Autorin Elfriede Brüning wird 100: Sex und Selbstbestimmung
Der DDR zu kleinbürgerlich, den Nazis zu links: Elfriede Brüning, die Frau, die für die Frauen schrieb, wird hundert Jahre alt. Heute schreibt sie nur Briefe.
Sie schreibt nur noch Briefe, meist Antworten an ihre Fans. Aber wenn die wohl älteste aktive Autorin Deutschlands zu Lesungen auftritt, wird es voll, mittlerweile auch im Westen. In der DDR erreichten ihre Bücher eine Auflage von über 1,5 Millionen. Nach 1989 erschienen neun Neupublikationen und etliche Nachauflagen. Am Dienstag begeht Elfriede Brüning ihren 100. Geburtstag. Am Montag wird in einer großen Festveranstaltung in der Berliner Volksbühne reingefeiert.
Ihre Lehrerin hatte höhnisch gelacht, als die Tochter einer Mützennäherin und eines kleinen Tischlermeisters, der stets kurz vor dem Ruin stand, verkündete, dass sie Schreiben zu ihrem Beruf machen wolle. Mit 15 war sie Büromädchen und damit Haupternährerin der Familie. Aber das Ziel verlor sie nicht aus den Augen.
Ihr war klar, dass sie nur mit einem aufsehenerregenden Text in die Zeitung kommen konnte. Nicht nur, um einen Preis zu gewinnen, sondern vor allem, um darüber zu schreiben, bewarb sie sich für eine Schönheitskonkurrenz. Und sie schilderte die Veranstaltung dann aus der Perspektive eines Mädchens, das sich von dem taxierenden Blick der "Glatzen" in der Jury entwürdigt fühlt.
Sex und Selbstbestimmung
Das 12-Uhr-Blatt druckte den Text und bestellte bei dem 16-jährigen Fräulein Brüning weitere Reportagen. Mit 19 gelangte sie mit einer List ins ganz große Feuilleton. Mittels einer fingierten "Empfehlung" ihres Chefs sandte sie einen "Über Sonntag" betitelten literarischen Text ans Berliner Tageblatt. Hier beschrieb sie, wie eine junge Frau, die mit einem Mann zeltet, um ihre sexuelle Selbstbestimmung ringt. Der Text erschien neben Beiträgen von Mann und Polgar. Prompt verlangten ihr auch die Vossische Zeitung und die Frankfurter Zeitung Artikel ab.
Als sie 1932 Mitglied des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) werden wollte, wurden ihre Texte kritisiert, weil sie angeblich nur "von den Sonntagen des Lebens" handelten. Sie schrieb nun Betriebsreportagen für die linke Presse. 1933 fehlten ihr, wie den meisten der ärmeren BPRS-Mitgliedern, Geld und Verbindungen, um zu emigrieren. Sie nahm an Flugblattaktionen teil und schmuggelte antifaschistische Texte zu Wieland Herzfeldes Malik-Verlag nach Prag.
1936 kam sie aus mehrmonatiger "Gestapo-Schutzhaft" nur frei, weil die Kurierfahrten unentdeckt blieben und es ihr glückte, sich als harmlose Autorin darzustellen, die nur durch Zufall mit dem Bund in Verbindung gekommen war. Die Exilführung empfahl den BPRS-Mitgliedern der inneren Emigration, Unpolitisches zu publizieren.
Es gelang aber wohl nur Elfriede Brüning, bis 1938 drei Unterhaltungsromane zu veröffentlichen, deren Frauenbild freilich das der Nazis konterkarierte: Die Protagonistinnen kämpfen mit ihren Verlobten darum, auch als Ehefrauen berufstätig zu bleiben. "Und außerdem ist Sommer" und "Auf schmalem Land" sind in aktuellen Ausgaben auf dem Markt.
Brünings große Karriere als Frauenschriftstellerin begann Ende der 40er Jahre mit dem Roman "Ein Kind für mich allein". Weil sie in der noch prüden frühen DDR das Tabu brach, über Ehebruch am Arbeitsplatz zu schreiben, galten ihre Bücher der Kulturbürokratie als "kleinbürgerlich". Dass sie dennoch gedruckt wurden, verweist auf eine gewisse Autonomie der Verlage.
Gegen die Doktrin
Elfriede Brüning widersprach der offiziellen Doktrin, dass gesetzlich garantierte Gleichberechtigung schon realisierte Gleichberechtigung sei. In ihren Büchern taucht nicht selten ein Mann auf, "der in seiner Jugend aufopfernd der Partei gedient hat, Flugblätter falzte und mit dem Lastwagen zur Agitation auf die Dörfer fuhr. Nach fünfundvierzig nimmt er eine geachtete Stellung ein, und als er stirbt, versammeln sich an seinem Grab hochgestellte Persönlichkeiten, die seine Verdienste loben. Doch niemand rührt an sein Privatleben, in dem er eine klägliche Rolle spielte, entschlusslos zwischen zwei Frauen pendelte, die sich zuletzt beide von ihm abwenden. Es reizt mich, in dem Buch den Spießer anzuprangern, der in manchem Mann, sogar guten Genossen, oftmals zutage tritt, aber ich ahne schon, dass die Kritiker, zumeist Männer, schonungslos über mich herfallen werden. Dennoch schreibe ich weiter."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen