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Kolumne OlympiaGames over

Kolumne
von Markus Völker

Der tote Georgier im Rodelkanal war zum Abschluss der Winterspiele nur noch eine Randnotiz. Wichtiger waren dramatische Wettkämpfe, um die Senderechte zu verteuern.

I ch wage es kaum niederzuschreiben, aber während dieser Spiele habe ich keine einzige Schneeflocke abbekommen. Nur dreimal stolperte ich auf Schnee herum. Einmal fuhr ich vom frühlingshaften Vancouver aus in leichten Turnschuhen hinauf auf den Berg. Ich hatte vergessen, dass ich bei Winterspielen war. Das kann passieren, wenn die Schneeglöckchen blühen und Jogger mit bloßem Oberkörper die Strandpromenade entlangrennen. Ich habe dann am Cypress Mountain ein bisschen gefroren. Danach habe ich den Komfort der Olympiahallen von Vancouver schätzen gelernt. Whistler war ohnehin zu weit entfernt, gefühlte fünf Flugstunden lagen zwischen der Stadt und dem Berg.

Seit die Winterspiele aus den Nähten geplatzt sind, irgendwann in den 80er-Jahren, muss man sich schon auf die hohe Kunst der Bilokation verstehen, um allumfassend zu berichten. In den Bergen gibt es ein Olympia, das mit dem Olympia in der Stadt relativ wenig zu tun hat. Und umgekehrt. Es ist schlichtweg nicht mehr möglich, den Tross der Touristen und Medien am Berg unterzubringen. In Sotschi, wo auch gerade vorfrühlingshaften Temperaturen herrschen, dürfte das kaum besser werden. Die einen werden im subtropischen Winter von Sotschi festsitzen, die anderem in einem Artefakt im Kaukasus. Nur Wladimir Putin und Konsorten dürften überall zu finden sein, dank des segensreichen Heli-Shuttles.

Ich habe also drunten in Vancouver nicht viel mitbekommen vom Treiben in Whistler. Es heißt, es sei vor allem beim Après-Ski heiß hergegangen. Offenbar hat man sich in den Vergnügungsstätten der Firma Intrawest, der Whistler praktisch komplett gehört, auch nach dem Todesfall auf der Rodelbahn gut amüsiert. Ich will niemandem den Spaß verderben, aber erinnert sich überhaupt noch wer an den fürchterlichen Unfall des Georgiers Nodar Kumaritashvili? In Vancouver war der Fall jedenfalls in Woche zwei komplett erledigt. IOC-Chef Jacques Rogge hat zum Schluss der Spiele immerhin eingeräumt, dass der Todesfall für immer Teil der olympischen Geschichte sein werde.

taz

Markus Völker ist Sportredakteur der taz und hat direkt aus Vancouver berichtet.

In Sotschi soll eine Bahn gebaut werden, die sicher ist. Das IOC will die Athleten schützen. Einerseits. Auf der anderen Seite will es auch sichergehen, dass so ein Imageschaden nicht mehr entsteht. Die Herren der Ringe haben es nicht gern, wenn dunkle Schatten auf die schönen Spiele fallen. Lieber haben sie Herz-Schmerz-Geschichten, wie sie von Joannie Rochette geliefert wurden, die trotz des plötzlichen Todes ihrer Mutter zu Bronze im Eiskunstlaufen tanzte. Sie ist eine Heldin in Kanada, und nicht nur da. Denn spektakulär wird es erst, wenn bestimmte Treibmittel in den olympischen Ereignisbrei gemixt werden: Wenn ein Athlet auf Wiedergutmachung oder gar auf Rache sinnt, wenn sich Größenwahn und Tragik, Selbstüberwindung und Anmut zu einer bunten Story mischen.

Von diesen Storys hat es einige gegeben. Die Stürze im Eiskanal gehörten dazu, wie auch das Lamentieren des Eisschnellläufers Sven Kramer nach seinem haarsträubenden Fehler im 10.000-Meter-Rennen. Oder Anja Pärsons Comeback. Anni Friesingers Freischwimmübung war auch nicht übel. Das IOC darf sich also glücklich schätzen, dass die Athleten wieder so viel Werbung für das Produkt "Olympia" gemacht haben. Der nächste Fernsehvertrag kann dann ruhig ein bisschen teurer über den Tisch gehen.

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Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.

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