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Kommentar FrischmilchDie Milch machts länger

Kommentar von Hanna Gersmann

Ministerin Aigner muss sich dringend um das Kühlregal kümmern. Aldi und Co. dürfen nicht einfach verschleiern, dass ihre frische Milch gar nicht so frisch ist.

A m besten, jeder kauft sich eine Kuh. Denn: Aldi und Co. verbannen die Frischmilch aus ihren Regalen. Sie schmeckt ihnen nicht mehr, weil sie schnell schlecht wird und das Geschäft verdirbt. Das neue Sortiment in der Kühltheke ist damit ein Lehrstück über die Macht des Handels: Ob manche Kunden Frische wichtiger finden als Haltbarkeit, spielt eine ärgerlich geringe Rolle. Der Verbraucher entscheidet längst nicht mehr uneingeschränkt selbst, was in seinem Kühlschrank landet.

taz

Hanna Gersmann ist stellvertretende Leiterin des taz-Ressorts Wirtschaft und Umwelt.

Wer vier Wochen haltbare Milch praktisch findet, der soll diese natürlich kaufen können- bitte schön. In diesem Fall geht es aber darum, ob die Kunden eine Wahl haben. Muss, wer Frischmilch haben will, in Zukunft im Bioladen oder im Reformhaus danach suchen? Allerdings gibt es noch immer Orte, in denen es nur einen kleinen Edeka gibt. Und nicht jeder leistet sich den Bioaufschlag. Frische Milch ist aber gesünder als hoch erhitzte Milch, weil sie mehr Vitamine hat. Und gesunde Lebensmittel stehen jedem zu.

Darum muss sich dringend CSU-Agrarministerin Ilse Aigner um das Milchregal kümmern. Die Qualität des Essens ist eine politische Angelegenheit. Der erste Schritt: Der Lebensmittelhandel muss zu einer klaren und verständlichen Kennzeichnung auf den Milchtüten gezwungen werden. Bisher ist der Kunde der Dumme: Dass er alte Milch kauft, bekommt er nämlich nur mit, wenn er sehr genau hinguckt. Dabei dürfte so manchem der Geschmack vergehen, wenn er wüsste, was er in den Einkaufskorb packt. Die Supermärkte würden sich dann sicher nicht so leicht von Qualität verabschieden.

Bleibt ein Problem: Lebensmitteletiketten setzen auf den aufgeklärten Verbraucher, der immer gut informiert ist, sich mit Ernährungstrends auseinandersetzt und bewusst einkauft. Das macht und kann aber nicht jeder. Kinder oder weniger Gebildete werden so mit Sicherheit abserviert. Ministerin Aigner könnte zum Beispiel auch dafür sorgen, dass an Schulen frische Milch, aber auch Lebensmittel- und Kochkurse angeboten werden. Die Politik muss sich jedenfalls einmischen, wenn sich Deutschland nicht zu einer Zwei-Essens-Gesellschaft entwickeln soll.

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taz-Autorin
War von 2002 bis 2013 in der taz, leitete dort zuletzt das Inlandsressort. Jetzt gehört sie zum Büro die-korrespondenten.de im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Sie schreibt vor allem über Umwelt-, Verbraucher- und Wirtschaftspolitik.
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9 Kommentare

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  • K
    katja

    Konsumenten sollten die Wahl haben, welche Variante sie kaufen wollen, weshalb eine genaue Kennzeichnung unabdingbar ist.Versuche, den sogenannten Verbraucher zu einem besseren Menschen, der nur noch Bio kauft, machen zu wollen empfinde ich als zwecklos, aber wenigstens sollten Mindeststandards bei der Deklaration eingehalten werden. Trotz einigermaßen vorhandener Bildung habe ich Probleme zu erkennen, was ich denn nun kaufe. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Die Weihenstephan-Milch im Tetra-Pack ist m.E. ESL-Milch, die in der Flasche wohl "normale" Frischmilch. Auf dem Tetra-Pack ist die Deklaration jedoch extrem verbesserungswürdig, da es mir erst nach Lesen des langen Textes aufgefallen ist.

  • AH
    Andreas H.

    Es wird immer über Vitamine geredet.. wie sieht es denn mit Enzymen aus? Oder, was geht sonst noch durch Erhitzen verloren?

     

    Mit etwas mehr Recherche hätte man auch noch mehr aus dem Artikel machen können! Oder es reicht vielleicht für einen neuen Artikel :)

     

    Wir haben uns schon zu sehr an die Idee gewöhnt daß alles Lebendige im Essen gefährlich sei!

     

    vg aus Aachen

  • S
    Sonntag

    Kleiner Tipp: Frischmilch gibts noch von Hansano und Landliebe. Ansonsten mal das PDF-Dokument von der Verbraucher-Beratung Hamburg herunterladen.

  • DT
    Dietmar Thesing

    Die Entscheidung, ob ich als Verbraucher frische Milch haben will, oder aufgekochte, diese Entscheidung kann ich als Verbraucher kaum noch treffen - bei mir im Umkreis gibt es einfach keine mehr. Ein Auto habe ich nicht. Milchbauern in der Nähe gibt es nicht. Ja, ich muss selbst entscheiden - das geht aber nur, wenn ich die Freiheit der Wahl noch habe!

     

    Ich bezweifle auch, dass die hocherhitzte ESL-Milch noch die gleichen Vitamine und Vitaminmengen hat. Die gleiche Zusammensetzung kann sie nicht haben, weil sie nun einmal anders schmeckt.

     

    Gruß

    Dietmar Thesing

  • S
    Sonntag

    Ich bin dagegen, den Verbraucher aus Glatteis zu führen. Und wenn Milch in einer für den Verbraucher relevanten Weise verändert produziert wird und diese Veränderung nicht transparent gemacht wird, sondern praktisch in der gleichen Verpackung daherkommt und mit einem Hinweis, der für den Konsumenten nicht aus sich heraus zu entschlüsseln ist, dann ist das im wahrsten Sinne des Wortes Etikettenschwindel.

     

    Selbstverständlich soll jeder das wählen, was er für richtig hält - aber man muss es ihm auch ermöglichen, und ihm nicht ein X für in U unterjubeln.

  • M
    Mallo

    Wieso sollen "weniger Gebildete" mit Lebensmitteletiketten nichts anfangen können? Ist das eine Fähigkeit, die nur Studierte haben?Glauben Sie, ich achte beim Einkauf nur auf bunte Bilder auf der Verpackung, weil ich zu dumm bin einen Text zu lesen oder eine Etikette zu verstehen, oder was? Und was ist das Gegenteil von einem "bewußten Einkauf"? Laufe ich unbewußt(?) im Laden umher?

    Ich finde es gut und wichtig, daß Armut und auch die schlechten Bildungschancen für Kinder aus finanziell schwachen Familien öfters ein Thema sind in der taz. Das nun aber beim Thema Milchkauf wieder die "weniger Gebildeten" herhalten müssen,genauso wie sonst die sogenannten "sozial Schwachen", finde ich zum Kotzen. Denn schließlich können auch Akademiker wenig Bildung haben und sich nicht für gute Ernährung und für die Umwelt interessieren.

    Wenn man wenig Geld zur Verfügung hat, ist man nicht automatisch wenig gebildet oder sozial schwach.

    Ach ja, mein taz-Abo mußte ich kündigen. Nicht weil ich "wenig gebildet"bin, sondern weil schlicht das Geld nicht mehr dafür ausreicht.Gruß

  • L
    Lissi

    Sehr geehrter Hr. Baumgartner, Sie schreiben, aus ernährungsphysiologischer Sicht sei H-Milch sicher nicht schlechter als frische Milch. Der Artikel enthält hingegen die Aussage, dass das Erhitzen Vitamine abtötet.

    Außerdem schreiben Sie, dass der Verbraucher schon entscheiden wird, ob er frische oder längerfrische Milch haben möchte. Ja! Das hoffe ich auch! Und ich denke, dass viele Verbraucher weiterhin nach echter frischer Milch verlangen werden. Allerdings finde ich bei dieser Entscheidung extrem kontraproduktiv, dass längerfrische Milch auf der Packung als frische Milch bezeichnet wird! Wieviele Verbraucher wollten eigentlich frische und haben die falsche erwischt?! Das verfälscht doch das Bild!

    Mir schmeckt die frische Milch definitiv besser als die längerfrische, und ich habe an den Kassen dieses ab und zu auch schon verlauten lassen, wenn keine frische zu finden war. Herr Brandl vom Milchindustrieverband hat richtig erkannt, dass Geschmack subjektiv ist. Seltsam nur, dass er das als Argument gegen die Frischmilch zu verwenden scheint....

  • DB
    Dr. Baum

    Schön gedacht, nur leider am Thema vorbei - denn Milch gehört nicht ins Kühlregal, Milch gehört den Kälbern. Konsumenten sollten sich nicht die Frage stellen, möchte ich frische Milch oder andere, sie sollten sich fragen, ob es in der heutigen Zeit ethisch überhaupt noch vertretbar ist, Milch zu trinken.

    Nicht der Konsument sollte in dieser Frage die Wahlfreit haben, sondern die Kuh.

  • CB
    Christian Baumgartner

    Frische - sehr geehrte Frau Gersmann - mag wohl ein Kriterium sein, das (sehr) wichtig ist bei Lebensmitteln. Bei Milch sollten Sie aber nicht damit argumentieren, dass alles, was älter als zwei oder drei Tage ist, ungesund oder minderwertig sei. Im Gegenteil! ESL-Milch (14 Tage haltbar) oder H-Milch ist sicher - aus ernährungsphysiologischer und hygienischer Sicht betrachtet - nicht schlechter als frische Milch, sondern eher im Vorteil.

    Dass frische Milch im Geschmack anders daher kommt und vor allem etlichen psychologischen "Zusatznutzen" beinhaltet, widerspricht dieser Aussage nicht. Hier ist es am Verbraucher zu entscheiden, welches Produkt er wählt.

    Sie fordern in Ihrem Artikel den mündigen Verbraucher und sprechen ihm gleichzeitig die Mündigkeit ab - das stört mich.

    Richtig ist, dass wir heutzutage ganz allgemein viel zuwenig über unsere Lebensmittel wissen - und das sollte unbedingt verbessert werden. Diesen Teil Ihrer Forderung an die Politik unterstütze ich voll! Aber das Angebot in den Discounter-Märkten im Sinne einer vollwertigen Ernährung steuern zu wollen, das wird nur schief gehen können. Warum? Weil die Menschen das Recht haben sich zu vergiften, wenn sie es wollen. Das ist zynisch, aber wahr (und ich führe zum Beleg die freie Verfügbarkeit von Alkohol, Tabakwaren und allen möglichen anderen Suchtmitteln in unserer Gesellschaft an).

    Also: lassen Sie uns daran arbeiten, die Informationen umfassend und objektiv verfügbar zu machen. Entscheiden muss dann schon jeder selbst!