Arbeitslosengeld: Die SPD winkt mit links
Die Berliner Genossen unterstützen die Forderung von Parteichef Beck nach einer Verlängerung des Arbeitslosengeldes I. Auch wenn Wowereit vor kurzem noch auf Hartz-IV-Empfänger geschimpft hat
Die Berliner SPD stellt sich hinter den Parteichef Kurt Beck und seinen Vorschlag, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes (ALG) I zu verlängern. "Ich finde den Vorstoß richtig. Man muss die Reformen weiterentwickeln und da anpassen, wo von Beginn an Handlungsbedarf zu erkennen war", sagte gestern der Landes- und Fraktionsvorsitzende, Michael Müller, der taz. Nicht nur die Führung, auch viele Genossen an der Basis reagierten mit Erleichterung auf den Linksschwenk ihres Parteichefs.
Kurt Beck hatte vorgeschlagen, dass Arbeitslose über 45 Jahren in Zukunft 15 Monate lang ALG I bekommen. Die über 50-Jährigen sollten die Leistungen sogar bis zu 24 Monate erhalten. Heute haben Erwerbslose ein Jahr lang Anspruch auf ALG I, für über 55-Jährige sind es 18 Monate. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hatte die Forderung, die auch eine Abkehr von der Reformpolitik unter SPD-Kanzler Schröder darstellt, zunächst zurückgewiesen.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Berliner SPD, Christian Gaebler, bezeichnete Münteferings Haltung als "unsouverän". Wenn sich etwas in der Praxis als Problem erweise, müsse man nachsteuern. "Ältere Arbeitnehmer, die länger gearbeitet haben, sollten auch länger ALG I bekommen", sagte Gaebler.
Das ist seit Jahren die Position der Berliner SPD: Bereits 2003 hatte der Landesverband auf einem Parteitag eine Resolution zu Schröders Reform-Agenda beschlossen. Die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer sei nicht der richtige Weg, heißt es da. Eine Einschätzung, welche die SPD-Parteiführung abwehrte. Und die stattdessen Oskar Lafontaine (Linke) vertrat.
Auch wegen dieser Konkurrenz von links waren viele Genossen nun über den Beck-Vorstoß erfreut. "Der Kurswechsel ist notwendig. Wir müssen wieder linkere Positionen besetzen", sagte Christian Haß, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Er habe Kurt Beck bereits solidarische Grüße übermittelt und ihn gebeten, seine Forderung standhaft durchzusetzen. Auch Silke Fischer, Kreisvorsitzende aus Friedrichshain-Kreuzberg, bezeichnete Becks Vorschlag als "überfällig". Da Ältere oft keine Arbeit mehr fänden, gingen die bisherigen Regelungen "an der Realität vorbei".
In den vergangenen Wochen hatte man aus dem SPD-geführten Senat ganz andere Töne vernommen. So sprach sich der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD), gegen eine allgemeine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes aus. Die Begründung: Es nutze nichts, Familien die Unterstützung zu erhöhen, "die nicht mit Geld umgehen können". SPD-Landeschef Michael Müller nahm gestern nicht nur Kurt Beck, sondern auch den Regierenden in Schutz. "Wowereit hat Recht. Es gibt Leute, die das Geld nicht verwenden, wie sie es sollten." Warum sich die Berliner SPD für ALG-I-Empfänger einsetzt, nicht aber für die Bezieher von Hartz IV? "Man muss auf beiden Seiten schauen", sagte Müller. Auch über die Erhöhung der Regelsätze werde auf Bundesebene zurzeit gesprochen.
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