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Montagsinterview mit Jörg Schönbohm"Ich war ein richtiger Dorflümmel"

Jörg Schönbohm (CDU) hat als Soldat die NVA aufgelöst, als Berliner Innensenator besetzte Häuser geräumt, als Brandenburger Innenminister Rechtsextremen auf die Füße getreten. Jetzt geht er in den Ruhestand.

"Wenn Sie die Heimat wiedergewinnen, wissen Sie erst, was Sie verloren haben." Jörg Schönbohm am restaurierten Bahnhof seiner Heimatsstadt Bad Saarow Bild: BERND HARTUNG
Uwe Rada
Gereon Asmuth
Interview von Uwe Rada und Gereon Asmuth

taz: Herr Schönbohm, erinnern Sie sich, was Sie am 26. September 2003 gemacht haben?

Jörg Schönbohm: War ich da bei Ihnen?

So ist es. Sie waren in der taz als einer unserer Lieblingsfeinde, denen wir an diesem Tag unsere Zeitung überlassen haben.

Richtig. Zusammen mit Kai Dieckmann. Der war unser Chef, und wir mussten zuarbeiten.

Jörg Schönbohm

Der Brandenburger: Jörg Schönbohm wurde 1937 in Neu Golm, einem Ortsteil von Bad Saarow in Brandenburg geboren. Kurz vor Kriegsende flüchtete seine Familie vor der Roten Armee ins spätere Westdeutschland.

Der Soldat: Nach dem Abitur ging Schönbohm 1957 zur Bundeswehr, wo er eine steile Karriere macht. Mit der Wiedervereinigung 1990 war er als Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost in Strausberg für die Auflösung der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR zuständig. 1992 beriet er als Staatssekretär im Verteidigungsministerium die ungarische Regierung bei der Demokratisierung der dortigen Armee. Zum Dank bekam er einen Säbel geschenkt, den Schönbohm bis heute in seinem Ministerbüro aufbewahrt.

Der Politiker: 1996 wurde Schönbohm in Berlin Innensenator einer großen Koalition. Gut zwei Jahre später gab es keine besetzten Häuser mehr in Berlin. Viele Häuser ließ Schönbohm räumen, ein paar konnten noch Verträge ergattern. 1999 wechselte er nach Potsdam und war seither Innenminister von Brandenburg. Im November geht der 72-Jährige in den Ruhestand.

Welches Ressort haben Sie übernommen?

Weiß ich nicht mehr. Innenpolitik oder Ausländerpolitik?

Falsch. Ihr Beitrag war ein Kommentar zur Regierungsfähigkeit der Bundes-SPD und endete mit dem Satz: Wie mein Vorbild, der preußische General von der Marwitz, zu Recht sagt: Wähle Ungnade, wo Gehorsam keine Ehre bringt. Redet so ein Exgeneral?

Von der Marwitz bekam von Friedrich dem Großen den Auftrag, in Dresden die Bibliothek zu plündern. Da hat er gesagt: Das mach ich nicht. Mit diesem Thema habe ich mich intensiv beschäftigt, es ist ja auch ein Thema über den Widerstand, Stichwort: 20. Juli. Ich habe von der Marwitz dann noch einmal im Bundesrat zitiert …

als Sie 2002 als Innenminister gegen den Willen Ihres damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) gegen das Zuwanderungsgesetz stimmten.

Das war eine schwere Entscheidung, weil damit auch die Koalition mit der SPD in Brandenburg auf der Kippe stand. Ich wäre dann derjenige gewesen, der womöglich den Weg für Rot-Rot geebnet hätte.

Die Koalition hielt. Ungnade drohte Ihnen nicht.

Wissen Sie, die Zeiten, in denen Ungnade droht, sind vorbei. Ich hänge ja nicht von der Gnade von irgendjemand ab. Ich selbst muss in den Spiegel gucken können. Meine Frau muss zu mir halten, meine Familie, meine Freunde.

Was sind Sie: ein Überzeugungstäter, der auf andere keine Rücksicht nimmt?

Als ich in die Politik ging, war Volker Rühe mein Minister, ich war sein Staatssekretär. Ich sagte, ich ginge nach Berlin als Innensenator, da sagte er zu mir: Haben Sie einen Vogel? Sie passen gar nicht in die Politik. Sie sind zu ehrlich und zu direkt.

Sie haben Rühes Erwartung nicht enttäuscht. Die Liste Ihrer Direktheiten ist lang. In Berlin eckten Sie mit der deutschen Leitkultur an, in Brandenburg waren es die neun toten Babys von Brieskow-Finkenheerd. Mit Ihrer Diagnose, dies sei das Erbe der Proletarisierung in der DDR, haben Sie einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Ich wollte nie ein abgeschliffener, kieselsteinartiger Politiker werden. Wo ich der Überzeugung bin, dass ich recht habe, stehe ich dazu. Das ist bei der Leitkultur der Fall. Etwas anderes ist es mit der Proletarisierung.

Da mussten Sie sich sogar entschuldigen.

Die Situation an diesem Tag war die: Ich hatte morgens in Potsdam mit jungen Mädchen gesprochen, die alle Mütter waren. Diese jungen Frauen haben mich unglaublich beeindruckt. Am Nachmittag war ich auf einem Wahlkampftermin in der Uckermark, da rief der Tagesspiegel an und fragte nach den neun toten Babys. Ich habe gesagt, ich habe keine Erklärung. Dann habe ich den Satz mit der Zwangskollektivierung und der Proletarisierung im ländlichen Raum formuliert.

Haben Sie das Interview autorisiert?

Ja. Abends kam ich dann nach Hause und habe meiner Frau das Interview gegeben. Die hat gesagt: Jörg, bist du wahnsinnig? Da kriegst du eine auf die Nase. Sie hat Recht behalten.

Da war sie wieder, die Spaltung der Republik in Ost und West.

Es war von Anfang an mein Ziel, dass Brandenburg nicht die kleine DDR bleibt, wie es Stolpe gesagt hat. Ich wollte, dass Brandenburg weiß, wie die Bundesrepublik Deutschland funktioniert. Was heißt Freiheit? Was heißt Verantwortung? Was heißt Solidarität?

Mit dem Satz mit der Proletarisierung haben Sie dieses Anliegen um Monate, wenn nicht um Jahre zurückgeworfen.

Mag sein.

In diesem Jahr feiern wir 20 Jahre Fall der Mauer. Was ist schiefgegangen.

Entscheidend ist für mich der Satz: Wir sind ein Volk. Aber noch immer reden wir zumeist nicht mit-, sondern übereinander. Der brandenburgische Ministerpräsident sagt: Die Westdeutschen machen nach 13 Jahren Abitur, weil sie ein Jahr Schauspielunterricht haben. Müsste da nicht ein Sturm des Aufschreis durch das Land gehen?

Nicht Jörg Schönbohm ist der Spalter und Polarisierer, sondern Matthias Platzeck?

Ich wehre mich gegen die Aufteilung in Ost und West. Die macht mich krank, solange ich hier bin. Mit welcher Leichtfertigkeit über die DDR oder die BRD zum Teil gesprochen wird. Dabei gilt doch: Wir sind ein Volk, heißt, wir haben eine gemeinsame Zukunft.

Mit der gleichen Leichtfertigkeit wird im Westen über den Osten gesprochen.

Natürlich. Aber jetzt bin ich hier in Brandenburg. Als ich hier zum ersten Mal Wahlkampf gemacht habe, habe ich als Wessi schweren Gegenwind bekommen. Dabei bin ich hier geboren. Meine Mutter ist hier geboren. In einer Kirche in Neu Golm läutet eine Glocke, die mein Großvater 1923 gestiftet hat. Ich habe hier wirklich meine Wurzeln, ich bin voller Begeisterung hierhergekommen.

Das klingt nach enttäuschter Liebe.

Meine Frau hat gesagt: Du bist viel zu optimistisch, das ist alles viel komplizierter.

Wo hat sich denn Ihr Optimismus als falsch herausgestellt?

Ich dachte, es geht schneller.

Wenn Sie auf zehn Jahre als Innenminister in Brandenburg zurückblicken: Wo haben Sie die meisten Spuren hinterlassen?

In der Förderung der Eigeninitiative, Leistung stärker betonen, den Geist ändern. Als Stolpe gesagt hat, er sei stolz auf Brandenburg als kleine DDR, habe ich gesagt: Ich bin stolz darauf, dass die Bürger die DDR abgeschafft haben, und den Rest in Brandenburg schaffen wir in der Legislaturperiode. In meinem Fachgebiet als Innenminister habe ich zum Beispiel zwei Dinge gemacht, die die SPD nicht geschafft hat: die Kommunalreform und die Polizeireform.

Ihnen wird attestiert, dass Sie im Gegensatz zu Ihrem SPD-Vorgänger Alwin Ziel das Thema Rechtsextremismus in Brandenburg nicht geleugnet, sondern angepackt haben. Sind Sie stolz darauf?

Ja, auch deswegen, weil man mir als General manchmal eine gewisse Nähe dazu unterstellt hat. Kurz nachdem ich 1999 Innenminister wurde, war ich in Cottbus in einem Jugendclub. Das war ein Schlüsselerlebnis. Ich habe gefragt, was habt ihr gegen Ausländer? Die Antwort war: Wenn wir die Fidschis sehen, gibt es Fidschisklatschen. Arbeitslos war übrigens nur einer von denen. Danach habe ich mit den Linken gesprochen. Gleich dumpf, nur das andere Strickmuster. Da wusste ich, die müssen ins Gespräch kommen. Das ist ein Thema der Zivilgesellschaft.

Und die Polizei?

Die habe ich gefragt: Was können wir machen? Die Antwort: gar nichts. Das kann doch nicht wahr sein, habe ich gesagt. Da haben wir die Pingpongstrategie entwickelt. Die, die wir kennen, sprechen wir an. Wenn was passiert, wissen wir, ihr wart dabei. Sie müssen die aus der Anonymität herausziehen.

Warum passierte das nicht früher?

Der damalige SPD-Bildungsminister Steffen Reiche war strikt gegen die Gespräche mit Eltern und Lehrern. Heute würde keiner mehr sagen, dass diese Bündelung von Polizeiaufgaben und Zivilgesellschaft falsch ist. Da bin ich froh, dass sich meine Sturheit ausgezahlt hat.

Auch was den Verfassungsschutz betrifft?

Als ich anfing, hatte ich einen Verfassungsschutz, aber der Verfassungsschutz hat zu wenig gewusst. Wir haben also den Verfassungsschutz ertüchtigt, und der hat dann etwas gemacht, was bis dahin keiner gemacht hat, nämlich Verbindung aufzunehmen mit den Landkreisen, den Landräten, den Bürgermeistern. Das Ergebnis: Wir machen jetzt Schulungen, zum Beispiel dazu, was ein Bürgermeister machen soll, wenn die NPD in seinen Gemeindesaal will.

Was wollen Sie machen, wenn die Gerichte sagen: Die NPD bekommt den Gemeindesaal. Wie wichtig ist Ihnen Rechtsstaatlichkeit?

Bei den verbotenen Konzerten muss die Polizei sofort da sein. Da haben wir ganz konsequent durchgegriffen. Wenn die NPD eine Demonstration macht und diese Demonstration genehmigt ist, kann ich sie nicht nach Gutsherrenart verbieten. Wichtig ist deshalb, dass die Bürger zeigen, dass sie mit denen nicht einverstanden sind. In Cottbus haben wir einmal gesagt: Ignoriert sie, macht die Fenster und Türen zu und lasst sie laufen.

Es ging aber auch anders, zum Beispiel in Halbe.

In Halbe hatten wir die Situation, dass ein Demonstrationszug mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden an der Spitze die NPD nicht durchlassen wollte. Der Polizeipräsident stand vor der Entscheidung, ob er das zulässt oder nicht. Er hat es zugelassen, der Zug der NPD wurde gestoppt. Danach haben wir ein Urteil bekommen, das uns dieses Handeln bestätigt hat, aber nur, weil es zu wenig Beamte gab, um das Demonstrationsrecht durchzusetzen. Beim nächsten Mal sei sicherzustellen, dass ausreichend Polizeikräfte da sind.

Sie sagen immer wieder, Rechtsstaatlichkeit sei ein hohes Gut. Ihre erste Amtshandlung 1996 als Innensenator in Berlin bestand darin, bis dahin jahrelang geduldete besetzte Häuser zu räumen. Hinterher hat Ihnen sogar das Gericht attestiert, dass das nicht rechtsstaatlich war.

In einem Fall.

Laut der damals geltenden Berliner Linie hätten nur Neubesetzungen geräumt werden dürfen.

Die Berliner Linie war eine politische Linie. Die Frage ist: Was bedeutet Eigentum? Und gibt es das Recht, willkürlich ein Haus zu besetzen und zu behaupten, das ist jetzt unseres? Was ich da gemacht habe, habe ich ja nicht gemacht, weil ich morgens aufgestanden bin und gesagt habe: So, jetzt räume ich die Häuser. Es ging mir darum, das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen.

Ihr Nachfolger Ehrhart Körting macht das Gegenteil. Er hat mit seiner Politik der ausgestreckten Hand Erfolg. Neidisch?

Neid ist mir grundsätzlich fremd. Das mit der ausgestreckten Hand haben wir auch versucht. An einem Punkt aber habe ich mich verweigert. Ich kann nicht nachvollziehen, wenn man sagt: Wenn die Polizei da ist, ist das Eskalation. Als ich Innensenator wurde, war die Gewaltbereitschaft sehr hoch. Meine Devise war also: Gegen Gewalt hilft nur die Bereitschaft, stärker zu sein als die anderen. Sie dürfen mit der Gewalt keinen Erfolg haben. Aber wenn Sie mal die Zahl der verletzten Beamten an diesem 1. Mai mit der vor zehn Jahren vergleichen, werden Sie feststellen, dass der Unterschied gar nicht so groß ist.

Berlin blieb eine Episode. Schon nach wenigen Jahren sind Sie nach Brandenburg gewechselt. Sind Sie in Berlin gescheitert?

Nein. Ich stamme aus Brandenburg, und die CDU hat dort 1998 wirklich das schlechteste Ergebnis dort gehabt. Sie war total zerstritten. Ich bin da gerne hin, es war ein Zurück in meine Heimat.

Was bedeutet das für Sie, Heimat?

Ich habe vier Geschwister. Wir haben zu Hause viel über Brandenburg gesprochen. Dabei habe ich etwas festgestellt, was ich vorher gar nicht wusste. Wenn Sie die Heimat verloren haben und sie dann wiedergewinnen, dann wissen Sie erst, was Sie an der Heimat haben. Ich habe dem immer nachgetrauert. Ich kann das rational gar nicht erklären, es war eine Entscheidung ganz aus dem Bauch.

Wenn Ihnen Heimat so wichtig ist, warum können Sie dann diejenigen nicht verstehen, die in der DDR groß wurden und im Westen noch keine neue Heimat gefunden haben?

Warum? Die Landschaft ist doch da, sie ist sogar schöner. Aber das System hat sich grundlegend verändert. Die Frage ist doch, ob man sich mit dem eigenen Leben auseinandersetzt. Oder ob man einem unmenschlichen, gescheiterten System nachtrauert.

Oder einer sozialer Absicherung, einem Arbeitsplatz.

Nachdem wir in den Westen geflüchtet sind, bin ich auf dem Dorf groß geworden. Da war es kalt, im Winter haben die Wände vor Eis geglitzert. Ich war sieben Jahre alt, ein richtiger Dorflümmel. Vierhundert Einwohner, dreihundert Flüchtlinge, es wurde schwarz geschlachtet, schwarz gebrannt, Tabak angebaut, mit Carbid geschossen. Das konnten sich meine Kinder nicht mehr vorstellen. Für mich sind das Erinnerungen. Deshalb kann ich die Leute auch hier gut verstehen, wenn sie beim eigenen Rückblick gern Negatives ausklammern. Aber das alles ist die Vergangenheit. Heute geht es um die Zukunft. Und die muss jeder für sich selber ausmachen.

Gut möglich, dass die Zukunft in Brandenburg Rot-Rot leuchtet.

Wenn der Ministerpräsident des Landes sagt, die letzte Legislaturperiode sei die erfolgreichste in der Geschichte des Landes gewesen, dann ist das ja mit der CDU so gewesen. Wenn aber nahe den Feierlichkeiten 20 Jahre Mauerfall eine rot-rote Landesregierung vereidigt würde und IM Katrin stellvertretende Ministerpräsidentin würde, ist das auch ein Signal. Ich würde es in höchstem Maße bedauern. Wenn ich jünger wäre, würde ich dann gerne Oppositionsführer machen.

Nun naht aber bald Ihr letzter Tag als Minister …

… sobald die neue Regierung vereidigt ist.

Wissen Sie schon, wie der Tag ablaufen wird?

Bis dahin ist alles ausgeräumt, die Dateien sind abgespeichert. Die Bilder nehme ich mit und den ungarischen Säbel.

Sie könnten, ähnlich wie am 26. September 2003, Ihr Amt einen Tag Ihren Lieblingsfeinden zur Verfügung stellen - uns, der taz.

Da muss natürlich der Ministerpräsident seine Zustimmung geben.

Werden Sie ihn fragen?

(Lacht) Nein, Chaoten können soviel durcheinander bringen.

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