piwik no script img

„Bei Wahlen macht ‚Bild‘ immer Politik für die Rechten“

Nach einer Fusion mit ProSiebenSat.1 würde der Medienkonzern Springer seine Schmutzkampagnen im Fernsehen visuell verstärken, fürchtet Autor Günter Wallraff, der 1977 undercover bei „Bild“ als Redakteur arbeitete – und seitdem zu den schärfsten Kritikern des Boulevardblatts gehört

taz: Herr Wallraff, das Bundeskartellamt hat schwere Bedenken gegen die Übernahme von ProSiebenSat.1 durch die Springer AG angemeldet. Ist damit die Gefahr der Presse- und Machtkonzentration gebannt?

Günter Wallraff: Ich hoffe, doch. Denn eine Übernahme wäre eine Bedrohung der Demokratie.

Warum?

Weil Springer bei einer Übernahme noch mehr Möglichkeiten hätte, genehme Politiker aufzubauen und missliebige zu demontieren. Dann werden sich Sat.1 und Bild noch mehr die Bälle zuspielen als jetzt bereits. Denken Sie an die Kampagnen, die Bild gegen Jürgen Trittin oder Joschka Fischer gefahren hat. Bis hin zu dem Titelfoto, in dessen Bildunterschrift Trittin ein Schlagstock in die Hand gedichtet und so Gewaltbereitschaft suggeriert wurde. Die Vorstellung, dass so etwas von TV-Sendern unterstützt und bebildert wird, ist doch beängstigend.

Was stört Sie bei Springer und Bild so sehr: die politische Einseitigkeit oder solch unseriöse journalistische Praxis?

Der Machtmissbrauch. Die infame Hetze. Dass Neidgefühle geschürt werden. Dass die Fakten wider besseres Wissen einfach weggelassen werden. Bild ist publizistische Umweltverschmutzung und leider für viele Unbedarfte und Abgebrühte trotzdem Leitmedium, obwohl doch der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil zu meinen Gunsten Bild eindeutig als eine „Fehlentwicklung im deutschen Journalismus“ bezeichnete.

Hat sich Bild in den vergangenen 30 Jahren denn gar nicht verändert? Ist das Blatt nicht offener, weniger ideologisch geworden?

Zeitweise, aber nicht grundsätzlich. Manchmal gibt es mehr Sex – zum Beispiel Vergewaltigungen aus der Sicht des Vergewaltigers. In der Politik werden mehrheitlich die Linken diffamiert. Auf eins ist bei Bild auf jeden Fall immer Verlass: Im Wahlkampf macht Bild immer Politik für die Rechten.

Der Springer-Chef Mathias Döpfner sagt, Springer sei kein parteipolitischer Konzern. Stimmt das?

Das ist doch leicht zu widerlegen, der Unfug.

Ist das nicht etwas undifferenziert? Als Kohls Spendenaffäre 2000 publik wurde, hat Bild am Sonntag recht kritisch kommentiert.

Das sind Schattierungen. Die BamS ist manchmal politisch etwas ausgewogener. Aber wenn es darum geht, im Wahlkampf Leute wie Lafontaine fertig zu machen, zählen solche Schattierungen nichts. Da arbeiten die Springer-Blätter Hand in Hand.

Immerhin hat auch Bild in den frühen 90er-Jahren Kanzler Helmut Kohl als Umfaller auf Seite 1 gebracht. Ist Bild nicht eher brutal populistisch und weniger ein CDU-Blatt?

Das ist doch eine Ausnahme, eine Laune gewesen. Aber das Typische Anfang der 90er war in Bild etwas ganz anderes: Hetze gegen Asylbewerber. Dauernd stieg damals im Blatt die Flut, das Boot war immer „übervoll“. Auch solche Angstbilder haben zu der Pogromstimmung und den rassistischen Morden in Mölln und Solingen geführt.

Sie haben sich vor fast 30 Jahren als Hans Esser in die Bild - Redaktion in Hannover eingeschmuggelt und die Praktiken von Bild in Ihrem Buch „Der Aufmacher“ aufgedeckt. Woran erinnern Sie sich am deutlichsten?

Das war die schmutzigste Rolle, der ich mich je ausgesetzt habe. Sie hat mich beschädigt. Es war ein Albtraum.

Warum?

Es war die Verlogenheit, der Zynismus der Journalisten, die ihre Macht genossen und ausspielten und nichts anderes taten, als Sensationen zu erfinden, politische Auftragsarbeiten ausführten und im wortwörtlichen Sinne Rufmord betrieben. Ich besitze Abschiedsbriefe von Menschen, die Bild auf dem Gewissen hat. Mich persönlich ließ Springer über Jahre hinweg bespitzeln, man ließ mein Telefon abhören, mich in einer Bild-Serie diffamieren und regelrecht verfolgen.

Springer wird demnächst an der Ecke von Axel-Springer-Straße und Rudi-Dutschke-Straße residieren. Freut Sie das?

Ja, gerade weil Rudi Dutschke ja ein indirektes Opfer von Springer war, weil sein Attentäter, der „Vollstrecker“, ein verhetzter regelmäßiger Bild-Leser war. Ich denke, dass Rudi Dutschkes Name bleibt. Dass das Springer-Hochhaus für immer bleibt, das wage ich zu bezweifeln.

Können Sie sich so etwas wie Versöhnung mit Springer vorstellen?

Nein, solange Bild immer noch ein so „menschenverachtendes, entsetzliches Blatt“ ist, wie es die FAZ zum 50-jährigen Bestehen von Bild formuliert hat. Auf dieser Feindschaft bestehe ich. Wenn die mich jemals loben sollten, dann muss ich mich fragen: Was habe ich falsch gemacht?

INTERVIEW: STEFAN REINECKE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen