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ErbschaftsteuerWut über Unternehmer eint Koalition

Bei der Erbschaftsteuer-Reform fühlt sich die Politik von den Wirtschaftsverbänden im Stich gelassen: Diese haben sich vom "Abschmelzmodell" verabschiedet.

Sichtlich nicht amüsiert: Finanzminister Peer Steinbrück und Hessens Ministerpräsident Roland Koch Bild: dpa

Die Politik ist empört über die Unternehmer. Gestern tagten Bund und Länder zum Thema Erbschaftsteuern; den Vorsitz hatten Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD). Hinterher sparten beide nicht mit Häme, um sich über die Wirtschaftslobbyisten zu echauffieren. Der Dialog zwischen Verbänden und Politik sei "ein wenig nervig", klagte etwa Koch. Und Steinbrück sah sich in der Rolle eines Jägers, der das erlegte "Reh jetzt wieder auf die Lichtung legt".

Dieses Zerwürfnis zwischen Politik und Wirtschaft beim Thema Erbschaftsteuern hat eine längere Vorgeschichte: Schon im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD darauf verständigt, dass die Erbschaftsteuer für jene Betriebe ganz entfallen soll, die von den Erben mindestens zehn Jahre lang fortgeführt wurden. Dieses "Abschmelzmodell" war eine Idee der Wirtschaftsverbände. "Um es höflich auszudrücken: Wir wurden dazu ermutigt", rekapitulierte Steinbrück gestern bissig.

Doch inzwischen ist die Wirtschaft von diesem Modell wieder abgerückt. Kaum verbrämt unterstellten Koch und Steinbrück den Unternehmern, dass ihnen nun verspätet aufgefallen ist, dass das neue Erbschaftsrecht nicht als gigantisches Steuerschlupfloch taugt. Immer wieder kam Koch darauf zurück, dass ein Gemälde von Renoir natürlich auch dann versteuert werden müsse, wenn es im Eingangsbereich einer Firma hinge. Ähnliches gelte für das Geldvermögen: Die Finanzämter würden bei jedem vererbten Betrieb prüfen, ob das Eigenkapital auch wirklich für die Produktion benötigt wird, das auf den Firmenkonten geparkt ist.

Neuerdings favorisieren die Unternehmen eher das "Niedrigtarifmodell", in dem sowohl Produktiv- wie Privatvermögen besteuert werden - aber mit niedrigen Sätzen und hohen Freibeträgen. Wenig erfreut sicherte Steinbrück gestern zu, dass man nicht gegen den Willen der Wirtschaft am Abschmelzmodell festhalten werde. Als drittes Modell prüft die Arbeitsgruppe das "Schedulenmodell", das verschiedene Vermögensarten unterschiedlich besteuern würde.

Nach bisherigen Berechnungen würde die Reform der Erbschaftsteuer die Firmen mit rund 500 Millionen Euro jährlich entlasten. Allerdings existieren bereits großzügige Stundungsregelungen. Es ist kein Fall bekannt, dass ein Betrieb durch die Erbschaftsteuer in den Konkurs geraten wäre.

Trotz der hohen Aufmerksamkeit ist die Erbschaftsteuer für Betriebe nur ein Nebenaspekt. Die Bund-Länder-Beratungen wurden nötig, weil das Bundesverfassungsgericht moniert hatte, dass der Immobilienbesitz bislang nur mit etwa 50 bis 60 Prozent des Verkehrswertes angerechnet wird. Schließlich wird das Geldvermögen mit seinem vollen Wert berücksichtigt.

Bis Jahresende soll die Reform stehen, kündigte Steinbrück gestern an. Dabei sind sich Union und SPD einig, dass "Omas Häuschen" für ihre Nachkommen steuerfrei bleiben soll. Momentan fallen bei 80 Prozent der Erbschaften keine Steuern an.

Die Erbschaftsteuer steht den Ländern zu und bringt 4 Milliarden Euro jährlich. Bei diesem Aufkommen soll es bleiben, wie Bundestag und Bundesrat bereits festgelegt haben. Der DGB hingegen forderte gestern, die Erbschaftsteuer auf 10 Milliarden Euro zu steigern, "um endlich wieder mehr in Bildung und Infrastruktur investieren zu können". Vor allem große Vermögen sollen stärker besteuert werden, denn die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer seien in den letzten zehn Jahren um 2 Prozent gesunken - während sich das Geldvermögen verdoppelt habe.

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