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AfD droht MassenaustrittDen Rechten zu rechts

Nach dem Rückzug von Bernd Lucke wollen mehr als 2.000 Mitglieder die Partei verlassen. Die AfD ist in ihren Augen zu weit nach rechts gerückt.

Düstere Aussichten? Bernd Lucke während einer Pressekonferenz in Straßburg Foto: reuters

Berlin taz | Der AfD steht ein Massenaustritt bevor. Nach dem Rückzug von Parteigründer Bernd Lucke haben Hunderte weitere Mitglieder angekündigt, die Partei zu verlassen.

Die Initiative Weckruf, die Lucke und seine Mitstreiter ursprünglich gegründet hatten, um einen Rechtsruck in der AfD zu verhindern, hat in den vergangenen zwei Tagen seine Mitglieder befragt. 1.500 von ihnen haben die Partei entweder bereits verlassen oder wollen dies umgehend tun. 640 weitere kündigten ihren Rückzug für den Fall an, dass Lucke austritt – was am Freitag geschehen wird.

Drei der vier Abgeordneten in der Bremischen Bürgerschaft und mit Lucke nun fünf der sieben Europaabgeordneten haben unterdessen angekündigt, die Partei zu verlassen. Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Starbatty und Bernd Kölmel, Landeschef aus Baden-Württemberg, sind bereits gegangen; die schleswig-holsteinische Landeschefin Ulrike Trebesius wird mit Lucke am Freitag gemeinsam austreten. Henkel, Kölmel und Trebesius haben bereits angekündigt, ihr Mandat behalten zu wollen.

In Rheinland-Pfalz schmiss fast die gesamte Landesspitze hin, Kreisvorstände treten in Reihe aus, einfache Mitglieder ebenso. Bei der Bundesgeschäftsstelle sind bereits mehr als 600 Austritte eingegangen, so Pressesprecher Christian Lüth. Insgesamt hat die AfD rund 21.000 Mitglieder.

Lucke: krachende Niederlage

Lucke hatte am Mittwochabend seinen Rückzug aus der Partei angekündigt. Damit zog er die Konsequenz aus dem Bundesparteitag in Essen am vergangenen Wochenende. Dort hatte seine Widersacherin Frauke Petry, die den rechten Flügel der Partei hinter sich versammelt hatte, eine Kampfabstimmung deutlich für sich entschieden. Lucke kassierte aber nicht nur eine krachende Niederlage. Er wurde ausgebuht und angepöbelt. Später wählten die verbleibenden Mitglieder einen von rechts dominierten Bundesvorstand.

Lucke will kein bürgerliches Aushängeschild für eine ausländerfeindliche Partei sein.

Lucke sagte, er wolle nicht als „bürgerliches Aushängeschild für politische Vorstellungen missbraucht werden“, die er aus tiefster Überzeugung ablehne. Zu diesen Vorstellungen, die in der AfD inzwischen weit verbreitet seien, zählten insbesondere islam- und ausländerfeindliche Ansichten, zudem eine antiamerikanische Grundhaltung und fundamentale Systemkritik.

Lucke räumte ein, Fehler gemacht zu haben. Zu den größten gehöre zweifellos, „dass ich zu spät erkannt habe, in welchem Umfang Mitglieder in die Partei drängten, die die AfD zu einer Protest- und Wutbürgerpartei umgestalten wollen“.

Offen ließ Lucke, ob er eine neue Partei gründen will. Bei der Weckruf-Umfrage sprachen sich fast 2.000 Mitglieder, drei Viertel der Befragten, dafür aus. Am übernächsten Wochenende werden die Weckrufler in Kassel darüber beraten.

Petry: Luckes Austritt ist konsequent

Die neue AfD-Chefin Frauke Petry dagegen hofft nach dem Rückzug Bernd Luckes auf eine Befriedung der Partei. „Wenn durch den Austritt die Streitigkeiten jetzt beigelegt werden können, ist das genau das richtige Signal für uns“, sagte Petry der Nachrichtenagentur dpa. “Der Austritt ist nur konsequent.“

Der alte und neue Vizechef der Partei, der nationalkonservative Alexander Gauland, erwartet nach Luckes Rückzug kurzfristige Rückschläge. „Es wird eine Delle, es wird einen gewissen Einbruch geben bei den Wahlen“, sagte Gauland. „Aber es hat auch einen Vorteil: dass die Partei jetzt sozusagen geschlossener auftritt. Und von daher kann es auch sehr positive Effekte haben.“

Im kommenden Jahr stehen Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin an.

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3 Kommentare

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  • In den Auflistungen bei den Massenaustritten aus der AFD tauchen immer nur alte Bundesländer auf. Auch sind es ja vor allem die Verbände in den neuen Bundesländern, die mit nationalistischem Populismus auf Stimmenfang gegangen sind und damit auch relativ erfolgreich waren. Wird die AFD nun zu einer einzigen Ostpartei, wie früher die PDS?

    Ich bin 1985 geboren und habe die Wende kaum bewusst miterlebt, doch heutzutage denke ich immer öfter, vielleicht ging die Einheit zu schnell von statten. Da gibt es immernoch viele Leute die viel aufzuarbeiten haben. Das zeigt sich gerade am Umgang mit Fremden, aber auch in den Erwartungen und den Erfahrungen an Medien und Politik. Vielleicht braucht man Integrationskurse für einige ältere Ostdeutsche?

    • @Hauke:

      "... vielleicht ging die Einheit zu schnell von statten."

       

      Ja, es war eine Sturzgeburt - mit hochkriminellen Absahnern am Kindbett.

       

      Es braucht dringend einen Marshallplan Ost zur Entschädigung des DDR-Volksvermögens an die Ostdeutschen.

       

      Der vorletzte Treuhandchef Rohwedder, Thüringer von Geburt und erfolgreicher Sanierer des Hoeschkonzerns, hatte das übriggebliebene Volksvermögen der DDR realistisch eingeschätzt und eine sozialverträgliche, allmähliche Angleichung der beiden Wirtschaftssysteme angemahnt.

       

      Ein Mahner.

    • @Hauke:

      Hm ungenau es ist fakt, dass viele rechte Kader nach der Wende in den Wilden Osten kamen. Die "fehlen" nun im Westen und sind im Osten folgerichtig stark.

       

      Es wäre doch mal interessant zu erfahren wieviele der Ostrechten übergesiedelte Wessis sind.

       

      In Brandenburg wird die AfD eben auch Auffangbecken der Altkader der DVU gewesen sein, die mit der feindlichen Übernahme der NPD nicht einverstanden waren.