Grünen-Chefin Claudia Roth: "Die SPD ist unverantwortlich"
Grünen-Chefin Claudia Roth kritisiert die Weigerung Hannelore Krafts, in NRW eine rot-grüne Minderheitsregierung zu bilden. Und die Linke soll bei Gauck nicht "die beleidigte Leberwurst spielen".
taz: Frau Roth, die Unzufriedenheit mit der schwarz-gelben Regierung ist massiv. Sind Sie bereit für Neuwahlen?
Claudia Roth: Ich finde es falsch, zwei Wochen vor der Wahl des Bundespräsidenten von Neuwahlen zu reden. Union und FDP stilisieren die Wahl von Christian Wulff ja gerade zum letzten Rettungsanker von Schwarz-Gelb. Es sollte jetzt aber um die beste Person für das höchste Staatsamt gehen und nicht um Lagerdenken. Aber ich frage mich, ob die Regierung eine Mehrheit für ihr 80-Milliarden-Euro-Sparpaket im Bundestag bekommt. Im Land hat die schwarz-gelbe Politik diese Mehrheit definitiv nicht mehr. Die Menschen wollen eine gerechte Gesundheitsreform und Mindestlöhne und keine längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke oder ein unsoziales Sparpaket.
Müssen Sie nicht auf den Fortbestand der Koalition hoffen? Eine Neuwahl könnte ein ähnliches Patt hervorbringen wie jetzt schon im Landtag von Nordrhein-Westfalen.
Claudia Roth (55) ist seit 2004 Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, seit 2008 gemeinsam mit Cem Özdemir.
In NRW gibt es noch Bewegung. Die Landesverfassung sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, eine Minderheitsregierung zu bilden. Ich fände es unverantwortlich, wenn die dortige SPD die Dinge einfach so weiterlaufen ließe und in die Opposition geht. Das widerspräche dem Wählerwillen: Eine rot-grüne Minderheitenregierung hätte im Parlament zehn Stimmen mehr als die geschäftsführende schwarz-gelbe Minderheitsregierung.
Aber so eine Regierung würde nicht eine ganze Legislaturperiode halten. Sondern höchstens einige Monate, bis der Landeshaushalt verabschiedet werden muss.
Der Versuch sollte zumindest unternommen werden, für rot-grüne Politik jeweils Mehrheiten zu bekommen. Eine Minderheitsregierung könnte dann auch Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen vorbereiten.
Aber im Bund setzen Sie darauf, dass Schwarz-Gelb die vielen Krisen allein meistern muss?
Nein. Wir lehnen uns in der Opposition nicht zurück. So funktioniert unsere Partei nicht. Wir wollen eine andere Politik. Die Regierung schadet dem Land. Sie verzocken unsere Vorreiterrolle im Klimaschutz und den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Ich erlebe selbst, dass das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Politik rapide sinkt.
Trotzdem stellen Sie nicht infrage, dass die Bundesregierung bis 2013 im Amt bleibt.
Das weiß doch heute kein Mensch. Aber ich mache es mir nicht so leicht, einfach Neuwahlen zu fordern. Wir müssen realistisch sein und dafür sorgen, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat verändern. Deshalb wäre eine Minderheitsregierung in NRW gut für NRW, weil ein Politikwechsel beginnen könnte. Und es wäre gut für die Bundesebene, weil die unsinnige Politik von Schwarz-Gelb gestoppt werden könnte.
Und dann? Sie könnten blockieren, aber nichts selbst durchsetzen. Und die Linkspartei verschließt sich Annäherungen an SPD und Grüne - siehe ihre Haltung zum Bundespräsidentenkandidaten Joachim Gauck.
Wenn die Nominierung unseres Präsidentschaftskandidaten ein rot-grün-rotes Signal hätte sein sollen, dann hätten wir uns nicht für Herrn Gauck entschieden. Diese Gesellschaft braucht jetzt eine unabhängige, starke Persönlichkeit im Amt des Bundespräsidenten. Eine moralisch-ethische Instanz. Die Linke soll nicht die beleidigte Leberwurst spielen. Sie soll vielmehr erklären, warum sie durch ihre Verweigerung Christian Wulff zum Einzug nach Bellevue verhelfen will.
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