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Wenn die Waffe lockersitzt...Todesschuss im Hausflur

In Hamburg erschießt ein Hausbesitzer einen mutmaßlichen Einbrecher. Erst vor drei Wochen hatte in Hannover ein Mann einen Jugendlichen erschossen.

Tatort Hamburg-Jenfeld: Vom Haus des Todesschützen schleppte sich der Angeschossene noch 200 Meter.  Foto: Daniel Bockwoldt /dpa

HAMBURG taz | Gibt es zunehmend amerikanische Verhältnisse im Norden? In Hamburg-Jenfeld hat ein 63-Jähriger Hauseigentümer in der Nacht zum Mittwoch einen Mann erschossen, der laut seiner Darstellung versucht hatte, in sein Haus einzudringen. Anfang Juni hatte ein Werkstattbesitzer in Hannover-Anderten auf eine Gruppe vermeintlicher Einbrecher geschossen und einen 18-Jährigen getötet.

In beiden Fällen berufen sich die Schützen auf Notwehr. In Hamburg gibt der Schütze an, am Dienstagabend gegen 22.45 Uhr hätten zwei Männer an der Tür seinen Einfamilienhauses geklingelt und hätten gefragt, ob „hier gerade ein Krankenwagen“ gewesen sei, was der Mann verneinte. Etwa 15 Minuten später sollen die Männer erneut geklingelt haben. „Als der Hauseigentümer die Tür öffnete, war diese noch mit einem Türriegel gesichert“, gibt Polizeisprecher Jörg Schröder den derzeitigen Ermittlungsstand wieder. „Die Täter traten nun die Tür ein, ein Täter drang in den Wohnungsflur“, so Schröder.

Der 63-Jährige habe daraufhin einen Schuss auf den Mann abgegeben. Beide Eindringlinge seien in unterschiedliche Richtungen geflüchtet. Die vom Hausbesitzer alarmierte Polizei fand einen von ihnen dann 200 Meter entfernt an einer Kreuzung, wo er verletzt zusammengebrochen war. Der Notarzt konnte ihn nicht mehr retten. Eine Obduktion soll nun die genaue Todesursache klären.

Der Schütze, der über einen Waffenschein verfügt, wurde von der Mordkommission vorübergehend festgenommen und nach einer Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt. „ Die Staatsanwaltschaft sieht zurzeit keine Voraussetzung für einen Haftbefehl“,sagt Polizeisprecher Schröder.

Notwehr oder Selbstjustiz?

Notwehr ist eine Gewalttätigkeit, die rechtmäßig ist, um einen rechtswidrigen körperlichen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren.

Der Einsatz von Waffen kann zur Verteidigung gerechtfertigt sein, wenn ein Angriff anders nicht abzuwehren ist, auch wenn theoretisch die Möglichkeit der Flucht besteht, um sich der Gefahr zu entziehen.

Das mildeste Mittel ist beim Waffeneinsatz jedoch grundsätzlich zu wählen, zum Beispiel die Androhung des Schusswaffengebrauch oder der Warnschuss.

Zur Selbstjustiz und damit zum Totschlag kann ein Schusswaffengebrauch aus vermeintlicher Notwehr werden, wenn eine konkrete Gefahr für den Angegriffenen nicht mehr besteht, etwa weil der Täter sich bereits auf der Flucht befindet.

Anders ist es dem 40-jährigen Todesschützen von Hannover ergangen. Sein Anwalt Fritz Willig hatte im NDR vor zwei Wochen von einer „sehr eindeutigen Notwehr“ gesprochen. Sein Mandant habe Angst um sein Leben gehabt. Er hatte angegeben, er sei nachts durch Klopfen an das Schlafzimmerfenster geweckt worden, wo er mit seiner Lebensgefährtin und ihrem Kind schlief. Er habe dann von dem Fenster mehrere Vermummte gesehen, von denen einer eine Pistole in der Hand gehalten habe. Der Sportschütze habe daraufhin seine Waffe geladen und die Haustür geöffnet, sei sofort attackiert worden und habe geschossen. „Er wusste gar nicht auf wen er geschossen hat“, sagt Anwalt Willig.

Doch so einfach ist der Fall nicht, denn die Grenzen zwischen Notwehr und Totschlag sind oft schwer zu ziehen. Im hannoverschen Fall hat die Obduktion ergeben, dass der tödliche Schuss den 18-jährigen mutmaßlichen Einbrecher von hinten unterhalb der rechten Schulter getroffen hat. Laut Staatsanwaltschaft hat der Schütze die tödliche Verletzung bewusst in Kauf genommen. Deshalb bleibe der Haftbefehl wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr bestehen.

Der Fall erinnert an den Todesschuss von Sittensen, wo der Millionär Ernst B. im Dezember 2010 den 16-jährigen Einbrecher Labinot S. erschossen hatte. Das Verfahren beschäftigte die niedersächsischen Justiz vier Jahre lang rauf und runter: Zunächst war die Staatsanwaltschaft klar von Notwehr ausgegangen.

Die fünf Täter hatten den Rentner im Garten überfallen und wollten im Haus seinen Tresor ausrauben. Als die Alarmanlage ansprang und das Quintett flüchtete, schoss der passionierte Jäger Labinot S. auf der Flucht in den Rücken.

„Wir müssen bei Notwehr immer den Einzelfall betrachten“. sagte damals der Stader Staatsanwalt Kai Thomas Breas. Wenn jemand aus „Furcht, Angst oder Verwirrung“ schießt, bleibt auch eine rechtswidrige Notwehrhandlung straffrei, war zunächst auch die Argumentation des Landgerichts Stade, die jedoch vom Oberlandesgericht Celle korrigiert wurde.

Später verurteilte das Gericht Ernst B. nach einer Beweisaufnahme jedoch zu neun Monaten Bewährungsstrafe wegen Totschlags. „Notwehr hat auch ihre Grenzen“, sagte der Vorsitzende Richter Berend Appelkamp damals. B. habe den Tod des Jungen billigend in Kauf genommen, was trotz angeblicher „Todesängste“ nicht rechtens gewesen sei. Das Urteil befindet sich derzeit in der Revision beim Bundesgerichtshof.

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8 Kommentare

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  • "Gibt es zunehmend amerikanische Verhältnisse im Norden?"







    Was meint der Autor damit? Das Menschen Einbrecher erschießen oder das Einbrecher mal eben die Tür von eintreten, während die Bewohner zu Hause sind?







    [...] Kommentar gekürzt. Die Redaktion

  • Finde es halt irgendwie trotzdem sehr traurig, dass immer mehr Leute kriminell werden, da fühlt man sich gar nicht mehr sicher in den eigenen vier Wänden.

    Am besten man baut sich ne Alarmanlage ein, welche direkt die Polizei alarmiert, wenn sie ausgelöst wird.

    Ich werde es auf jeden Fall machen, muss nur noch schauen, wo man sowas am besten bekommt.

    • @Anne Koch:

      Da muss ich dir leider Recht geben @Anne Koch.

      Ich frag mich, was man alles tun sollte, um sich und seine Familie ausreichend zu schützen. Das sind ja fast schon Zustände wie in den Staaten.

      Einbrüche werden von Jahr zu Jahr immer mehr und auch zunehmend gewalttätiger. Ohne Rücksicht auf Verluste wird gehandelt. Jeder gegen Jeden.. Wirklich schlimm.

       

      Am klügsten ist daher wirklich eine Alarmanlage am Haus. Das schlägt die meisten erst mal in die Flucht. Schau mal auf http://www.alarmanlagen-haus.de dort findest du nützliche Infos, falls du sowas vorhaben solltest.

  • So eine Tür kann man auch nach dem Schuss noch selbst eintreten. Auch Polizisten dürfen ja nicht einfach sofort gezielte Schüsse abgeben. In der Regel reicht ein Warnschuss völlig aus, um einen unbewaffneten Angreifer zur Flucht zu bewegen. Warum man bewaffneten Privatleuten da jetzt weitergehende Abwehrrechte zugestehen soll, ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar.

    • @Rainer B.:

      Ein Warnschuss im Gebäude? Mal abgesehen davon, dass die Gefahr besteht, dass er Querschläger einen selber oder eine unbeteiligte Person trifft stellt sich die Frage, ob dazu überhaupt die Zeit bleibt, wenn der Gegner im Flur wenige Meter vor einem steht. Bevor Sie den zweiten Schuss abgeben können, nimmt der Gegner ihnen einfach die Waffe weg und erschießt Sie damit. Bei einem 63-jährigen Opfer und einen 18-jährigen Täter dürfte wohl klar sein, wer beim Kampf um die Waffe den Kürzeren zieht.

       

      Und was Polizisten angeht, kann man von diesen ein Stück weit erwarten auch in Stresssituationen gezielter zu schießen.

  • Frage zur Semantik:

     

    Wer eine fremde Tür eintritt ist "mutmaßlicher" Einbrecher? Ab wann wird er ein Einbrecher?

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Er wird Einbrecher, sobald seine Schuld (vom Gericht) festgestellt wird.

      Das ist bei jedem Verbrechen so. Selbst wenn die Knarre in der Hand noch qualmt...

  • Das eigentliche Problem liegt in der mangelnden Fähigkeit -vieleicht fehlt auch die Bereitschaft - der politisch verantwortlichen Leben und Besitz der Bürger energisch zu schützen.

    Fehlt dieser Schutz erodiert die Legetimationsbasis des staatlichen Gewaltmonopols.

    Ein wichtiger Schritt um die "Sicherheitsresourcen" des Staates im Sinne der Bürger einzusetzen wäre eine schrittweise Legalisierung des Drogenkonsums und Handels. Natürlich müsste dieser Prozeß wissenschaftlich begleitet werden. Auch Verbraucherinformationen sowie Qualitätskontrollen analog zur Lebensmittelüberwachung sind in der Übgergangsphase sehr wichtig. Die freiwerdenden Resourcen könnten dann zur Bekämpfung von Taten gegen Leben Leib und Eigentum der Bürger eingesetzt werden. Dies würde Fälle von Nowehr oder putativ Notwehr mit hoher Wahrscheinlichkeit reduzieren.