piwik no script img

Bespitzelung-Skandal bei LidlHauptsache Arbeit!

Der Discounter Lidl behandelt seine Mitarbeiter nicht nur schlecht, er lässt sie fürsorglich auch bespitzeln. Eine Ausnahme - oder folgt dem flexiblen Arbeitsmenschen nun der überwachte?

Wir sind nun mal das Volk und wollen Prosecco für 1,59 Euro - und Betriebsräte, worin Lafontaine schon 2005 die Lidl-Mitarbeiter bestärkte. Bild: dpa

Das System Lidl hat mal wieder ein Problem. Erst war es das "Schwarzbuch Lidl", dann das "Schwarzbuch Lidl Europa". Der jüngste Skandal: Die umfassende Bespitzelung von Angestellten, ausgeführt von privaten Dedekteien.

Das System Lidl besteht unter anderem aus 7271 Lidl-Märkten und gehört dem "Discounter Paten" (FAZ) Dieter Schwarz, dessen Besitz auf rund zehn Milliarden Euro geschätzt wird. Anders als den seinerzeit bereits insolventen Erich Honecker, Oberhaupt eines anderen Systems, sieht man den Paten nie auf Veranstaltungen oder Kundgebungen. Und anders als damals in der DDR ist es nicht die Evangelische Kirche, die den Geknechteten des Systems Unterschlupf zu gewähren sucht, sondern die Gewerkschaft Verdi: "Das System Lidl leistet einen Offenbarungseid" verkündete die Verdi-Bundesvorsitzende Margret Möning-Raane. Verdi ringt schon seit Jahren mit dem Discounter-Riesen, fordert die Einrichtung von Betriebsräten, es gibt derer bislang genau sechs, und den Abschluss von Tarifverträgen - jetzt erst recht.

Doch die andere Seite, das System, verteidigt sich mit allen Mitteln. Es versucht "die Kröten" - Arbeitgeberjargon für Arbeitnehmer - in Schach zu halten. Wie das Manager Magazin aufdeckte, ist das Leben selbst für höhere Angestellte bei Lidl nicht so komfortabel wie die Sitze ihrer Dienswagen: Das Arbeitsleben bei Lidl gleiche einem militärischen Ausbildungslager. Und natürlich werden in militärischen Zusammenhängen Geheimdienste eingesetzt.

Dem Magazin Stern ist es nun zu verdanken, dass Teile dieser Bespitzelungsprotokolle veröffentlicht wurden: "Frau N. ist an beiden Unterarmen tätowiert, diese sehen jedoch mehr nach 'Marke Eigenbau' aus, für, insbesondere ältere Kunden, könnten diese auch als Gefängnis-Tätowierungen gedeutet werden. Man sollte Frau N. anweisen, die Unterarme während der Arbeitszeit, insbesondere an der Kasse, bedeckt zu halten".

Was sind das für Leute, die in diesen Detekteien arbeiten? Ex-MFS-Offiziere oder doch eher Ex-Arbeitslose Absolventen des Studiengangs Ethnologie? Die Protokolle bieten nur einen schemenhaften Einblick in ihre Psyche. Als ob ihre Aufgabe nicht schon schwer genug wäre - herumliegende Gegenstände im Lager machen es ihnen fast unmöglich, zwecks Anbringung ihrer Überwachungskameras die Dachluken zu erreichen - ist auch noch "der Heizkörper in der Herrentoilette defekt". Dann der "üble Geruch" aus dem Aufenthaltsraum, fast fühlt man sich an Jonathan Littells lakonischen, staunend-distanzierten Blick erinnert: "Seit Mittwoch liegt nun unübersichtlich eine geschlossene Packung ,I love Milka' ganz oben auf den angebotenen Damenbinden."

Die Protokolle gewähren jedoch vor allem einen - durchaus voyeuristisch-stimulierenden - Blick in die Welt jener Menschen, die man sonst nur in Trash-Talkshows oder bei Big-Brother zu sehen bekommt. Lidl-Angestellte mit selbstgemachten Tätowierungen, die sich laut Protokollen nicht die Hand vor den Mund halten, wenn sie niesen und wie "Frau C. und Frau S." keine Lust auf eine Schulung in Braunschweig haben.

Wer hätte das schon. Aber die Protokollierten müssen. "Fordern und Fördern". Sie sind Repräsentanten der Agenda 2010 auf dem Stand des Jahres 2008. Sie müssen sich Geld auf Geringerverdiener-Basis dazuverdienen und froh sein, überhaupt eine Stelle im System gefunden zu haben. Fordern und Fördern - Gängelung und Überwachung sind sie schon von der Bundesagentur für Arbeit gewohnt.

So liegt unter dem Skandal der Bespitzelung ein weiterer: Der Inhalt der Protokolle. Etwa ein belauschtes Telefongespräch einer Mitarbeiterin die sich gerne für den Abend mit einer Freundin zum Kochen verabreden würde, aber sich nicht sicher ist, ob sie genug Geld zum Einkaufen auf ihrem Konto hat.

Wir sind eben das Volk. Und wir wollen billige Bio-Bananen und Prosecco für 1.59 Euro. Leider haben die Stasiprotokolle selbst dem System DDR gar nichts genützt: Die Informationen mündeten nicht in Reformen und es ging unter.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • M
    Michael

    ich halte die Diskussion und den Artikel für zu kurz gegriffen. Warum wird denn stets Aldi außen vor gelassen. Dort geht es genau wie bei Lidl zu.

    Ich kann auf einen wirklich lesenswerten Artikel verweisen...

    http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1422478

     

     

    Gruß Michael

  • FH
    Frank Heinze

    Wo wart ihr Linken, als Schröder diesen Agenda 2010-Mist durch das Parlament gepeitscht hat?

     

    Daß das alles weg muß, ist unbestreitbar. Aber wer protestiert heute noch dagegen?

  • S
    Spumante

    Entschuligt 'nick' und 'Christian', aber ich finde eure Kommentare angesichts dieser Vorfälle blöd.

     

    Es ist ja nicht das erstemal das Lidl auf diese Weise auffällig geworden ist. Es zeugt nicht nur von der Arroganz gegenüber den angestellten Arbeitern, sondern auch von der geringen Einschätzung der Ethik der kaufenden Kunden durch die Lidl-Führung. Die Kunden sollen ja schließlich solche Praktiken akzeptieren um nur noch "geilere" Preise zu zahlen. Ich kaufe lange nicht mehr bei Lidl, weil ich von diesen Praktiken weis und es mir leisten kann.

     

    Man sollte an Lidl ein Exempel statuieren : Völliger Boykott, keiner geht mehr dort einkaufen, bis entweder alle Filialen geschloßen werden ( ich bedauere die Arbeiter ) - oder bis sich die Konzernleitung öffentlich entschuldigt und 10 glaubwürdige Ethikgebote für sich selbst aufstellt. Das wäre dann auch ein gutes Beispiel für alle anderen am Rande der Menschenwürde operierenden Unternehmen.

     

    Schnell, bevor einer unserer Polit- oder Führungsamateuere diese Sache für sich requiriert.

    Die kotzen mich allesamt auch an !

     

    Man merkt fast garnicht das wir freie Bürger sind.

    Soviel Freiheit wie in den letzten Jahrzehnten hatten wir einfachen Menschen noch nie in der Geschichte. Aber was haben wir daraus gemacht. Ein Trauerspiel !

     

    Spumante

  • C
    Christian

    Der "Discounter Pate"? Was für ein Discounter soll das denn sein? Selbst wenn man bei der FAZ kein Deutsch können sollte, ist das noch kein Grund, den Discounter-Paten nicht richtig zu schreiben oder wenigstens einen hämischen Kommentar über Journalisten mit dem Sprachgefühl eines Webforenposters abzulassen.

  • N
    nick

    "Wir sind eben das Volk. Und wir wollen billige Bio-Bananen und Prosecco für 1.59 Euro."

     

    das ist billige polemik (0.99 euro) die mit dem beschriebenen skandal nix, mit der verachtung des autors für die lidl-kundschaft hingegen alles zu tun hat. oder wie macht überwachung bio-bananen-prosecco billiger?