Wenn die Waffe lockersitzt...: Todesschuss im Hausflur
In Hamburg erschießt ein Hausbesitzer einen mutmaßlichen Einbrecher. Erst vor drei Wochen hatte in Hannover ein Mann einen Jugendlichen erschossen.
In beiden Fällen berufen sich die Schützen auf Notwehr. In Hamburg gibt der Schütze an, am Dienstagabend gegen 22.45 Uhr hätten zwei Männer an der Tür seinen Einfamilienhauses geklingelt und hätten gefragt, ob „hier gerade ein Krankenwagen“ gewesen sei, was der Mann verneinte. Etwa 15 Minuten später sollen die Männer erneut geklingelt haben. „Als der Hauseigentümer die Tür öffnete, war diese noch mit einem Türriegel gesichert“, gibt Polizeisprecher Jörg Schröder den derzeitigen Ermittlungsstand wieder. „Die Täter traten nun die Tür ein, ein Täter drang in den Wohnungsflur“, so Schröder.
Der 63-Jährige habe daraufhin einen Schuss auf den Mann abgegeben. Beide Eindringlinge seien in unterschiedliche Richtungen geflüchtet. Die vom Hausbesitzer alarmierte Polizei fand einen von ihnen dann 200 Meter entfernt an einer Kreuzung, wo er verletzt zusammengebrochen war. Der Notarzt konnte ihn nicht mehr retten. Eine Obduktion soll nun die genaue Todesursache klären.
Der Schütze, der über einen Waffenschein verfügt, wurde von der Mordkommission vorübergehend festgenommen und nach einer Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt. „ Die Staatsanwaltschaft sieht zurzeit keine Voraussetzung für einen Haftbefehl“,sagt Polizeisprecher Schröder.
Notwehr ist eine Gewalttätigkeit, die rechtmäßig ist, um einen rechtswidrigen körperlichen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren.
Der Einsatz von Waffen kann zur Verteidigung gerechtfertigt sein, wenn ein Angriff anders nicht abzuwehren ist, auch wenn theoretisch die Möglichkeit der Flucht besteht, um sich der Gefahr zu entziehen.
Das mildeste Mittel ist beim Waffeneinsatz jedoch grundsätzlich zu wählen, zum Beispiel die Androhung des Schusswaffengebrauch oder der Warnschuss.
Zur Selbstjustiz und damit zum Totschlag kann ein Schusswaffengebrauch aus vermeintlicher Notwehr werden, wenn eine konkrete Gefahr für den Angegriffenen nicht mehr besteht, etwa weil der Täter sich bereits auf der Flucht befindet.
Anders ist es dem 40-jährigen Todesschützen von Hannover ergangen. Sein Anwalt Fritz Willig hatte im NDR vor zwei Wochen von einer „sehr eindeutigen Notwehr“ gesprochen. Sein Mandant habe Angst um sein Leben gehabt. Er hatte angegeben, er sei nachts durch Klopfen an das Schlafzimmerfenster geweckt worden, wo er mit seiner Lebensgefährtin und ihrem Kind schlief. Er habe dann von dem Fenster mehrere Vermummte gesehen, von denen einer eine Pistole in der Hand gehalten habe. Der Sportschütze habe daraufhin seine Waffe geladen und die Haustür geöffnet, sei sofort attackiert worden und habe geschossen. „Er wusste gar nicht auf wen er geschossen hat“, sagt Anwalt Willig.
Doch so einfach ist der Fall nicht, denn die Grenzen zwischen Notwehr und Totschlag sind oft schwer zu ziehen. Im hannoverschen Fall hat die Obduktion ergeben, dass der tödliche Schuss den 18-jährigen mutmaßlichen Einbrecher von hinten unterhalb der rechten Schulter getroffen hat. Laut Staatsanwaltschaft hat der Schütze die tödliche Verletzung bewusst in Kauf genommen. Deshalb bleibe der Haftbefehl wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr bestehen.
Der Fall erinnert an den Todesschuss von Sittensen, wo der Millionär Ernst B. im Dezember 2010 den 16-jährigen Einbrecher Labinot S. erschossen hatte. Das Verfahren beschäftigte die niedersächsischen Justiz vier Jahre lang rauf und runter: Zunächst war die Staatsanwaltschaft klar von Notwehr ausgegangen.
Die fünf Täter hatten den Rentner im Garten überfallen und wollten im Haus seinen Tresor ausrauben. Als die Alarmanlage ansprang und das Quintett flüchtete, schoss der passionierte Jäger Labinot S. auf der Flucht in den Rücken.
„Wir müssen bei Notwehr immer den Einzelfall betrachten“. sagte damals der Stader Staatsanwalt Kai Thomas Breas. Wenn jemand aus „Furcht, Angst oder Verwirrung“ schießt, bleibt auch eine rechtswidrige Notwehrhandlung straffrei, war zunächst auch die Argumentation des Landgerichts Stade, die jedoch vom Oberlandesgericht Celle korrigiert wurde.
Später verurteilte das Gericht Ernst B. nach einer Beweisaufnahme jedoch zu neun Monaten Bewährungsstrafe wegen Totschlags. „Notwehr hat auch ihre Grenzen“, sagte der Vorsitzende Richter Berend Appelkamp damals. B. habe den Tod des Jungen billigend in Kauf genommen, was trotz angeblicher „Todesängste“ nicht rechtens gewesen sei. Das Urteil befindet sich derzeit in der Revision beim Bundesgerichtshof.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will