piwik no script img

AltersfeststellungHamburg bleibt hart

Wegen Genitaluntersuchungen an Flüchtlingen hagelt es Kritik von vielen Seiten. Die Sozialbehörde zeigt sich davon unbeeindruckt.

Aller Kritik zum Trotz: Hamburg will weiter auf Genitalien schauen. Foto: dpa

Weil man ihnen ihre Angaben nicht abnimmt, wird unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bei der Altersfeststellung in Hamburg weiter munter auf den Phallus geschaut. Nachdem die taz von dieser Praxis berichtete, hatte sich in anderen Medien großer Widerstand geregt.

Zudem sprach sich die Ärztekammer gegen die Praxis aus und auch in Berlin wurde man hellhörig: Norbert Müller, kinder- und jugendpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, sprach von einer „sexuell entwürdigenden staatlichen Maßnahme“. Er forderte den Hamburger Senat auf, „diese Genitaluntersuchungen von Kindern umgehend einzustellen“.

Die Hamburger Sozialbehörde zeigt sich trotz aller Kritik unbeeindruckt und kündigt an, an ihrem Vorgehen festzuhalten. Der Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) soll weiter im Gespräch mit den jungen Flüchtlingen prüfen, ob deren Aussagen, sie seien minderjährig, von den Behörden anerkannt werden.

Falls der KJND daranzweifelt, kann er die Betroffenen weiterhin für volljährig erklären. Oder in von ihnen als unklar bewerteten Fällen die Rechtsmedizin am UKE einschalten.

Wohin mit den Flüchtlingen?

Seit 2012 kamen 5.415 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Hamburg. In 1.644 Fällen gab es Zweifel an den Aussagen der Jugendlichen.

Für volljährig befundene Flüchtlinge müssen sich bei der Erstaufnahmestelle melden, einen Asylantrag stellen und mit einer Abschiebung rechnen.

Theoretisch können sie gerichtlich gegen die Entscheidung vorgehen. Dazu werden sie an die kirchliche Hilfestelle "Fluchtpunkt" vermittelt. Seit 2012 gab es jedoch nur 14 Verfahren, davon waren lediglich drei erfolgreich.

Minderjährige Flüchtlinge dagegen fallen aus der Asylpflicht, sie dürfen bleiben und haben Anspruch auf Schulunterricht.

Wenn die Jugendlichen die dortige Untersuchung ablehnen, werden sie jedoch automatisch für volljährig erklärt. Diese, vom Sprecher der Sozialbehörde Marcel Schweitzer als „freiwillig“ bezeichnete Untersuchung, beinhaltet auch weiterhin Röntgenaufnahmen des Kieferknochens, des Handskeletts sowie in besonderen Fällen auch des Schlüsselbeins. Zudem erfolgt eine Untersuchung der Genitalregion.

Laut Schweitzer werde im Nachhinein immer das niedrigste anzunehmende Alter gewertet. Er vertraut auf die „wissenschaftlich fundierte“ Arbeit der Rechtsmedizin unter der Leitung von Klaus Püschel. Die Bundesärztekammer sieht das allerdings anders.

Sie rät „von einer Beteiligung von ÄrztInnen bei der Feststellung des Alters in aller Entschiedenheit ab“. Abgesehen von der „zu wahrenden Privatsphäre“ befindet sie Röntgenuntersuchungen aufgrund der Strahlenbelastung für „potenziell gefährlich“ sowie „medizinisch höchst umstritten“.

Scharfe Kritik an der Praxis des Senats übt auch Christiane Schneider von der Hamburger Linksfraktion. Sie nennt das Vorgehen eine „Zwangsuntersuchung“. Dass diese „unwürdige Behandlung“ weiter fortgesetzt wird, hält sie für „unerträglich“.

Doch selbst wenn Minderjährige als solche anerkannt und in Obhut genommen werden, bedeutet das noch lange nicht ein Ende der Strapazen auf dem Weg ins sichere Norddeutschland. Denn die Situation ihrer Unterbringung in Hamburg spitzt sich weiter zu.

Laut Schweitzer müssten für ihre Erstunterbringung immer größere Einrichtungen gefunden werden, da die Kapazitäten der verschiedenen Kinder- und Jugendhilfen nicht mehr ausreichten. Außerdem fehle es an Sozialpädagogen.

Um dieses Problem in Hamburg in den Griff zu bekommen, hofft die Sozialbehörde auf ein neues Bundesgesetz, in dem unter anderem eine gerechtere Umverteilung der ankommenden Minderjährigen auf andere Kommunen mit mehr Kapazitäten beschlossen werden soll.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ja und? Wir mussten in der dritten oder vierten Klasse auch alle unseren Dödel vorzeigen, da durfte man schon in der Schlange anstehen. Und bei der Musterung, da wurde es noch etwas "intimer". Kann man drauf verzichten, aber ein Weltuntergang ist das nun wirklich nicht!

  • Liebe taz, auf die Bilder zu diesem Artikel konntet Ihr nicht verzichten? Und gestern auf die Überschrift mit dem "Schwanzvergleich"? Ja, gebe ich zu, ist verlockend (wenn schon die BILD und DRadio von Genitaluntersuchungen reden), dabei geht es vor allem und Knochenuntersuchungen (was aber ziemlich unspektakulär ist).

    Immerhin bleibt der Artikel sachlich, was in der heutigen Medienlandschaft schon was gilt. Dafür danke!

     

    Ich frage mich, was ist mit Herrn Montgomery los? Ist es die Hitze? Der will als Arzt jetzt auch auf Ganzkörperuntersuchungen verzichten, oder was?

  • Gibt es schon einen Kommentar von Bündnis '90/Die Grünen Hamburg dazu? Katharina Fegebank, Grüne Landesvorsitzende und Präses der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (Träger des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf) hätte das doch wohl alles politisch zu verantworten, oder nicht?

     

    Benno Plassmann + Stella Hindemith