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KolumneFight For Your Right To Ökostromparty!

Peter Unfried
Kommentar von Peter Unfried

Die Charts heute mit Ohnesorg, Erdmöbel, "FAZ" und der Frage: Was fasziniert die Leute plötzlich so an Ökostrom?

K limaschutz: Mit ihren privaten Stromwechselpartys hat die Wahl-Leipzigerin Ulla Gahn offenbar den Nerv der Zeit getroffen (taz vom 26. April). Am Anfang hatte sie kurz nach dem eigenen Stromwechsel Freunde in ihr Wohnzimmer eingeladen und dort über die Vorteile eines Wechsels von Stadtwerken oder den großen Kohle- und Atomstromkonzernen zu sauberem Ökostrom aufgeklärt.

Ihre vierte Party am 17. Juni im Leipziger Kulturzentrum in der Feinkost wird aller Voraussicht nach bereits ein überregional wahrgenommenes Massenereignis. Das kann man daraus schließen, dass einerseits Fernsehkameras anrücken - und andererseits Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende der Grünen. Wer wen angezogen hat, sollen andere klären. Es geht um Strom, es wird darüber hinaus eine "große Mix and Mingle-Messe", sagt Gahn, 33. Zum Beispiel kommen Solardach-Experten. Ein Elektromobil von CityEL kann man testfahren, Livemusik und Kinderbetreuung ist da, und nachdem bei der letzten Party nur Ökostrom-Marktführer Lichtblick dabei war (die in Leipzig eine Dependance haben), rücken diesmal auch Greenpeace Energy und sogar EWS aus dem Schwarzwald an. Kleinere Ökostrompartys sind in Schönau seit langem üblich und nötig, um neue Kunden zu gewinnen. EWS hat etwa 500 Menschen, die immer wieder Infomaterial bestellen. Michael Sladek, Hauptprotagonist der Bürgerbewegung von Schönau, hat unlängst nach der Motivation dieser Leute geforscht. "Der gesellschaftspolitische Ansatz steht im Zentrum von EWS", sagt er. Das finden die Leute gut. Und übrigens auch, dass es keine Geldprämien für Werbungen gibt. Sladek sagt, sie hätten sonst das Gefühl, ihr Engagement werde entwertet.

Ulla Gahn braucht inzwischen eine Menge Helfer und findet es "faszinierend, dass sich die Leute so reinhängen". Freiwillig. Ohne Bezahlung. Sie selbst arbeitet auch ehrenamtlich, aber der Aufwand ist jetzt schon enorm. Und er wird noch größer: Partys in München und Düsseldorf sollen noch im Frühsommer folgen, und im Herbst dann Berlin, Hamburg und Köln.

Gahn rechnet am 17. Juni mit einer dreistelligen Besucherzahl, die Ökostrom-Kunden wachsen in diesem Jahr erheblich, EWS hat schon mit den Mai-Zuwächsen sein Jahreswachstumsziel überschritten, Lichtblick boomt, speziell im Osten tut sich was - und die Unternehmen mit dem Strommix aus Kohle, Atom und ein bisschen Erneuerbaren feilen an neuen "Öko"-Angeboten, um die aufgewachten Leute zu verwirren und zu halten.

Was haben die Leute plötzlich mit dem Strom? Meine These: Es ist ein Anzeichen dafür, dass individuelle Lebensstil- und Konsumüberprüfung zunimmt. Meine zweite These ist: Der Anfang einer persönlichen Energiewende ist der Stromwechsel. Er hat den Vorteil, dass er relativ einfach ist, nicht weh tut und dennoch als politische Investitionsentscheidung gelten kann; es geht ja auch darum, wer das Geld kriegt - und damit die Zustimmung für das, was er damit macht (zum Beispiel neue Kohlekraftwerke bauen).

Was die Wechselpartys betrifft, so scheint die Idee so simpel, dass man sich wundern könnte, warum sie nicht längst von klimabewussten Parteien oder Verbänden patentiert und durchgeführt wird. Es ist aber offenbar nicht damit getan, ein paar Prospekte auszulegen und Informationen zu kommunizieren. Eine funktionierende Wechselparty braucht Know-how. Sie muss aber auch ein Gesicht haben. Vor allem braucht sie eine Seele, um glaubwürdig wirken zu können. Die Frage ist also: Wie wird man größer und bewahrt die reine Seele?

*

Die Charts im Juni:

Buch: "Wie starb Benno Ohnesorg?" - Uwe Soukup (Verlag 1900, 19,90 )

Song: "Weil du fortgehst (Porqué te vas)" - Erdmöbel

Der gewaltige Satz: "Hinter dem pantheistischen Aufstand der Kreatur wird seit Goethes Prometheus das Ressentiment vermutet, der Ärger des konstitutionell Unzufriedenen."

Patrick Bahners in der "FAZ" über na? Herbert Grönemeyer

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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