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Auf dem Sprung

KORRESPONDENTEN Die „Zeit“ gibt ihr Moskauer Büro auf. Die ARD streicht Stellen in London und Paris, beim ZDF bilden gerade mal drei Journalisten den „Reporter-Pool“. Die Aufgaben der Experten übernehmen Reporter – deren Ortskenntnis aber oft nur mangelhaft ist

„Jeder Korrespondent kostet immerhin so viel wie zwei Redakteure in der Zentrale“

BERND ULRICH, „ZEIT“-POLITIKCHEF

VON DANIEL BOUHS

Die Zeit meldet einen Auflagenrekord – und dennoch gönnt sie sich kein Leben im Überfluss. Zwar verkaufte sich die Wochenzeitung aus Hamburg im jüngsten Vierteljahr mit im Schnitt knapp 514.000 Exemplaren so oft wie nie zuvor. Politikchef Bernd Ulrich aber darf offenbar trotzdem nicht kleckern, wenn es darum geht, seine Redaktion zu verschlanken. So macht er derzeit gleich zwei Büros im Ausland dicht, davon eines mit großer Tradition.

Ulrich sitzt in seinem Berliner Büro und erklärt, was in der Korrespondentenszene einen kleinen Aufschrei provozierte. Ja, er schließe in diesem Jahr das Moskauer Büro der Zeit, denn nur mit einem solchen Verzicht könne er einen neuen Standort gründen.

„Ich stehe dazu, dass wir nachhaltig arbeiten“, sagt Ulrich, der als Mitglied auch für die Chefredaktion spricht. „Dazu gehört, dass wir nicht über Gebühr leben.“ Dem Erfolg zum Trotz müsse seine Redaktion deshalb „immer wieder hinterfragen, wo wir wirklich einen festen Mitarbeiter brauchen – und wo nicht“. Und Russland, sagt Ulrich, sei unter Wladimir Putin nun mal „quasi eingefroren“, nur noch „eine Schein-Weltmacht“.

Profiteur dieser Kürzung, der auch der Mitarbeitervertrag des bisherigen Moskau-Manns der Zeit zum Opfer fällt, ist Lateinamerika. Die Wochenzeitung eröffnet ein Büro in Rio de Janeiro. „Das ist erst mal auf vier Jahre angelegt und der Versuch, Lateinamerika stärker ins Blatt zu rücken“, sagt Ulrich. Er entsendet den bisherigen stellvertretenden Leiter des Wirtschaftsressorts Thomas Fischermann. Der trägt aktuell den Titel „Koordinator Weltwirtschaft“ und lebt mit einer Brasilianerin zusammen.

Brasilien ist im Kommen, nicht allein als aufstrebende Wirtschaftsmacht, sondern schon aus ganz profanen Gründen, die aber in Redaktionen viel zählen: Im nächsten Jahr lockt dort die Fußballweltmeisterschaft, zwei Jahre später sind es die Olympischen Spiele. Der dann übliche Rudeleffekt: Auch die großen Sender bereiten sich längst auf diese Zeit vor, beispielsweise das ZDF.

Theo Koll, Leiter der Superredaktion Politik und Zeitgeschehen und damit Chef der In- und Auslandsstudios, kündigt schon mal an, „rechtzeitig“ das Studio in Rio aufzustocken – von einem auf dann immerhin zwei Reporter. Begleitet werde das mit „Sonderanstrengungen“. Die Wunderwaffe auch diesmal: Marietta Slomka. Sie wird Lateinamerika bereisen und einen großen Zweiteiler produzieren.

Wenn Journalisten die Welt vermessen, dann ist Lateinamerika aber natürlich eher eine Kleinigkeit. Sie hadern viel eher mit der Globalisierung und den Entwicklungen in Nordafrika. Das ZDF beispielsweise hat seine Büros in Peking und Istanbul verstärkt, weil Asien und der Orient zunehmend faszinieren.

„Die Gewichtung der Regionen verschiebt sich natürlich“, sagt Koll. „Aber natürlich geht das nicht ‚on top‘, wir mussten dafür anderes schwächen.“ Caracas, Athen und Madrid – hier wurden schon vor Jahren die Büros des Mainzer Senders geschlossen, was sich inzwischen gerächt hat, denn die Krisenländer Griechenland und Spanien bedienen nun Korrespondenten, die in anderen Ländern angesiedelt sind, in Italien und Frankreich.

In einer journalistischen Märchenwelt hätte er natürlich gerne überall ein Studio, sagt Koll. In der Realität müsse er mit aktuell 32 Korrespondenten in 17 Städten auskommen. Das heiße: „Neues schaffen wir nur mit Einschnitten. Damit müssen wir leider leben.“

Die Sender kompensieren Mängel zunehmend mit einem Modell, das sie zwar flexibel macht, der Ortskenntnis aber nicht zwingend schmeichelt. Sie leisten sich Reporter, die in Krisenherde ein- und wieder ausfliegen. Manche schimpfen: „Fallschirmjournalisten!“ Beim ZDF bilden lediglich drei Journalisten den sogenannten Reporter-Pool. Bei besonders großen Lagen werden sie zudem von ehemaligen Auslandsreportern verstärkt, die inzwischen in der Zentrale arbeiten. „Während des Arabischen Frühlings hatten wir so nicht nur unseren Korrespondenten in Kairo im Einsatz“, berichtet Koll, „sondern insgesamt fünf weitere Reporter.“ Und inzwischen geht auch die ARD in diese Richtung.

Joachim Knuth, Vorsitzender der ARD-Hörfunkkommission, windet sich ein wenig, wenn er mit Blick auf die Kürzungswellen in den neun Sendeanstalten sagt: „Wir klammern das Auslandsnetz bei den Einsparungen aus.“ Das gilt zwar für die Ausgaben, nicht aber unbedingt auch für die Zahl der fest entsendeten Reporter. Derzeit leistet sich der ARD-Hörfunk im Ausland etwa 60 Korrespondenten an fast 30 Plätzen.

Die ARD hat damit begonnen, in einzelnen Büros Korrespondenten zu streichen, in Moskau sitzen beispielsweise statt vier nun nur noch drei Radioreporter. Und auch die Studiogemeinschaft für London und Paris hat einen Kollegen verloren. Straßburg wurde aufgelöst. Manches wurde umgeschichtet, etwa zugunsten des Standorts Neu-Delhi, anderes fällt aber tatsächlich im festen Netz der Hörfunkkorrespondenten weg.

„Was wir einsparen können, fließt in einen ‚Ereignistopf‘ für unvorhersehbare Krisen“, erklärt Knuth. Etwa eine halbe Million Euro liege darin seit Jahresbeginn bereit – für den Anfang. Ereignisse wie Fukushima oder der Wandel in der arabischen Welt seien „große Preistreiber“, die Journalisten „mindestens gefühlt“ stärker forderten als früher.

Unterdessen verschiebt sich bei der Zeit ein zweiter Standort. Politikchef Ulrich sagt, ebenfalls im Laufe dieses Jahres werde auch der Standort Istanbul aufgegeben. Die Wochenzeitung will stattdessen eine Mitarbeiterin in die arabische Welt schicken. „Wir werden entweder in Kairo oder in Beirut ein neues Büro aufmachen“, sagt Ulrich. „Da überlegen wir noch, welcher für uns der bessere Standort ist.“ Ausschlaggebend sei nicht zuletzt, wie gut sich eine Frau mit Blick auf den Islam dort bewegen könne.

Dass einzelne Standorte aufgegeben würden, um die insgesamt zehn Büros der Zeit neu auf die Welt zu verteilen, heiße allerdings nicht, dass das Blatt Länder verwaisen lasse. So hat Ulrich in der Zentrale drei Kollegen mit Russlandkenntnissen beauftragt, das Land im Blick zu behalten. „Und wenn es tatsächlich zu einem Moskauer Frühling kommen sollte, was wir uns sehr wünschen, dann schicken wir auch zwei Leute fest dahin.“

Das Moskauer Büro dichtzumachen falle auch ihm nicht leicht, der das Prinzip „kam, sah und wusste alles“ der rastlosen Reporter selbst ablehne. Aber: „Jeder Korrespondent kostet so viel wie zwei Redakteure in der Zentrale“, sagt er. „Und einen Stellenabbau will ich nicht. Da gehe ich lieber in die Flugkosten.“

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