piwik no script img

Kabinettsbeschluss zur GesundheitsreformRösler erwartet keinen Applaus

Einhellig kritisieren Opposition und Sozialverbände die Gesundheitsreform der Bundesregierung. Doch auch CSU und Wirtschaftsvertreter sind sehr unzufrieden.

In einem Punkt hatte Herr Rösler Recht: "Ich glaube, ich kann für keine der beschlossenen Maßnahmen Applaus erwarten." Bild: dpa

Zumindest in einem Punkt muss der Bundesgesundheitsminister nicht mit Widerspruch rechnen. Als Philipp Rösler (FDP) am Mittwoch den Kabinettsbeschluss zur umstrittenen Gesundheitsreform vorstellte, sagte er: "Ich glaube, ich kann für keine der beschlossenen Maßnahmen Applaus erwarten." Tatsächlich beklagen Wirtschafts- wie Kassenvertreter, Koalitions- wie Oppositionspolitiker, Röslers Pläne könnten verheerende Folgen haben. Nur tun sie das mit sehr unterschiedlichen Begründungen.

Kernpunkt der Reform ist, den Beitrag zur gesetzlichen Krankenkasse ab 2011 von 14,9 auf 15,5 Prozent anzuheben. So hoch war er bereits vor der Wirtschafts- und Finanzkrise. Künftig zahlen Arbeitnehmer 8,2 Prozent, der Beitrag der Arbeitgeber soll dauerhaft bei 7,3 Prozent verharren. Zudem wird ab 2012 ein pauschaler Zusatzbeitrag eingeführt, den allein die Arbeitnehmer aufbringen sollen. Wenn dieser Zusatzbeitrag mehr ausmacht als 2 Prozent vom Bruttoeinkommen des Kassenmitglieds, soll es einen automatischen Sozialausgleich geben, um Härten zu vermeiden. Der Arbeitgeber soll errechnen, ob ein Sozialausgleich fällig wird. Er müsse nicht extra beantragt werden, sagte Rösler.

Die gesetzlichen Kassen erwarten fürs kommende Jahr ein Defizit von 10 bis 11 Milliarden Euro. Ausgleichen sollen dies die nun beschlossenen höheren Beiträge, ein einmaliger Steuerzuschuss von 2 Milliarden Euro sowie Einsparungen bei Kliniken, Ärztehonoraren und Krankenkassen. Hinzu kommen Einsparungen bei Pharmaunternehmen in Höhe von 2 Milliarden Euro. Mit Blick auf Kritik, der FDP-Minister schone die Konzerne, sagte Rösler: "Da habe ich nicht den Eindruck, die finden das richtig nett."

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles erklärte, die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen würden über die Kopfpauschale künftig allein von den Arbeitnehmern getragen. Diese seien "in jedem Falle die Gekniffenen". Von einem Raubzug bei Gering- und Normalverdienern sprach die Gesundheitsexpertin der Linksfraktion, Martina Bunge. Die Kovorsitzende der Grünen-Fraktion, Renate Künast, beklagte: "Diese Gesundheitsreform bedeutet weniger Netto vom Brutto" und belaste die Arbeitnehmer.

Hingegen kritisierte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt die Belastung der Arbeitgeber. Die Beitragserhöhung treibe die Arbeitskosten in Deutschland um mehr als 2 Milliarden Euro nach oben.

Der ausdauerndste Kritiker Röslers stammt aus den Reihen der schwarz-gelben Koalition. Der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder bezweifelte, dass die Zusatzbeiträge das Gesundheitswesen dauerhaft stabilisieren können. "Ich habe eine gewisse Grundskepsis, ob dieses Modell auf Dauer der demografischen Herausforderung wirklich entspricht", sagte Söder.

Die Präsidentin des Sozialverbands vdk, Ulrike Mascher, kritisierte den geplanten Sozialausgleich: "Er ist völlig unzureichend, da er erst greift, wenn der Zusatzbeitrag 2 Prozent des Einkommens übersteigt." So müsse "ein Rentner mit 800 Euro Einkommen zusätzlich zu seinem allgemeinen Krankenversicherungsbeitrag von 8,2 Prozent, was 65,60 Euro entspricht, einen monatlichen Zusatzbeitrag von bis zu 16 Euro selbst bezahlen" - ohne Sozialausgleich.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • DP
    Dietmar Pauw

    Hallo aus Winsen,

    ich bin immer wieder erstaunt, daß es auf Reformen die zum Himmel schreien immer noch Steigerungen gibt. Weiter gehe ich davon aus, daß bei allen Kassen die Kontodaten von Minister Rösler bekannt sind. Schneller kann man den Euro doch nicht verdienen, oder? Das ist jetzt ein Freifahrtsschein für die Kassen!!

    Wissen die Politiker überhaußt noch was sie tun??

    Viele Grüße

    Dietmar Pauw

  • KH
    Karin Haertel

    Sollte die aktuelle Regierung je etwas positives fuer das Volk veranlasst haben - mir faellt da nichts ein -oder zukuenftig veranlassen, so hat sie jede Wiederwahl mit dieser Aktion verwirkt. Und auch die SPD luegt uns schon jetzt die Hucke voll. Es war doch Grinse-Ulla von der SPD die uns mit der Einfuehrung der Praxsgebuehr sinkende Beitraege versprach, auf die wir noch immer warten. Schon jetzt zahlen wir 14,9% Krankenkassebeitrag, 0,9% Zusatzbeitrag fuer Zahnersatz - den so mancher wohl schon vergessen hat und fuer den wir keinen Zahnersatz bekommen, wir zahlen pro Quartal 10 Euro = 40 Euro im Jahr wenn noetig. Dazu kommen 2% Eigenanteil vom Haushaltsbruttoeinkommen fuer vielfaeltige Zuzahlungn, dazu kommen bei einigen Kassen 12x8 Euro =96 Euro im Jahr Zuzahlung. Die Zumutbarkeit ist laengst ueberschritten, denn zaehlen wir alles zusammen, dann kommen wir locker auf 20 und mehr % Kassenbeitrag und werden behandet wie Menschen dritter Klasse. Jede Regierung laesst sich Preise und Honorare diktieren und handelt damit nicht zum Wohle des Volkes

  • V
    Vale

    Sollten die FDP und die Merkel-CDU des Leipziger Parteitags doch schlussendlich ihre Wahlversprechen einhalten? Diese brutale, menschenverachtende, neokapitalistische Propaganda?

     

    Aber bitte, beschweren Sie sich nicht: Die FDP sagte das alles vor der Wahl, die CDU sagte zu nichts irgendetwas, ergo galt, was sie vor der letzten Wahl sagten.

    Wer schon nach dem Höhepunkt der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise ernsthaft FDP wählte (die all jenes, was zur Krise geführt hat - nur viel drastischer - schon vor Jahren wollte) ist auch nicht besser als der Hypo-Real-Estate-Banker, der einer schon pleite gegangenen Lehman Brothers-Bank mal eben noch 300 Millionenen überweist.

     

    Ich verstehe einfach nicht, wie die Menschen darauf kommen, eine Politik zu wählen, die zu ihrem Nachteil ist?

  • AB
    alles beim Alten

    Die fetten Jahre sind vorbei, jetzt kommt die Dürre.

     

    Da der Mensch in Alter nun leider einmal gebrechlicher wird und die Aufwendungen für die Gesundheit deutlich höher sind als bei jungen Menschen, sind explodierende Kosten im Gesundheitswesen einfach die Folge des steigenden Alters und des "Gebärstreiks" der vorangegangen Generation.

  • B
    Boris

    Wer ausbeuter wählt, muß mit Ausbeutung rechnen

  • V
    vic

    "Rösler erwartet keinen Applaus"

    Nana, nicht so bescheiden.

    Ich bin sicher, er wird in Applaus baden.

  • T
    TheOrbitter

    "Rösler erwartet keinen Applaus."

     

    Aha, ganz realitätsfremd isser also doch noch nicht, der Herr Minister. Nur ein bißchen asozial ...

     

    Hier in den USA ist der Krankenversicherungsbeitrag (bei dem Versicherungspaket, das ich aus mehreren Möglichkeiten gewählt habe) 16% vom Bruttolohn. Davon zahlt mein Arbeitgeber 13,6% und ich 2,4% und die Versicherungsleistung ist mal nicht im geringsten schlechter als die eines gesetzlich versicherten daheim in Deutschland. Angesichts dessen, was die Koalitionäre da unter dem Druck ihrer Lobbyisten zusammengeklempnert haben, kann man aus der Ferne nur angewidert den Kopf schütteln.

  • W
    Werne

    Die Gesundheitsreform kann ja nur schlecht sein. Daniel Bahr war daran beteiligt.

  • VR
    Volker Rockel

    Für politisches Versagen kann man auch keinen Applaus verlangen!

  • RT
    reiner Tiroch

    Alle gesundheitsreformen sind lächerliche Stöpselwerke wo die Pillendreher geschont werden, und zielen wie immer nur auf beitragserhöhungen ab da keiner auch nur 1.-€ weniger verdienen will. Es ist so einfach dem Bürger alles aufs Auge zu drücken und die reform als gelungen darzustellen. Die unfähigkeit der politiker schreit zum Himmel genauso wie die der Banker.