Deutsche Geschäftsleute: Raus aus Afghanistan
Wolfgang Everts war mit Rudolph Blechschmidt ab und zu ein Bier trinken. Die beiden kennen sich aus Afghanistan. Die meisten Deutschen sind aus Angst wieder weg, Everts bleibt.
Seit zwei Wochen trägt Wolfgang Everts, der Architekt, eine Pistole. Smith & Wesson, 9 Millimeter. Sie steckt in einem schwarzen Halfter an seinem Gürtel. Er hofft, dass er nie abdrücken wird. Er weiß auch gar nicht, ob er das könnte, es ginge wahrscheinlich ohnehin alles viel zu schnell. Ein Jeep im Weg, Staubwolken, bärtige Turbanträger, Maschinengewehre, gebrüllte Befehle. Sie würden ihn später filmen, irgendwo in den Bergen vielleicht, den Abzug der deutschen Soldaten fordern, und seine Frau in Hamburg müsste ihn in den Nachrichten sehen. Wolfgang E., entführt in Kabul.
Der Start: Nach der Petersburger Afghanistan-Konferenz organisierte die Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf relativ spontan ein dreitägiges Wirtschaftstreffen, bei der der afghanische Präsident Karzai deutsche Mittelständler traf. Es habe damals ein "Rieseninteresse" und "intelligenteste, kreativste" Vorschläge gegeben, erinnert sich ein Mitarbeiter.
Die Landung: Nach der Konferenz stießen die engagierten Unternehmer zusehends auf Schwierigkeiten. Die politische Lage war weniger stabil, als angenommen. Oft wussten interessierte Firmen nicht, wer nun bei den Behörden wofür zuständig war. Es gab viel zu wenig qualifizierte Afghanen. Die meisten waren während der Kriege und der Taliban-Herrschaft ins Ausland geflohen. "Der Enthusiasmus ist sicherlich ab 2004 sehr stark abgeflacht", heißt es bei der IHK Düsseldorf. Viele andere Handelskammer bestätigen das.
Die Lage: Die etwa 50 deutschen Unternehmen, die in Afghanistan Straßen oder Kommunikationsnetze aufbauen, Fuhrunternehmen betreiben oder als Berater Beamten ausbilden, müssen derzeit vor allem zusehen, dass sie ihre Mitarbeiter vor Anschlägen oder Entführungen schützen. "Die Sicherheitslage ist natürlich ein gewaltiges Problem", sagt Stephan Kinnemann, der die Regierung Karzai berät. Die afghanische Verwaltung hält er in manchen Fragen immer noch für "hoffnungslos überfordert". Trotzdem fordert er mehr Aufbauhilfe: Die Menschen müssten sehen, dass sich etwas ändert.
So wie Rudolf Blechschmidt, der Ingenieur, den seine Entführer nach Monaten endlich wieder freigelassen haben, "der Rudolf", mit dem er gelegentlich in Kabul ein Bier trinken war.
Everts hält die Angst, so gut es geht, von sich fern. Aber er weiß, dass es immer gefährlicher wird. Er liest jede Woche von Entführungen in der Kabul Times oder in Kabul Today. Deshalb hat er jetzt die Pistole. Was auch immer die bringt. Er kann jetzt nicht raus aus Afghanistan, noch nicht. "Das wäre wirtschaftlicher Selbstmord." Everts, der Hamburger Architekt, ist einer der wenigen, die bleiben, in einem Land, dass andere deutsche Firmen längst wieder verlassen haben.
Am Anfang waren noch alle euphorisch. Vor vier Jahren traf der afghanische Präsident in Düsseldorf deutsche Unternehmer. Die Mittelständler hatten viele Ideen und wenige Sorgen, was die fehlenden Banken, die zerstörte Infrastruktur, die Sicherheit im Nachkriegs-Afghanistan anging. Sie sehnten sich schon so lange nach einem Aufschwung, und dort, nur sieben Flugstunden entfernt, schien er wieder möglich.
Es lief in dieser Zeit auch für das Architekturbüro Everts & Reich nicht besonders. Wolfgang Everts suchte neue Kunden. Er überlegte, es im Irak zu probieren und flog mit einer Wirtschaftsdelegation nach Amman, ins benachbarte Jordanien. Selbst von dort aus wurde ihm klar, "dass das ein zu heißes Pflaster ist." Einige Monate später landete er mit einer Maschine der Ariana Afghan Airlines auf dem Flughafen Kabul. Die Stimmung in den Räumen der Handelskammer war so zuversichtlich wie in Düsseldorf. Everts sprach mit Exilafghanen, die riesige Einkaufszentren bauen wollten, Industrieparks, ein Messezentrum. Er traf Vereinbarungen, stellte sich im Städtebauministerium vor und begann Pläne zu entwerfen. Direkt am Flughafen sollten eine Einkaufsmeile mit 12.400 Quadratmetern Fläche entstehen, Wohnungen, Büros, ein Hotel. Der Titel des Projekts: Twin Towers Kabul, wie die gefallenen Zwillingstürme von New York. Es hätte ein Shopping-Mall-Mahnmal werden können.
Irgendwann fragte ihn der Geschäftsmann, für den er die Twin Towers plante, ob er vielleicht einen Investor wüsste. Everts schluckte. Der Mann besaß offenbar Land, aber nicht genug Geld für so ein Großprojekt. Wolfgang Everts telefonierte nach Deutschland. Ein, zwei Anrufe. Dann wollte er sich von seinen Gesprächspartnern nicht noch einmal für verrückt erklären lassen. "Ist ja klar", sagt er, "was machen Sie mit einem Gebäude in Kabul, wenn es hart auf hart kommt? Damit können sie ja nicht fliehen." Er begann zu ahnen, dass der afghanische Aufschwung Zeit kosten würde. Von seinen zwölf Projekten hat er schließlich zwei verwirklicht.
Janke Hansen ist heute eigentlich ganz froh, dass es nicht geklappt hat. Auch wenn er ungern an die Entführung zurückdenkt. Hansen ist studierter Betriebswirt und Geschäftsführer der Industrie Anlagen Vertrieb GmbH IAV, ein langer Mann mit jungem Gesicht, seine Unterlagen stecken in einer dunklen Ledermappe. Auch er ist einmal mit einer Wirtschaftsdelegation in Kabul gelandet. Da hat er sich zügig einen afghanischen Partner gesucht, der ein Grundstück besaß, um bald beim Flughafen Masar-i-Sharif das Verwaltungsgebäude der neuen Getränkefabrik hochziehen zu lassen. Es sollten dort PET-Flaschen mit Wasser und Säften gefüllt werden, Granatapfel, Traube, Mango. 360.000 Flaschen täglich.
Sein Partner nahm Hansen herzlich auf. Sie aßen zusammen Lamm, er schlief bei der Familie, auf Bastmatten, auf dem Boden. In der Nacht, als nach dem ersten Schlamm das Trinkwasser aus der Bohranlage sprudelte, freuten sie sich gemeinsam. Hansen schickte das Wasser in ein deutsches Labor. Die Werte waren perfekt. In Japan stand schon die Produktionsstraße bereit. Sie hätte sofort geliefert werden können.
Davor wollte der deutsche Geschäftsführer der neu gegründeten Afghan German Corporation nur noch prüfen, ob das Land, das der Partner eingebracht hatte, auch wirklich der gemeinsamen Firma gehört. Er versuchte bei einer Bank einen Kredit darauf aufzunehmen. Es war ein Test. Er misslang. Die Grundstückspapiere lauteten auf den Eigentümer, nicht auf die Corporation. Hansen bat den Partner, das zu ändern. Der versprach es, aber er tat es nicht.
Weil er keine Fabrik auf ein Gelände bauen lassen wollte, das der Firma gar nicht gehörte, ließ Hansen erst langsamer bauen, dann gar nicht mehr. Er zog seine Leute ab. Am Ende war nur noch einer dort, ein Ingenieur aus Aserbaidschan. Der afghanische Partner verlangte 20.000 Euro dafür, dass er Autos und Material für den Bau besorgt hatte. "Ich zahle", sagte Hansen, "aber lass erst meinen Mitarbeiter gehen." Irgendwann verlangte der Partner 500.000 Dollar. Er stellte dafür sogar eine Rechnung. Verschiedene afghanische Ministerien forderten die IAV GmbH auf, dazu Stellung zu nehmen. "Ohne zu prüfen, ob die Forderungen berechtigt sind", sagt Hansen.
Den aserbaidschanischen Ingenieur hielt der Partner nun fest. Der Geschäftsführer wandte sich an amnesty international und das Auswärtige Amt. Wäre der Aserbaidschaner ein Deutscher, läge die Sache anders, erklärte man ihm dort nach etlichen Anrufen. Schließlich lieferte Hansen über iranische Mittelsmänner Maschinen und Geld im Wert von 200.000 Dollar. Der Ingenieur kam frei und konnte über Pakistan fliehen. Für eine geregelte Ausreise fehlte ihm das Visum.
Das Verwaltungsgebäude der Afghan German Corporation steht heute immer noch leer. Manchmal fahren Coca-Cola-Laster daran vorbei. Die Grundstücksfrage ist nach wie vor nicht geklärt. Aber Janke Hansen sagt sowieso: "Ich gehe in kein Land, wo Geiseln mit dem Tode bedroht werden." Er meint damit Leute wie Rudolf B.
"Arme Menschen", sagt Wenzl Hruby, "diese Ingenieure." Wenigstens ist einer wieder freigekommen, lebendig. Hruby sitzt auf einem Stuhl mit weinrotem Lederbezug, hinter ihm Generatoren von Honda, vor ihm, an die Wand gelehnt, Wüstenbilder mit Kamelen. "Die waren nicht fit, die waren nicht vorbereitet", sagt er und dreht einen Kugelschreiber auf und zu. "Solche Leute haben in so einem Land nichts zu suchen." Zu und auf. Hruby ist 69 Jahre alt. Er geht mit seiner Firma überall hin, "wo es knallt", baut Satellitenanlagen auf, liefert Funkgeräte, Telefone. Hruby, der Triathlet, kennt die Grundregeln: Bart wachsen lassen, alte Sachen anziehen, im Hotel mindestens zwei Fluchtwege haben - oder eine Strickleiter. Vor frisch gewaschenen, jungen Muslimen in Acht nehmen: Die wollen in den Himmel. Hruby riecht die Gefahr. Ihm ist noch nie etwas passiert. Nur einmal hat er sich mit einem Gewehr in den Fuß geschossen. Aus Versehen. Rudolph Blechschmidt und der im Juli erschossene Rüdiger D. - zwei herzkranke Ingenieure in Afghanistan! So was versteht Hruby nicht.
Es ist nicht nur wirtschaftliche Not, die die Leute dorthin treibt, sagt Wolfgang Everts. Er kennt auch einen pensionierten Straßenbauer aus Hamburg, 63 Jahre alt, der nicht länger Unkraut jäten wollte. Straßen bauen ist am gefährlichsten, draußen auf dem staubigen Land, wo, anders als in Kabul, kaum Militär sichert. Der Altersdurchschnitt sei jedenfalls sehr, sehr hoch, beobachtet Everts in den Restaurants der Stadt, wo er andere Deutsche trifft: "Für manche ist Afghanistan die letzte Herausforderung im Leben."
Der Krisenkommunikationsdienstleister Hruby ist 1974 zufällig dort gelandet. Mit einer Maschine der Pakistan International Airlines, Notlandung auf einem Rückflug von Thailand, sagt Hruby und lacht meckernd. Er ging in ein Ministerium und fragte nach Aufträgen. Er bekam einen, blieb da, rüstete die Polizei aus, später die Russen, die Taliban, im Krieg, 2001, die Journalisten.
Danach wollte er eine Satellitenstation aufbauen, das Ding war eigentlich in trockenen Tüchern, er kannte den Kommunikationsminister, der hatten den Job schon unter den Taliban gemacht. Aber in letzter Minute forderten die USA eine Ausschreibung - die dann eine amerikanische Firma gewann. "Man kommt an den Amerikanern nicht vorbei", sagt Hruby. Die würden sehr gut aufpassen, dass da, wo sie finanziell helfen, auch US-Firmen profitieren. Die Deutschen, sagt Hruby, geben ihr Geld einfach so. Deshalb ist Hruby jetzt raus. Nach über dreißig Jahren. Er hat anderswo zu tun. Sudan etwa.
Wolfgang Everts bleibt. Nachdem die ersten Projekte geplatzt waren und er zwischenzeitlich das Land fast schon wieder verlassen hatte, kam zufällig ein neuer Auftrag. In diesen Tagen wird die Renovierung des Kabuler Flughafens fertig, die er geleitet hat. Everts hat kapiert, wie die Dinge laufen. Man braucht Kontakte in die Ministerien. Ein bisschen Bargeld hilft. Er hat sich einen einheimischen Partner genommen. Dazu sagt er nur so viel: "Er akquiriert die Aufträge. Ich mache die Abwicklung. Ich stelle keine Fragen." Es gibt neue Vorhaben, die größer sind und sicherer als die wackligen Twin Towers.
Everts erlebt zurzeit seinen Aufschwung. Wenn er in zwei oder drei Jahren Afghanistan verlässt, kann er vermutlich aufhören zu arbeiten und in den Vorruhestand gehen. Mit 60. "Denk dran, dass wir das Geld gemeinsam ausgeben wollen", sagt seine Frau manchmal. Er versucht aufzupassen. Wenn ein Militärfahrzeug überholt, fährt er rechts ran und wartet, bis es außer Sichtweite ist. Die meisten Anschläge gelten den Soldaten. Kabul verlässt er nur gemeinsam mit afghanischen Freunden. Und er hat jetzt die Pistole. Vor einigen Wochen ist eine Rakete in einen Hügel direkt neben seinem Haus eingeschlagen. Ein paar Meter weiter links und die Smith & Wesson hätte auch nicht geholfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen