Fauna in Griechenland: Hellas’ Tiere
Sie hat eine lange, ruhmreiche Geschichte: die Tragödie. Die griechische Tiertragödie dagegen wird stetig vergessen. Eine Handreichung.
Ihren Anfang nahm die Tragödie mit der griechischen Flotte: Homer besang sie noch, die fleißigen Holzfäller, die Arkadiens Wälder für den Schiffsbau vernichteten. 400 Jahre später erkannte Platon die Folgen: Humusschwund und Erosion. „Übrig geblieben sind nun im Vergleich zu einst nur die Knochen eines erkrankten Körpers, nachdem ringsum fortgeflossen ist, was vom Boden fett und weich war, und nur der dürre Körper des Landes übrig blieb“, beklagte er in seinem Fragment „Kritias“.
Mit mit den griechischen See-Eroberungen verschwanden also die Wälder. Und mit den Wäldern die Tiere.
Eigentlich verschwanden mit ihnen, glaubt man dem italienischen Religionshistoriker Francesco Carotta, sogar die Griechen selbst. Das liegt vor allem an der türkischen Vereinnahmung des Landes um 1460, doch für Carotta ist Griechenland noch heute türkisiert. Das zeigt sich an der Schafskultur. Denn die Griechen betrieben einst Rinderzucht, opferten ihren Göttern mitunter bis zu 5.000 Rinder auf einmal.
Die Schafzucht ist sozusagen die letzte Fruchtfolge eines ausgebeuteten Landes: Danach kommt dann nur noch Bauerwartungsland und Tourismus.
Griechische Landschildkröten
Bestandsaufnahme: An Tieren gibt es heute in Griechenland sehr viele Schafe, eine Menge Ziegen, einige wenige Esel, und ganz viele verwilderte Hunde und Katzen. Bis in die Siebzigerjahre konnte man in allen deutschen Tierhandlungen auch noch griechische Landschildkröten für ein paar Mark kaufen.
Elias Canetti berichtet, dass in England schon vor dem Ersten Weltkrieg alle Kinder eine griechische Landschildkröte hatten. Sie wurden zumeist als Kinderzimmerkompromiss eingesetzt: Die Kinder wollten unbedingt einen jungen Hund, die Eltern erlaubten ihnen dann gnädigerweise eine pflegeleichte Schildkröte. Die Folge: „Die Zerstörung ihrer angestammten griechischen Lebensräume und ihre Beliebtheit als Haustier haben den Schildkrötenbestand inzwischen stark gefährdet und Schutzmaßnahmen für ihren langfristigen Erhalt unabdingbar werden lassen“, schreibt eine Tierschutzorganisation.
Eine andere – griechische – behauptet hingegen: „Griechenland ist reich an Tierarten.“ Den Autoren fallen aber nur „Eidechsen, Bienen, Hummeln, Libellen und Heuschrecken“ ein, vor denen sie warnen: „Man muss sich daran gewöhnen, dass die Insekten in südlichen Ländern wesentlich größer sind als im Norden. Sie wirken mitunter schon ein wenig beängstigend.“
Im Gegensatz zu den 125 Schmetterlingsarten, die es noch geben soll – vor allem im berühmten Tal der Schmetterlinge auf Rhodos. Im Wasser sind ebenfalls, wie es heißt, „viele Tierarten zu Hause, was auch für die gute Wasserqualität spricht. Krebse, Einsiedlerkrebse und Fische flüchten, trotzdem ist Vorsicht angesagt, gerade wenn Seegras die Sicht versperrt. An Felsen und Steinen im Wasser sind oft Seeigel zu finden. Die Stacheln sind mörderisch.“ Wieder eine Warnung.
Wildkatzen, Luchse, Wölfe
Einschub: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es mit den Fischen in den griechischen Gewässern nicht mehr weit her ist. Ein Bekannter wurde dort im letzten Jahr dennoch oder deswegen von einer Muräne gebissen. Freude machte ihm dafür der Anblick zweier Delphine.
Aber bleiben wir an Land: In den Resten der Wälder Nordgriechenlands soll es angeblich noch einige Wildkatzen, Luchse, Wölfe und Marder geben. Im Westen, entlang der albanischen Grenze, Braunbären und im Süden neben Wildziegen noch Schakale. Und Geier – wo Schafe sind, sind auch Geier, in Griechenland gleich mehrere Arten. Der Steinadler heißt dort kretischer Goldadler. Auf Lesbos will man Seidenreiher und Flamingos gesehen haben.
Darüber hinaus gibt es auf Kreta einige endemische Arten wie die Kretische Wildziege (Kri-Kri), die Kreta-Stachelmaus und den kretischen Dachs. Früher war Kreta ein „Vogelparadies“, die meisten waren allerdings Zugvögel, die dort nur Rast machten.
Bartgeiern und Bezoarziegen
Heinz Sielmann, Deutschlands bekanntester Tierfilmer und einer der wichtigsten Pioniere seines Genres, begann seine Filmkarriere auf der „Insel der Glückseligen“, wie Homer Kreta nannte. Im Jahr 1944 kam er dort als Unteroffizier hin, durfte jedoch gleich im Auftrag des Reichsjagdamtes mit dem Filmen von Bartgeiern und Bezoarziegen in den Bergen beginnen.
Auf diese Weise bekam er angeblich nichts von der starken kretischen Partisanenbewegung und den Geiselerschießungen der Deutschen mit, die die Insel im Jahr 1941 erobert hatten. Ebenso wenig von den Kreta zurückerobernden Engländern, die ihn dann mitsamt seiner Ausrüstung gefangen nahmen, nach London verfrachteten und ihm befahlen, sein Filmmaterial bei der BBC zu schneiden. 1947 wurde er aus der Gefangenschaft entlassen.
Weil seine drei Kretafilme so gut angekommen waren, bekam er daraufhin gleich eine Anstellung bei der British Film Division. Von dort ließ er sich nach Hamburg versetzen, wo er für den damals noch englischen NDR Naturfilme drehte – und damit reich und berühmt wurde.
Die Sielmann-Biografen Clemens und Köhncke schreiben über ihn, er habe „Pionierarbeit beim manipulativen Filmen des Inneren von Spechtbauten durch Auftrennen des Baumes und Einfügen einer Glaswand“ geleistet.
Sein daraus entstandener Film soll bei der Ausstrahlung 1954 sogar die Einschaltquoten der Fußballweltmeisterschaft übertroffen haben. Später dann drehte Sielmann vor allem Filme über die letzten Tierparadiese in Europa. Kreta beziehungsweise Griechenland war nicht mehr dabei.
Süßwasserfische
Im Jahr 2010 wurde in Athen ein „Rotbuch der bedrohten Arten in Griechenland“ vorgestellt. Darin wurden mehrere Hundert der fast tausend untersuchten Tierarten als vom Aussterben bedroht gelistet. Der Schutz dieser Artenvielfalt sei genauso wichtig wie der des archäologischen Vermächtnisses des Landes, erklärte daraufhin die Griechische Zoologische Gesellschaft.
Zu den am meisten bedrohten Tieren gehören die Süßwasserfische, von denen 37 der untersuchten Arten gelistet wurden. Ähnlich sieht es bei den Vögeln aus. Von 422 in Griechenland lebenden Vogelarten konnten für 122 Arten ausreichende Daten gesammelt werden. Mit dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte, 62 Arten, bedroht sind. Gefährdet sind auch mehrere Delphinarten, die Mittelmeer-Mönchsrobbe ist sogar kurz davor auszusterben.
Für diese Misere ist die griechische Ökonomie verantwortlich, denn, wie diese Zeitung vor einiger Zeit schrieb: „Wilderei, industrielle Landwirtschaft, Überfischung, Städtebau und die Verschmutzung von Wasser und Grundwasser tragen zur Vernichtung der Arten bei.“
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (laut Hölderlins „Patmos“-Hymne) – und deswegen sind dann auch in Griechenland die deutschen Tierschützer besonders stark vertreten: Allerdings helfen sie dort nicht den vom Untergang bedrohten Arten, sondern den unter ihnen wildernden Hunden, die, ähnlich wie in der Türkei, von ihren Besitzern verstoßen, verletzt und verkrüppelt wurden.
Hunde, die behandelt werden wie Ratten
Dazu heißt es auf einer Internetseite: „Griechische Hunde (und natürlich auch Katzen) haben den gleichen Stellenwert, den wir in Deutschland vielleicht gerade mal einer Ratte zugestehen würden. Sie fristen ein Dasein ohne Würde oder gar Liebe, werden oft nicht einmal angefasst, geschweige denn gestreichelt […] Kurz gesagt: Sie werden geduldet, solange sie zu irgendetwas zu gebrauchen sind! Als Arbeitsgerät oder Alarmanlage zum Beispiel. Werden die armen Tiere krank oder ist man ihrer einfach nur überdrüssig, werden sie ‚entsorgt‘.“
Um solche Hunde kümmern sich die Tierschützer, unter anderem indem sie diese nach Deutschland „in liebevolle Hände“ vermitteln.
Weil das aber ein schlechtes Licht auf die Griechen wirft, die ja nicht zuletzt von deutschen Touristen leben, verhängte der griechische Staat ein „Ausfuhrverbot“.
Die Deutschen reagierten mit einer Petition, in der es heißt: „Griechenland be- und verhindert zurzeit massiv die Ausreise von Hunden. Hetzerische Verleumdungskampagnen über die angeblich furchtbarsten Schicksale, die das vermittelte Tier am Zielort erwartet, werden großflächig gestreut. Unter anderem wird in den griechischen Medien behauptet, die Tiere würden in Versuchslabore geschickt, in der Fleischindustrie verarbeitet und in Bordellen missbraucht. Dieses Ausreiseverbot hat katastrophale Auswirkungen auf die notleidenden Streuner.“
Also – wie einst Byron: Auf nach Griechenland! „Unsere Tierärzte gehen nicht nur der Tiere wegen nach Griechenland, sie lehren auch den Griechen durch ihr Beispiel, dass der Mensch gegenüber dem Tier verantwortlich ist. Eine Entwicklungshilfe des Herzens“, schreibt ein engagierter Veterinär in einem Online-Forum – unter dem Stichwort „Eulen nach Athen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein