uns nützt. Empathie ist der Deutschen Sache nicht.

Frau Merkel unter „sympathischen“ Menschen. Foto: Bernd Wüstneck (dpa)

W ie schön. Die junge Palästinenserin, die sich von Angela Merkel hatte streicheln lassen müssen, darf wohl in Deutschland bleiben. Vielleicht kann sie vom reformierten Ausländerrecht profitieren, das gut integrierten AusländerInnen die Duldung ermöglicht.

Was eigentlich heißt: Deutschland wird von ihr profitieren. Die 14-Jährige nämlich ist ein „sympathisches“ (Merkel) „Flüchtlingsmädchen“ und kein „Kopftuchmädchen“ (Sarrazin).

Für die Masse bedeutet das neue Gesetz indes schnellere Abschiebung und Abschiebeknast. Willkommen ist hier nämlich nur, wer ordentlich ausgenutzt werden kann. Dann spart man sich hier die teure Ausbildung.

De Maizière ist das noch nicht genug, die Zahl der Asylsuchenden müsse „drastisch reduziert“ werden, sagte er. Und Seehofer? Will Bayern ganz dichtmachen. Wie angenehm, dass Orbán die Drecksarbeit erledigt und eine gigantische Mauer hochzieht, an der bald Zehntausende hängenbleiben, die nicht im Mittelmeer ersoffen sind.

Das passt wunderbar zu Merkels „Das Boot ist voll“-Rhetorik: Bleibt nämlich die Palästinenserin, kämen die Flüchtlinge aus dem Libanon, aus ganz Afrika. Und das wäre sehr schlimm, man käme nicht mehr nach mit dem Abfackeln der Unterkünfte.

„Germany’s Anger“

Jedenfalls konnte in diesem konkreten Fall wohl tatsächlich kaum jemand die menschenverachtende Asylpolitik nachvollziehen. Ausnahmsweise. Und so war das Streicheln auch eine Art Ablasshandel, ein pervertiertes Schuldeingeständnis.

Und Schuld ist hier ja ein Dauerbrenner. Die Deutschen selbst? Schuld sind immer die anderen. Das hat Tradition. Aktuell sind wir nicht an der griechischen Misere schuld, sondern als verhinderte Retter aktiv. Die standhaften, ehrlichen Deutschen versuchen den faulen, frechen Griechen mit ihren Erfahrungen zu helfen – Sie wissen schon, Wirtschaftswunder dank Schuldenschnitt! Auf keinem anderen Feld als der Ökonomie kann man so schamlos Ressentiments bestimmen lassen. Und trotzdem als kühler Stratege gelten.

Schulden sind eben nicht nur ein ökonomisches Phänomen, sondern Schlüssel der sozialen Beziehungen. Schon die Doppeldeutigkeit von Schuld und Schulden zeigt den moralischen Kern der Schäuble’schen Logik: Sie sind Schuldner, also sind sie schuldig.

International stieß die Wut der Austeritäts-Fundamentalisten eher auf Irritation. „Germany’s Anger“ nannte die New York Times jene zerstörerische Leidenschaft, getrieben vom Wunsch nach dem Grexit, der Vernichtung jeder symbolischen Opposition. German Anger eben.

Wie bei der Flüchtlingsabwehr bleibt am Ende nur die Lust an der Grausamkeit. Denn Schulden sind eine Form von Gewalt, die Enteignung von politischer Macht, von Teilhabe am Reichtum. Von der Zukunft. Die Schuldner bleiben nur insoweit „frei“, wie sie ihre Schulden bedienen sollen. Ein Machtverhältnis frei nach Foucault.

„Debt forgiveness“ jedenfalls, wie es im Englischen heißt, ist da undenkbar. Vergeben nämlich, was Empathie voraussetzt, ist der Deutschen Sache nicht. Das in die Armut gestürzte Griechenland ist der Beweis.

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Sonja Vogel
tazzwei-Redakteurin
Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.
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16 Kommentare

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  • "Die Lust an der Grausamkeit" bitte mal auf die buhrmestersche Hebebühne nehmen und inspizieren:

     

    Meine Einschätzung als gelernter Kfz-Mechaniker, fundamentaler Attributionsfehler:

     

    Wenn andere Fehler machen, dann ist das beabsichtigte Böswilligkeit, die eigenen Fehler werden als Pech oder Unglück lieber extern verortet.

  • "Willkommen ist hier nämlich nur, wer ordentlich ausgenutzt werden kann. Dann spart man sich hier die teure Ausbildung."

     

    So sparte schon die alte BRD Milliarden weil Millionen gut ausgebildeter Menschen aus der DDR kamen. Meine drei Chefs in einem pharmazeutischen Großkonzern im Ruhrgebiet kamen aus Dresden.

     

    Westdeutschland hat genommen und genommen. Und noch reichlich dazubekommen durch die Marshallhilfe der USA. Den Ostdeutschen wurde zusätzlich die Begleichung der Hauptkriegsschuld an die Sowjetunion aufgebürdet.

     

    Siehe dazu auch Siegfried Wenzel (Ost) über den Historiker Arno Peters (West):

     

    http://www.rosaluxemburgstiftung.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/150/150_wenzel.pdf

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wenn der Inhalt des Artikels nicht so entsetzlich traurig wäre, würde ich von wunderbaren Ausführungen sprechen. Treffend sind sie allemal.

     

    Doch - zur Gretchenfrage: was folgt daraus? Wie geht es weiter? Mit Griechenland? Mit den Flüchtlingen?

    Mit uns Deutschen?

     

    Von Tag zu Tag verdichtet sich mein Eindruck, dass es zwar jede Menge offene Fragen gibt, aber keine Antworten. Jedenfalls keine, mit denen ein mit Gewissen (aussterbender Begriff, geht bestimmt nicht mehr zu googeln) ausgestatteter Mensch gut leben könnte.

  • Die deutsche Sprache „ist Schuld“. Sie kennt nur Schuld und Schulden. Und Schäubles.

    Im Englischen gibt es „debt“ (Verbindlichkeit) und „guilt“ (Schuld). Kein vernünftiger Mensch im dortigen Sprachraum würde das synonym verwenden.

     

    „Ist Schuld“ habe ich zur Veranschaulichung absichtlich als falsche Gleichsetzung für „Ursache“ verwendet. Im Englischen würde niemand „guilt“ für „reason“ verwenden. Der schludrige deutsche Sprachgebrauch führt auch zu Verstandsreduzierungen und fehlender intellektueller Trennschärfe. Ist Schäuble wirklich Jurist? Oder ein Angstloch?

    • @lichtgestalt:

      Sehr guter Hinweis auf schludrigen Sprachgebrauch und in unterschiedlichen Sprachen anders angelegte Begrifflichkeiten.

      Interessant finde ich, dass folgende Wörter Kognaten sind, sich also aus dem selben Ursprungswort entwickelt haben: 'Geld' (dt.), 'guilt' (engl. = dt: Schuld), 'gæld' (dän. = dt: Schulden)...Entgelt, Vergeltung etc. (gibt's noch mehr?)

      Bringt so ein etymologischer Zusammenhang auch kulturelle bzw. sozial-psychologische Prägungen mit sich?

      • @Eric Manneschmidt:

        "Bringt so ein etymologischer Zusammenhang auch kulturelle bzw. sozial-psychologische Prägungen mit sich?.." Ich glaube, ja.

  • Schulden heißen Schulden, weil MAN die Rückzahlung schuldig bleibt. Und nun überlegen Sie mal: Wer ist MAN? Sind die, die die Schulden (übrigens: wofür?) aufgenommen haben, die selben Leute, die sie jetzt abzahlen sollen? Rentner? Alleinerziehende?Patienten? Studenten? Kinder? Haben diese Menschen deutsche U-Boote gekauft von Geld, das sie nicht hatten? Wenn ja, wer hat ihnen das erlaubt?

     

    Ihr MAN besitzt eine sehr gespaltene Persönlichkeit, finde ich. Die einzige Schuld, die DEN Griechen in ihre durchgelaufenen Schuhe geschoben werden kann, ist ja wohl die, dass sie die falschen Leute gewählt bzw. viel zu spät abgewählt haben. Aber diese Schuld teilen sie mit den Deutschen, die ihren Reichtum der Dummheit und der Gier anderer verdanken. Wobei die Griechen inzwischen versuchen, ihre politischen Schulden abzuzahlen. DIE Deutschen werden auch in 10 Jahren noch Merkel und Schäuble wählen. Die Gier ist eine Sucht, die schlecht zu therapieren ist. Man muss ja schließlich etwas hermachen, nicht wahr?

    • @mowgli:

      Da Sie einen Satz aus meinem Kommentar aufgreifen, fühle ich mich jetzt mal angesprochen. Dieses MAN hat ja mindestens zwei Ebenen - eine private und eine staatliche. Eine gespaltene Persönlichkeit ist allerdings etwas anderes als zwei (juristische) Personen.

      Die private Ebene ist relativ unkompliziert. Eine Person leiht sich von einer anderen Person Geld und schuldet damit dieser Person die Rückzahlung. Das ist eine Vereinbarung zwischen zwei Personen, die auch nur diese zwei Personen verpflichtet.

      Auf der staatlichen Ebene leihen ein (oder mehrere Staaten) einem anderen Staat Geld und damit schuldet dieser Staat den Geldgeberstaaten die Rückzahlung. Das ist schon eine weitaus komplexere Angelegenheit, bei der man mindestens vier Dinge sehr genau nachprüfen muss:

      1.) Woher kommt das Geld konkret?

      2.) Wohin geht das Geld konkret?

      3.) Wurden die Kredite auf der Geberseite durch die eigentlichen Gläubiger (Pkt. 1.) legitimiert?

      4.) Wurden die Kredite auf der Nehmerseite durch die eigentlichen Schuldner (Pkt. 2.) legitimiert?

       

      Genau das meinte ich mit meinem Schlusssatz: "Man wird sich eines fernen Tages noch sehr intensiv darüber unterhalten müssen, wer da jetzt eigentlich wem noch etwas schuldet."

  • Bravo,

    endlich mal ein Artikel, der die Tatsachen aufzeigt.

    Wie wäre es doch gut, so etwas würde auch mal in der BILD stehen, damit es auch von den rechten Dumpfbacken gelesen würde.

    Wie heisst es doch?

    Die Hoffnung stirbt zuletzt

  • Zumindest was die Kampagne gegen Griechenland angeht bräuchte es noch nicht einmal zwingend Empathie, sondern einfach nur minimalen ökonomischen Sachverstand.

    Aber der Hass ist auch da stärker, so scheint es.

    Lesenswert dazu ist "Von Grillen und Ameisen – Sozialpsychologische Aspekte des Griechenland-Bashings und der Sparpolitik" (wenngleich selbst nicht frei von platten Klischees): http://www.nachdenkseiten.de/?p=26801#more-26801

  • Was die Flüchtlingsproblematik angeht, stimme ich voll zu. Dem Exkurs über Schulden und Griechenland nur zum Teil. Es heißt doch deshalb 'Schulden', weil man die Rückzahlung des geliehenen Geldes 'schuldig' bleibt. Das ist keine Erfindung von Schäuble, oder den Deutschen. Das ist überall auf der Welt ganz genau so. Wenn man von einem "in Armut gestürzten Griechenland" spricht, muss man fairerweise auch dazu sagen, dass mindestens ein Drittel der Schulden Griechenlands schon beim Eintritt in die EU vorhanden waren, aber durch kreative Buchhaltung verschleiert wurden. Dafür ist Griechenland ganz allein verantwortlich. Anders sieht es mit der Austeritätspolitik aus, die man den Griechen aufgezwungen hat, als Bedingung für neue Kredite. Die überwachende Troika hat da "ganze Arbeit" geleistet und das Land nahezu völlig lahmgelegt. Weder Herr Schäuble, noch die übrigen Sparpolitiker in der Eu können volkswirtschaftlich so ahnungslos gewesen sein, dass sie ernsthaft geglaubt haben, man könne eine Volkswirtschaft durch eisernes Sparen auf der einen Seite und Zinsdienste auf der anderen Seite am Leben erhalten. Man wird sich eines fernen Tages noch sehr intensiv darüber unterhalten müssen, wer da jetzt eigentlich wem noch etwas schuldet.

    • @Rainer B.:

      "...vorhanden waren, aber durch kreative Buchhaltung verschleiert wurden. Dafür ist Griechenland ganz allein verantwortlich."

      Ganz so einfach ist das nicht. Wie sollten eher davon ausgehen, dass aus politischen Gründen eine auch nur einigermaßen ernsthafte Prüfung durch die EU-Administration unterblieben ist bzw. kritische Stimmen abgewürgt wurden.

      Genau wie später - ebenfalls aus politischen Gründen - wiederum gravierende Bewertungsfehler zu Ungunsten Griechenlands gemacht wurden, siehe z.B. http://norberthaering.de/de/27-german/news/400-bernegger#weiterlesen

      • @Eric Manneschmidt:

        Da haben Sie im Prinzip völlig recht, aber welche Regularien existieren denn, mit denen in der EU Gefälligkeiten oder schlampige Kontrollen sanktioniert werden könnten? Und von wem denn eigentlich? Muss man nicht ehrlicherweise feststellen, dass genau diese Praxis die EU und insbesondere auch das Mitgliedsland Deutschland bisher über Wasser gehalten hat?

  • Hervorragender Kommentar. Hätte gerne noch ein bißchen mehr ätzen dürfen.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      bißchen halbherzig.

      warum nicht endlich über schuld+schulden gegenüber Palästina reden?

      stattdessen zur entlastung auf Griechenland auszuweichen ... zeugt von german angst&anger.