Schule und Grüne: Grüne wählen Kompromiss
Parteitag wählt den weniger blassen Kandidaten Stefan Gelbhaar zum neuen Landeschef. Die Basis bekennt sich zur Gemeinschaftsschule und zum Gymnasium.
Berlin bleibt anders. Der neue Parteivorsitzende der Berliner Grünen, Stefan Gelbhaar, sieht derzeit keine Perspektive für ein schwarz-grünes Bündnis in der Hauptstadt: "Ich halte ein Zusammengehen mit der Pflüger-CDU zurzeit für überhaupt nicht praktikabel", sagte Gelbhaar. Sowohl in der Integrationspolitik als auch auf sozialpolitischem Gebiet sei man sehr weit voneinander entfernt.
Damit bezog der Favorit des Fraktionsvorsitzenden Volker Ratzmann gleich nach seiner Wahl Stellung. Und zwar gegen Ratzmanns schwarz-grünen Kuschelkurs mit der CDU unter Friedbert Pflüger. Gelbhaar war am Wochenende mit deutlichem Vorsprung zum zweiten Vorsitzenden neben Irma Franke-Dressler gewählt worden. Er erhielt 87 Stimmen, während die Gegenkandidatin Pia Paust-Lassen nur 50 Stimmen gewann. Die Wahl war nötig geworden, weil die bisherige Vorsitzende Oesterheld sich krankheitsbedingt zurückziehen musste. "Natürlich hätten wir uns strahlendere Kandidaten gewünscht", sagte ein Mitglied der Grünen-Fraktion nach der Entscheidung.
Osterheld war, von ihrer Krebserkrankung gezeichnet, überraschend zur Landesdelegiertenkonferenz erschienen. Unter Standing Ovations verabschiedete sie sich von den Delegierten: "Ich kann euch aber nicht versprechen, dass ich nicht doch noch einmal antrete." Im kommenden Jahr wählen die Berliner Grünen ihren Vorstand komplett neu.
Trotz Gelbhaars Bekenntnis gegen Schwarz-Grün sorgte das neue Hamburger Bündnis kaum für Diskussionsstoff in den Reihen der Delegierten. Sinngemäß war der Tenor: Hamburg ist Hamburg, Berlin ist Berlin. Und angesichts des bevorstehenden Volksentscheids über die Zukunft des Flughafens Tempelhof rückt die CDU sowieso ins gegnerische Lager.
Mehr Emotionen entzündete dagegen das Hauptthema, die Bildungspolitik. Die Grünen stimmten mehrheitlich für ein zweistufiges Schulsystem - und rückten damit doch wieder in CDU-Nähe. Sie wollen in der kommenden Legislaturperiode alle Schulen ohne gymnasiale Oberstufe zu Gemeinschaftsschulen umwidmen. Das Gymnasium soll daneben aber zunächst bestehen bleiben. "Wir zwingen das Gymnasium, sich zu reformieren, bis dann irgendwann nur noch das Türschild übrig bleibt", kündigte der bildungspolitische Sprecher der Grünen Özcan Mutlu an. Die hochschulpolitische Sprecherin Anja Schillhaneck warnte dagegen vor der Gefahr, dass eine Zweiklassengesellschaft bestehen bleibe. "Auf welche Schule würdet ihr denn eure Kinder schicken: auf die neuen Gemeinschaftsschulen oder auf die Gymnasien?", wollte sie von den Delegierten wissen. Schillhaneck, die dem Landesvorstand angehört, hatte dafür plädiert, auch die Gymnasien zu Gemeinschaftsschulen zu machen. Vor einem Kulturkampf gegen die Gymnasien und die eigene Wählerschaft warnte dagegen der Reinickendorfer Bezirksverordnete, Heiner von Marschall.
Die Grünen einigten sich ebenfalls darauf, den Elternwillen zu stärken. Sie wollen Schulen in freier Trägerschaft finanziell besser ausstatten und die Einschulungsbezirke ausweiten. Kritik an den Beschlüssen äußerte die Friedrichshain-Kreuzberger Schulstadträtin Monika Herrmann. Sie warf ihren Parteifreunden Doppelzüngigkeit vor: "Das ist reine Selektionspolitik und hilft erst einmal der eigenen Klientel."
Ein Trostpflästerchen für die linken Grünen fiel dann doch noch ab: Die Delegierten stimmten für den Antrag des Sozialaktivisten Christian Specht, den freien Sender Radio 100 wiederzubeleben. Der Sender war in den 80er- und 90er-Jahren die Plattform von Autonomen, Bürgerrechtlern und Linksradikalen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen