Türkei: Mord an Publizisten vor Gericht
Der Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder des Menschenrechtlers Dink hat begonnen. Die Anwältin der Familie Dink zeigte sich besorgt.
ISTANBUL taz Unter strengen Sicherheitsmaßnahmen und großer öffentlicher Anteilnahme hat gestern in Istanbul der Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder des armenischen Publizisten und Menschenrechtlers Hrant Dink begonnen. Ein Massenaufgebot der Polizei geleitete hunderte von Besuchern, die fast alle T-Shirts mit einem Bild von Hrant Dink trugen, vor dem Schwurgericht in dem Istanbuler Stadtteil Besiktas, aber nur bis vor das Tor des Gerichts. Aus Jugendschutzgründen, mehrere der Angeklagten sind unter 18 Jahre alt, ist die Presse und sonstige interessierte Öffentlichkeit aus dem Gerichtssaal ausgesperrt.
Das heißt allerdings nicht, dass der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Die Familie, die Witwe Dinks und seine Kinder, sind in dem Verfahren als Nebenkläger präsent. Darüber hinaus sind die Angestellten der armenisch-türkischen Zeitung Agos anwesend, deren Herausgeber und Chefredakteur Hrant Dink war und weitere Nebenkläger, unter anderen der Nobelpreisträger Orhan Pamuk. Allein die Anwälte der diversen Nebenkläger machen mehrere hundert Personen aus, die jeden Schritt des Gerichts genau beobachten werden.
Insgesamt wurden gestern 18 Anklagte dem Gericht vorgeführt, darunter auch der 17-jährige mutmaßliche Todesschütze Ogün Samast. Von einem Polizeikordon abgeschirmt, wurden sie an den Prozessbesuchern vorbei ins Gericht geführt. Zwischenfälle gab es dabei nicht, aber die Witwe von Hrant Dink, war Angesichts der Anklagten so überwältigt, dass sie von ihren Kindern auf dem Weg zum Gericht gestützt werden musste.
Die Anwältin der Familie Dink, Fetiye Cetin, erklärte gestern vor der Presse, sie sei besorgt, dass am Ende des Prozesses zwar die Täter verurteilt würden, die Hintermänner des Attentats aber weiter im Dunkeln bleiben würden. Ein Grund für diese Befürchtung ist, dass die Anklagen gegen Polizisten, die sich mit dem mutmaßlichen Todesschützen nach dessen Festnahme in Siegerpose fotografieren ließen, und weitere Beschuldigte im Sicherheitsapparat von dem gestern begonnenen Prozess abgetrennt wurde. Die Forderung der Nebenkläger, alle gemeinsam als "terroristische Vereinigung" anzuklagen, war von der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen worden.
Die armenische Gemeinde bis hinauf zu Patriarch Mutafyan hatte bereits im Vorfeld des Verfahrens mehrmals beklagt, dass die Staatsanwaltschaft nicht genug Energie darauf verwenden würde, die wahren Drahtzieher für den Mord an Dink zu ermitteln. Die jetzt dem Gericht vorgeführten Anklagten stammen, wie der Attentäter selbst, alle aus der Schwarzmeerstadt Trabzon. Trabzon ist eine Hochburg der Nationalisten, unter denen sich auch militante Rechtsextreme tummeln. So war Yasin Hayal, der dem Täter die Waffe und das Fahrgeld nach Istanbul beschafft haben soll, bereits im Gefängnis, weil er eine Bombe in ein McDonalds Restaurant geworfen hatte. Darüber hinaus sollen die Täter engen Kontakt zur Trabzoner Bezirksgruppe der ultrarechten "Großen Türkei Partei", einer Abspaltung von der rechten MHP, haben.
Viele Beobachter gehen davon aus, dass der 17-jährige Ogün Samast und seine Mitangeklagten nur die Marionetten eines rechtsradikalen Netzwerkes sind, zu dem auch ehemalige Militärs und Polizisten gehören. Für diese Kreise sind die Minderheiten, Armenier, orthodoxe Griechen und vor allem Kurden eine Bedrohung der Einheit des Staates, gegen die es mit allen Mitteln gilt, vorzugehen.
Erst vor wenigen Tagen hatte die Polizei auf der Web-Site einer dieser rechtsradikalen Vereinigungen die Bauanleitung für eine Bombe gefunden, die identisch ist mit einer Bombe, die im vergangenen September in der überwiegend von Kurden bewohnten Millionenstadt Diyarbakir 10 Menschen tötete.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen