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Kolumne OlympiaVillage People

Kolumne
von Markus Völker

Die dunkle Seite der Olympiastadt - Im hässlichen Teil der Hastings sind keine Olympiatouristen zu finden.

E s ist diese eine Straße, die so viel über die Winterspiele und vom Leben in Vancouver erzählt. Sie heißt Hastings Street, und sie zieht sich im Zentrum der Stadt von Westen nach Osten, fast immer geradeaus, kilometerlang.

In Downtown schlendern die Olympiatouristen auf der Hastings Street an einem Versace-Geschäft vorbei und an Cafés. Oder sie biegen von hier aus ab zur olympischen Flamme. Weiter östlich verläuft freilich eine unsichtbare Demarkationslinie. Sie trennt das reiche, beschauliche Vancouver vom armen Teil der Stadt. Das Gesicht der Hastings Street ändert sich radikal, je weiter man östlich geht, von einem Block auf den anderen.

Die Straße ist nun ärmlich, heruntergekommen. Obdachlose haben die Bürgersteige mit Beschlag belegt, es sind nicht einer oder zwei, es sind viele. Sie schieben Einkaufswagen. Die Blicke sind leer. Manche betteln um ein paar Cent. Andere liegen betäubt in einem Eck.

Markus Völker ist Sportredakteur der taz und berichtet zurzeit von den olympischen Spielen in Vancouver.

Olympiatouristen gibt es keine im hässlichen Teil der Hastings. Journalisten sieht man nur in Bussen vorbeifahren auf dem Weg zum Pacific Coliseum, wo die Wettbewerbe im Shorttrack und Eiskunstlaufen stattfinden. Sie schauen auch jetzt, nach fast zwei Wochen Olympia, immer noch entsetzt auf das Treiben in Downtown Eastside.

Die olympischen Shuttle-Busse kommen auch an einem Zeltdorf vorbei, das vom Olympic Resistance Network (ORN) eingerichtet wurde. Auf einer Brache stehen sechs Dutzend Zelte für Obdachlose. Es ist nur ein Behelf, ein unwirtlicher Campingplatz der Notleidenden. Die Organisatoren vom ORN haben an diesem Mittwochnachmittag zu einer Pressekonferenz geladen, aber es sind nur Lokaljournalisten gekommen, keine Reporter mit Olympia-Akkreditierung, die aus dem Bus immer neugierig auf die zerlumpten Gestalten im Zeltdorf schauen.

Das ORN, das sich des virulenten Obdachlosenproblems in Vancouver angenommen hat, will "Öffentlichkeit herstellen". Und das scheint tatsächlich zu klappen. Die Stadt will jetzt angeblich alle Zeltdorfbewohner mit Wohnraum versorgen, die ersten schon in einer Woche. Das wäre wohl ohne Olympia kaum möglich gewesen.

Susan, die ein wenig abseits vom Pulk der Reporter steht, traut den Versprechungen allerdings nicht so ganz. Sie habe ihre Erfahrungen gemacht, sagt sie. Alter und Nachname will Susan nicht verraten, aber so viel schon: Dass sie nach einem Unfall, der vor acht Jahren passierte, Probleme habe. Nur 375 Dollar hat sie im Monat zur Verfügung. Ihr geht es zwar nicht so schlecht, dass sie im Zeltdorf wohnen müsste, aber gut geht es ihr auch nicht.

Unter ihrem ledernen Cowboyhut quellen graue Haare hervor, die Mundwinkel zucken unrhythmisch. Sie sagt, sie kenne hier niemanden, der für die Spiele sei, niemanden. "In der Eastside ist das halt so."

Sportlich mag das ja manchen interessieren, sagt sie, "aber sonst sind die Spiele eine Katastrophe". Obdachlose seien vertrieben worden, in den letzten Jahren habe sich das Problem der Wohnungslosigkeit verschärft. "Es ist immer schlimmer geworden", sagt Susan, "vor allem für Frauen auf der Straße."

Von derlei Problemen wissen die Olympiaflaneure auf der Hastings Street West nichts. Oder sie wollen es nicht wissen. Das Problemviertel wird gemieden. Nur die olympischen Busse, die fahren weiterhin auf der Hastings Street in den armen Osten der Stadt. Vorbei an Susan und dem Zeltdorf der Entrechteten.

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Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.

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