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die wahrheitDa lacht der Berliner

Neues aus der Witzforschung: Der Hauptstadt-Dialekt im Wandel.

Heinrich Zille (links) mit Freunden anlässlich eines Hofballs zu seinen Ehren im Jahr 1925. Bild: ap

Seit 1989 wird an jedem ersten Sonntag im Mai der "Weltlachtag" gefeiert - lachend natürlich. Begründet hat ihn ein Buddhist und Arzt aus Bombay. Die Idee dazu stammt aber eigentlich von einem Amerikaner, der an einer unheilbaren Krankheit litt: Als die Ärzte ihn aufgaben, zog er sich mit einem Vitaminpillenvorrat und hundert alten Slapstick-Filmen in sein Krankenzimmer zurück, um sich tot zu lachen. Zu seiner eigenen Überraschung genas er jedoch - und hat heute eine Medizinprofessur in Wisconsin inne.

Beim letzten "Weltlachtag" 2008 befand ich mich gerade in Zürich. Dort findet an diesem Tag immer eine "Lachparade" statt. Dazu organisieren verschiedene kommunale Ausschüsse jedes Mal ein umfangreiches Bühnenprogramm - mit Clowns, Kabarettisten und Humorexperten. Leider waren ihre belachtesten Beiträge im hartnäckigen Schweizer Dialekt gehalten, den ich kaum verstand.

Wieder zurück in Berlin wurde ich als Erstes mit der hiesigen Witzlosigkeit konfrontiert: Die Tochter einer Freundin aus Marzahn bewarb sich bei der Polizei - und wurde mit der Begründung abgewiesen, sie würde zu sehr "berlinern".

Man könnte eine Genealogie der "Kultivierer" des Berliner Dialekts aufstellen, beginnend z. B. mit dem Berliner Zeichner Franz Dörbeck (1799-1835). Bei Wikipedia gilt er als "Erfinder" des Berliner Witzes. Andere Größen dieser Zeit sind die Salondame Rachel Varnhagen, der Humorist Adolph Glaßbrenner - und David Kalisch, der 1848 die Zeitschrift Kladderadatsch gründete. Als Nächstes tat sich wieder ein Zeichner hervor: Heinrich Zille (1858-1929) - er porträtierte das Berliner "Milljöh" der Mietskasernen und des Subproletariats. Absurderweise wurde mit ihm der Berliner Witz, wie der Witzforscher Lothar Binger schreibt, "zum Wirtschaftsfaktor, als in den Zwanzigerjahren die Vermarktung begann".

Was Zille mit seinen Zeichnungen, war dann Claire Waldoff (1884-1957) mit ihren Liedern, in denen sie laut Binger "sozial gehobene Zillegestalten mit unbekümmerter, unbeschwerter, problemfreier geschlechtlicher Triebkraft" porträtierte - "unanstößig", wie Kurt Tucholsky meinte. Der Satiriker Tucholsky "erhob den örtlichen Slang zu unvergänglicher Literatur, er brachte seine Berliner Mitbürger unzähligen Menschen nahe". (L. Binger)

Doch wer berlinerte, galt damals wie heute als ungebildet. Neuerdings hat die Potsdamer Sprachforscherin Heike Wiese die von den Jugendlichen in den Berliner Migrantenvierteln gesprochene Kiez-Sprache gegen ihre Diffamierung als "doppelte Halbsprachigkeit" verteidigt, indem sie ihren Witz betonte. Als Beispiel dafür sei hier die Drohung "Isch mach disch urban!" erwähnt (mit Urban ist das Kreuzberger Zentralkrankenhaus gemeint). Hundert Jahre zuvor hieß es: "Dir soll ick woll dezentralisieren?"

Lothar Binger, der 2006 das Buch "Der Berliner Witz. Zwischen Größenwahn und Resignation" veröffentlichte, zog darin eine quasi gerade (historische) Linie vom preußischen Hof- und Salonwitz über die "Berliner Schnauze" bis zu den heutigen Kurt-Krömer- und Désirée-Nick-Shows. Er führt den Berliner Witz auf die niedergeschlagenen Aufstände 1448, 1848 und 1918 zurück: "An die Stelle der realen Befreiung trat das symbolische Aufbegehren im vom Witz verursachten ,befreienden Lachen', das tatsächlich keine Befreiung war, sondern nur eine Erleichterung."

Im Unterschied zu Binger hat sich der Witzforscher Clement de Wroblewsky eher für die "Außenkontakte" des DDR-Witzes interessiert. "Es war ja im Prinzip ein Berliner Humor. Wie überhaupt das Modulieren von Gassenhauern und Ähnlichem in Großstädten geschieht. Der DDR-Humor hat berlinisch-märkische Ursprünge. Und während z. B. der sächsische Humor oft unfreiwillig und teilweise aggressiv war, ist der Berlinische zu intelligent, um aggressiv zu sein." Man darf dabei jedoch nicht vergessen: Die Hälfte aller DDR-Witze ist von der Springerpresse erfunden worden. So wie sie sich in Westberlin das Wort "Schwangere Auster" für die Kongresshalle und "Hohler Zahn" für die Gedächtniskriche ausdachten.

Bei einem Gutteil der DDR-Witze wird laut Wroblewsky klassisches Witzgut verwertet: jiddische Witze, die zum Teil aus Polen kamen (polnische Witze gab es ansonsten nicht), dann russisch-sowjetische und eben der Berliner Witz. Sonja fragt ihren Bruder: "Steht mir der Strohhut jut?" "Ausjezeichnet. Wie ausn Kopp jewachsen!"

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