Internationaler Literaturpreis: Die Zeit verschiebt sich immer mit
Amos Oz und Mirjam Pressler bekamen den Internationalen Literaturpreis in Berlin. Er zeichnet auch die ÜbersetzerInnen aus.
Was soll das sein: internationale Literatur? Das ist eine Frage, um die man nicht herumkommt, wenn man einen „Internationalen Literaturpreis“ verleiht. Der wurde nun zum siebten Mal vergeben, verantwortet vom Berliner Haus der Kulturen der Welt im Auftrag der Hamburger Stiftung Elementarteilchen.
Ach, das hätte so nett sein können! Auf der fußballstadiongroßen Dachterrasse des Gebäudes sind zwei Bühnen samt Zuschauerrängen aufgebaut worden, und man kann hier wunderbar in den Himmel über Berlin gucken. Über den jagen aber an diesem Mittwochabend dunkle Wolken, schon während der Begrüßungsansprache von Bernd Scherer, dem Chef des Hauses, gerät das Publikum ins Frösteln. Der weitere Verlauf der Veranstaltung wird ins Haus verlagert.
Fieberhafte Betriebsamkeit. Die Technik samt Simultandolmetschanlage für Englisch und Französisch wird wieder aufgebaut. Dann kommt Jurymitglied Iris Radisch von der Zeit zum Zuge, die die Aufgabe übernimmt, die einleitende Frage nach der Internationalität der Literatur zu stellen. Was ist die konkrete Perspektive der AutorInnen beim Schreiben? Gibt es in der Literatur eine internationale Sichtweise?
Wenig überraschend erklären die Anwesenden einmütig: nein. Eigentlich sei doch alle große Literatur zunächst einmal provinziell, erklärt Amos Oz. Die Kroatin Daša Drndić sagt, wenn sie beim Schreiben aus dem Fenster sehe, so stünden dort vier Müllcontainer, in denen arme Leute nach Verwertbarem suchten. Auch die Ungarin Krisztina Tóth erklärt, sie habe über arme Menschen schreiben wollen, über arme Juden insbesondere, da die ungarische Literatur ansonsten stets das Bild von reichen Juden verbreite.
Alle Redebeiträge sind interessant, können aber nicht vertieft werden, da es gilt, alle mal zu Wort kommen zu lassen – nämlich auch die ÜbersetzerInnen, die mit auf dem Podium sitzen. Denn das wirklich Besondere an diesem Internationalen Literaturpreis ist, dass er nicht nur die AutorInnen auszeichnet, sondern auch die ÜbersetzerInnen. Darin kommt der Gedanke der Internationalität natürlich am allerschönsten zum Ausdruck.
Linguistische Betrachtung des Hebräischen
Und an der Frage nach der Übersetzbarkeit der Zeiten im Hebräischen, das linguistisch betrachtet keine Vorzeitigkeit kennt, entspinnt sich tatsächlich doch noch eine kleine Diskussion zum Thema Zeitempfinden in der Literatur und im Leben, zu der alle etwas beisteuern können.
Den Preis bekommen Amos Oz und Mirjam Pressler für „Judas“. Die anderen AutorInnen, die es auf die Shortlist geschafft hatte, dürfen immerhin alle vorlesen. Außer den schon Genannten sind auch NoViolet Bulawayo und Patrick Chamoiseau dabei, aber alle kann man sich nicht anhören, da die Veranstaltungen parallel laufen.
In den Lesungen beweisen manche ÜbersetzerInnen Entertainerqualitäten – allen voran Krisztina Tóths Übersetzer György Buda, der nicht nur mit seinem gemütlich austriazierenden Zungenschlag punkten kann.
Brigitte Göbert und Blanka Stipetić, die Übersetzerinnen von Daša Drndić, lesen abwechselnd aus Drndić’ „Sonnenschein“, wahrscheinlich so ähnlich, wie sie den Roman auch übersetzt haben. Wie genau das so vor sich ging, wollen sie aber nicht sagen, obwohl der Moderator Jörg Plath doch ganz kluge Fragen stellt. Lustigerweise spiegelt sich in dieser freundlichen Bockigkeit auch die Haltung der Autorin selbst, Daša Drndić, die den ganzen Abend über zwar gesprächsbereit und eloquent ist, aber auch unverblümt erklärt, dass sie gar keine große Lust mehr habe, über diesen Roman zu sprechen. Es sei mittlerweile neun Jahre her, dass sie ihn geschrieben habe.
Damit widerspricht sie zwar ihrem Diktum vom früheren Abend, es gebe keine Vergangenheit, sondern nur den Flow. Aber sie zeigt damit auch, dass Internationalität in der Literatur eben nicht nur mit einer geografischen und kulturellen Verschiebung der Perspektive einhergeht. Auch die Zeit verschiebt sich immer mit.
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