Ägyptischer Präsident Al-Sisi in Berlin: Ungeliebter Gast
Menschenrechtsorganisationen und Opposition kritisieren den Besuch des ägyptischen Präsidenten. Die Bundesregierung lässt das kalt.
Seit seinem Wahlsieg vor über einem Jahr hat der ehemalige General angekündigte Parlamentswahlen mehrfach verschoben. Sicherheitskräfte töteten seitdem über 1.000 Oppositionelle, weitere Regierungskritiker wurden zu langen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt. Ein Gericht in Kairo sollte kurz vor Sisis Staatsbesuch abschließend über das Todesurteil gegen Expräsident Mohammed Mursi beraten, verschob seine Entscheidung am Dienstag aber um zwei Wochen.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte ein geplantes Treffen mit Sisi aufgrund der Menschenrechtssituation bereits Mitte Mai abgesagt. Oppositionspolitiker bedrängten die Bundesregierung in den vergangenen Tagen, es ihm gleichzutun. „Folter und willkürliche Behandlung durch Polizeibeamte sind in Ägypten an der Tagesordnung. Dieser Staatsbesuch ist eine Schande“, sagte die Linken-Abgeordnete Christine Buchholz. Die Organisation Reporter ohne Grenzen will heute sogar vor dem Kanzleramt gegen den ägyptischen Präsidenten demonstrieren.
Die Regierung lässt sich von alldem nicht beirren. Sie sieht im Sisi-Besuch einen Beitrag zur Sicherheit in Nordafrika und dem Nahen Osten. „Wir wollen, dass Ägypten seine Rolle dabei spielt, Stabilität in diese extrem instabile Region zu bringen“, ließ Merkel über ihren Sprecher ausrichten. Die Menschenrechtsverletzungen werde sie im Gespräch mit Sisi aber thematisieren.
Auch einen aktuellen Vorfall könnte sie ansprechen: Für Dienstagabend hatten die Grünen im Bundestag eine Veranstaltung mit dem Oppositionellen Mohamed Lotfy geplant. Als dieser in Kairo ins Flugzeug steigen wollte, nahmen ihm aber Sicherheitskräfte den Pass ab. Er musste in Ägypten bleiben. „Das ist inakzeptabel“, sagte der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour. Im Außenministerium sieht man das ähnlich: „Die deutsche Botschaft hat den Fall sofort hochrangig mit den ägyptischen Behörden aufgenommen und um Aufklärung der Hintergründe gebeten. Sie steht in engem Kontakt mit Herrn Lotfy“, sagte ein Sprecher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Strategien gegen Fake-News
Das Dilemma der freien Rede
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution