Mindestlohn: Berlin steht nicht mehr auf billig
Firmen, die im Auftrag des Landes arbeiten, sollen künftig Tarifverträge oder Mindestlöhne von 7,50 Euro vorweisen können. Doch Berlin hält sich nicht an die eigenen Regeln - etwa bei der PIN AG.
Der Senat will künftig seine Auftragsvergabe an Unternehmen daran knüpfen, dass diese soziale Mindeststandards erfüllen. Entweder müssen die Firmen dem Land nachweisen, dass ihre Arbeitskräfte den jeweiligen Berliner Tariflohn verdienen. In Branchen ohne Tarifvertrag müssen Firmen versichern, ihnen Beschäftigten mindestens 7,50 Euro pro Stunde zu zahlen. Eine geplante Gesetzesänderung präsentierte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) am Dienstag. Öffentliche Hand und landeseigene Unternehmen vergeben jährlich Aufträge in Höhe von 4 bis 5 Milliarden Euro. Die Prestige-Entscheidung hat nur einen Haken: Ausgerechnet der umstrittene Vertrag Berlins mit dem Briefzusteller PIN AG ist davon vorerst nicht betroffen.
Erst seit Anfang Oktober gilt der neue Vertrag zwischen dem privaten Postdienstleister und dem Senat. Die PIN AG kümmert sich danach für ein weiteres Jahr um die Briefzustellung der Landes- und Bezirksbehörden - 100.000 Briefe täglich an 250 Tagen im Jahr. Das Unternehmen steht seit Jahren in der Kritik, da es seinen Briefzustellern lediglich 7,18 Euro pro Stunde zahlt. Damit liegt sie laut Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di um 30 Prozent unter den bestehenden Tarifstandards - und deutlich unter den nun vom Senat formulierten Anforderungen. Wowereit bestätigte, dass die neuen Regelungen nicht beim jüngst geschlossenen Vertrag mit der PIN AG greifen.
Das ist peinlich für Rot-Rot. Bereits im Koalitionsvertrag vom November 2006 haben SPD und Linkspartei vereinbart, Aufträge künftig nur noch an Unternehmen zu vergeben, die nach Tarifvertrag beschäftigen. Diese Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit soll sich im kommenden Jahr schließen. Zunächst muss die Gesetzesänderung das Abgeordnetenhaus passieren. Wenn im Sommer 2008 neue Verhandlungen darüber anstehen, wer künftig die Briefe des Senats transportiert, habe die PIN AG zwar die Option auf eine Vertragsverlängerung, sagt die Sprecherin der Innenverwaltung, Nicola Rothermel. "Das heißt aber nicht, dass die Konditionen bleiben müssen, wie sie sind."
Der kleinere Koalitionspartner will in den anstehenden Parlamentsberatungen darauf dringen, in Berlins Vergaberecht weitere Mindeststandards zu verankern. Firmen müssten künftig unter anderem "ökologischen und geschlechtsspezifischen" Ansprüchen genügen, forderte der wirtschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, Stefan Liebich.
Auch den Grünen gehen die gestern verkündeten Gesetzesänderungen nicht weit genug. Deren wirtschaftspolitische Sprecherin Lisa Paus fordert, Auftragsvergaben sollten auch berücksichtigen, ob die Unternehmen soziale Kriterien berücksichtigen. So solle beachtet werden, in welchem Maß die Firmen Menschen mit Behinderungen ausbilden und beschäftigen oder die Gleichstellung von Frauen fördern.
Schon jetzt lobt sich der Senat selbst als "Vorreiter" in diesem Gebiet. Gleichzeitig drohen im Bund die monatelangen Bemühungen zu scheitern, Briefverteilern und -zustellern einen Mindestlohn per Gesetz zu sichern. Wowereit gab sich am Dienstag entsprechend demütig: "Mit unserem Vergabegesetz können wir keinen Tarifvertrag ersetzen."
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