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Spirituelles GesamterlebnisAuf der Suche nach dem "vertrauten Rest"

Kirchen und Klöster als "Kontrastprogramm zur Krise". Zumindest ihre Position im Konkurrenzkampf um touristische Aufmerksamkeit ist gar nicht so schlecht

Besuchermagnet Kölner Dom Bild: dpa

Sechs Millionen Besucher jährlich zählt der Kölner Dom, aber "nur" vier Millionen der Europapark Rust. Alle vorschnellen Annahmen, dass Spaßkultur, touristische Spektakel und lärmende Vergnügungen das beschauliche Sightseeing längst abgelöst hätten, erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht haltbar. Der Kulturfaktor im Tourismus ist resistent. Man besichtigt gern Kirchen und Klöster. Und warum? Einfach deshalb, weil sie da sind. Sie sind "ubiquitär", sagt der Paderborner Tourismuswissenschaftler Abrecht Steinecke. Und meint damit, dass allein, dass sie da sind, ein entscheidender Erfolgsfaktor sei. Und die Kirchen und Klöster - ansonsten gesellschaftlich ins Hintertreffen geraten - öffnen sich gerne der touristischen Nutzung.

Das zeigte sich jüngst auf einer Tagung der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg, die die "Faszination Kloster" zum Thema hatte. Nicht nur ihren Glaubensbrüdern und -schwestern bieten die Klöster vielfältige Teilhabe am spirituellen Lebensgefühl. Auch ganz normale Touristen lassen sie daran schnuppern. Sie schnüren Kurspakete zur Lebens- und Religionspraxis, andere bieten das "Kloster auf Zeit". Wieder andere setzen auf körperlich-seelische Wellness in luxuriös hergerichteten Klosterhotels. Pilgerwege und Urlauberseelsorge haben sich längst als Angebote herumgesprochen.

Natürlich sind so manche Sakralbauten auch einfach spektakulär. Der Kölner Dom, Deutschlands bedeutendste touristische Attraktion, ist ein Meisterwerk gotischer Baukunst und gehört seit 1996 zum Weltkulturerbe der Unesco. Er ist praktisch ein Muss für jeden Kulturinteressierten auf Deutschlandtrip. "Die Besucher von Kirchen", sagt Professor Steinecke, "erinnern sich bei Befragungen immer an ein nicht näher bestimmbares Gesamterlebnis." Sie spürten eine besondere Atmosphäre. Auch Nicht- Gläubige fühlten sich vom Raumerleben, von der Architektur und den kostbaren Einrichtungen irgendwie berührt. Alte Kirchen und Klöster bieten etwas "Unverwechselbares", etwas, das sich, so Steinecke, "nicht einfach reproduzieren lässt". Aber es lässt sich verstärken. Selbst die Kölner Domverwaltung hat die Zeichen der Zeit erkannt und signalisiert allen, die mehr wollen, eine größere Gesprächsbereitschaft. Man hat Tische eingerichtet, an denen Ansprechpartner für Glaubens- und Lebensfragen Besucher beraten und gern einen Wiedereintritt in die Kirche ermöglichen. Auch die Öffnungszeiten des Domes wurden verlängert.

Landauf, landab wird dem Gesamterlebnis Kirche fleißig zugearbeitet. Europas kulturelles Erbe wird ständig saniert, restauriert, modernisiert. Ordensgemeinschaften kehren zurück in historische Gemäuer. So hat Sachsen-Anhalt den spirituellen Tourismus als touristisches Zugpferd entdeckt. Man richtet sich ein auf einen Trend zu Kirchen und Klöstern, von dem kirchliche Kreise seit einigen Jahren in schöner Regelmäßigkeit berichten, dass es ihn gibt. Nicht, dass die Mitgliedszahlen der beiden großen Amtskirchen ansteigen - die gehen seit Jahrzehnten stetig zurück. Vor allem sind es die Klöster, ob evangelisch oder katholisch, die sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Sie sind "auf dem Sterbebett zum Trend geworden", meint der Kölner Marktforscher Christoph Melchers. Die wundersame Auferstehung einer scheinbar untergegangenen Lebensweise verdanke sich einer gesellschaftlich weit verbreiteten Sinnsuche.

Und dafür bieten die Kirchen ihren Traditionsbestand. Wem könnte man besser vertrauen, wem leichter glauben? Wo heutzutage Formeln begehrt sind, die den Alltag steuern und zum Lebensglück führen, wo eine Praxis gesucht wird, die die Seele läutert und die Gefühle klärt, wirken Kirchen und Klöster so vertrauenswürdig und beständig wie die tausendjährigen Mauern, die einen Sinnsucher umgeben, wenn er in die Parallelwelt der Glaubensgemeinschaften tritt.

"Es gibt sie noch, die guten alten Dinge", zitiert Albrecht Steinecke den vertrauten Manufactum- Slogan,der wie kein anderer den Anspruch an "Güte" in eingängige Worte gefasst hat. Die Authentizität der Kirchen und Klöster ist die eine Sache, aber dass sie von Gläubigen auch genutzt werden, gelebt werden, das mache ihre Besonderheit aus.

Als "Kontrastprogramm zur Krise" (Christoph Melchers) stehen Kirchen und Klöster im Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit der Menschen gar nicht schlecht da. Wo die Welt sich schneller verändert, als vielen Menschen lieb ist, da suche man, so meint Christoph Melchers, in den Kirchen und Klöstern den "vertrauten Rest.

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3 Kommentare

 / 
  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Wie die selbstreflexive Bibelgeschichte des Turmbaus zu Babel zeigt,

    haben sakrale Bauten etwas von der monumentalen Architektur die auch in

    Großreichen, mit denen die Großreligionen verbunden sind, und dem menschlichen Streben nach buchstäblich Höherem.

    Das „Heilige Römische[!!!!] Reich Deutscher Nation“ mit der „Doppelspitze „Kaiser [Cäsar] und Papst [Pappa]“ ist da genau so eindeutig wie der Islam [unterwerfung] für die arabischen und später türkischen Großreiche. Die Großbauten in Indien sind fast alle den arabischen Moguln geschuldet.

     

    Die Klöster sind die Nachfahren der Eremitenkultur in Höhlen, in Nietzsches Zarathustra

    zieht sich Zarathustra dichterisch nachvollziehend, 2 mal für 10 Jahre dorthin zurück, wo die Grundlagen der Großen Religionen gelegt wurden.

    Die Essener im Christentum, die Sufs im Islam und die Rishis und Buddha aus den indischen Wäldern und Wüsten sind die realen Vorfahren, mit dem Perser Zarathustra selber.

    Leider unterschlägt sogar Nietzsche den neurologischen und Übungsteil der Praktiken, die

    dort entwickelt und aus der Steinziet kommend, radiert wurden.

    Die waren den auch der geheime Teil der Lehren.

    Obwohl eigentlich das Funktionieren des Gesamthirns mit einer Dynamik der Sinn der Sache ist, was etwas anstrengende Zeiten für den die notwendigen Übungen Ausführenden mit sich bringt, schließlich wird der Sitz des Denkens und Fühlens ein wenige

    neurologisch erweitert, ist das in den heutigen Klöstern und sakralen Orten und Pilgerfahrten verlorengeganen.

    Im Machtgerangel um die Gestaltung der sozialen Wirklichkeit hat diese Verheimlichung mit

    Anspruch auf „geistige“ Herrschaft und dem, Hüter und Setzer von Moralischen Kodifizierungen zu sein, zu dieser exoterisch-esoterischen Aufspaltung geführt.

    Die ist dann in die Theologie mit Expertentum und eigenen Sprachen, Latein, Arabisch, Sanskrit, Pali fortgesetzt worden und so kulturalisiert worden. Die Theologie und nachfolgende Philosophie ist auch halbe Neurologie, daher der „Idealismus“.

    Das lebt noch heute in der Trennung von akademsichem Expertentum und „gesundem Menschenverstand“ fort.

    Die zugrunde liegende Vermutung, dass das eigentlich wichtige vorenthalten wird stimmt in beiden Fällen.

    Man braucht nur die richtigen Yogaübungen ausführen, das haben die Hatha Yogis schon propagiert und auch Buddha gelehrt. Bei den akademischen Experten sollte man sich auch nicht täuschen lassen: Die Wirtschaftsexperten, die aus welchen Gründen auch immer: Gürtel enger schnallen, für die Lohnabhängigen fordern, betreiben Umverteilungsgefälligkeitsgutachterei

    für die Reichen und viel medizinische Heilverfahren, insbesondere in der Psychologie und Psychiatrie helfen eben wirklich nicht wirklich. Da wird eben das „geheime“ neurologische Wissen mit den Übungen nicht wirklich benutzt.

    Wie man die Produktion und Verteilung am am besten regelt, ist durchaus nachvollziehbaren mathematischen Rechnungen und Überlegungen zu entnehmen.

    Da ist der Protest des gesunden Menschenverstandes, wie er in der öffentlichen Kritik laut wird, mehr als gerechtfertigt.

  • A
    anke

    Sinn? Einen Sinn findet man wohl eher außerhalb der Kirchen. Im Menschen schlechthin etwa. In der Kirche sucht man neben dem Staunen darüber, was unter gewissen Bedingungen alles möglich war, vor allem eines: eine möglichst bequeme Rückenstütze. Halt finden bedeutet den meisten Menschen, einen überlegenen Befehlsgeber im Rücken zu wissen. Wie schön, wenn dieser Befehlsgeber harmlos wirkt, weil man ihn sich zuvor (strikt nach Anweisung) selbst erschaffen muss im eigenen Kopf.

  • S
    Schulz

    Ewigkeit in die Zeit leuchte hell hinein,

    dass mir werde klein das Kleine

    und das Grosse gross erscheine,

    Ewigkeit in mein Herz leuchte hell herein.

     

    Es ist doch so, dass die ganzen Neuigkeiten

    oft nicht halten, was sie versprechen.

     

    Ausserdem wird Theologie und IT-Hochschule

    verbunden, damit Management und eben alles,

    was Marketing kann.

     

    Allerdings werden viele sakralen oder Kirchenbauten vergessen, nicht beachtet,

    geschlossen, umorganisiert, mit neuen Sinnen befuellt.

    Trotzdem sind doch Sterbe-Orte notwendig,

    welche die Wuerde des Menschen

    und die Angebote Gottes miteinander verbinden.

     

    Wenn ich da an die kalten Krankenhaeuser denke,

    die die Kranken einfach vergessen oder schlimmeres, laeuft mir doch schon der kalte Schauer ueber den Ruecken...

     

    in meiner Kindheit, Jugend wollte ich auch mal

    in die Richtung ledige vollberufl. theol. Betreuerin... fuer andere, aber der Atheismus

    verstand wirklich jede und wirklich jede Art

    von Selbstausrichtung zu verneinen oder kaputt

    zu machen....... weil die Konkurrenz

    der Weltanschauung staatsgelenkt war mit

    dem Ziel, Glauben an Gott zu verbieten.

    Nur ein Satz in der Verfassung "garantierte"

    fragwuerdige Freiheit mit der Konsequenz,

    akzeptiert zu werden und alle Negationen

    daraus als Einzelperson zu tragen.

     

    Die Kirche als Staatsdiener?

    Kann ich mir nicht vorstellen,

    maximal eingeschraenkt,

    weil Menschen Gott dienen, Gott brauchen,

    um Ewigkeit zu finden und Gott Menschen dient,

    Gott Menschen "rettet" aus dem begrenzten Level

    der Gottlosigkeit.

     

    Gott ist allerdings groesser als alles menschliche Wissen.

    Das macht evtl. eine andere Lebensform

    als die taegl. Meldungen so anziehend.