: „Du wirst ja selber schwul“
Wenn Homosexuelle Kinder wollen: Elke Jansen, Leiterin des Projekts „Regenbogenfamilien“, über schwule und lesbische Familienplanung. Die gesellschaftliche Aktzeptanz sei weiter, als die Politik wahr haben wolle, sagt sie und fordert eine Veränderung der juristischen Verhältnisse
Interview: Eiken Bruhn
taz: Kann man Kindern homosexuelle Eltern zumuten?
Elke Jansen: Homosexualität als Zumutung – dahinter steckt ein wohl gerüttelt Maß der beliebtesten Vorurteile. Dass Lesben und Schwule keine Kinder aufziehen sollten, weil sie ihre Kraft zur Aufrechterhaltung des eigenen psychischen Wohlbefindens brauchen, weil die Paarbeziehung nur von kurzer Dauer ist, weil ihr Coming-Out die Kinder zu sehr belastet, weil diese selbst lesbisch oder schwul werden, weil die Töchter zu männlich oder die Söhne zu weiblich werden oder weil die Kinder sich aufgrund der Lebensform ihrer Eltern von Gleichaltrigen zurückziehen und sozial isolieren.
Alles aus der Luft gegriffen?
Ja. Es gibt seit den 70er Jahren in den USA und Großbritannien psychosoziale Studien zu Regenbogenfamilien, die Schwulen und Lesben eine adäquate Erziehungsfähigkeit und ihren Kindern eine gelungene psychosexuelle, soziale und emotionale Entwicklung attestieren.
Aber werden die Kinder nicht aufgezogen? Schließlich gilt „Schwuler“ auch unter Kindern als Schimpfwort.
Natürlich erleben die Kinder Sticheleien auf dem Schulhof, aber darin unterscheiden sie sich nicht von anderen. In dem Moment, wo ein Kind aus der Norm heraus fällt, wird dieser Punkt für Sticheleien benutzt. Entweder man ist zu dick oder zu dünn, zu sportlich oder zu unsportlich, hat eine Brille oder keine. Die Kinder werden aber nicht stigmatisiert in dem Sinne, dass ein Kind nur noch als Tochter eines schwulen Mannes oder einer lesbischen Mutter“ wahrgenommen wird. Es gibt auch keine Befunde, die vermuten lassen, dass sie Diskriminierungen erfahren, die „bleibende psychische Erschütterungen“ zur Folge haben. Es steht und fällt damit, wie Kinder lernen, mit solchen Sticheleien umzugehen.
Wird ein Kind eines Schwulen mehr geärgert als das einer Lesbe?
Da gibt es keine ordentlichen Untersuchungen zu. Aus meiner Beratungserfahrung habe ich den Eindruck gewonnen, dass Söhne homosexueller Eltern anscheinend öfter Stress mit Sticheleien haben als Töchter. Da heißt es dann manchmal: „Du wirst ja selber schwul.“ Wenn die Kinder jünger sind, so die Rückmeldung, bekommen die Kinder auch zu hören: „Mensch ich hätte auch gerne zwei Väter, die machen wenigstens was mit dir.“ Eine klassische geschlechtspezifische Rollenaufteilung kann bei homosexuellen Elternpaaren nicht zum Tragen kommen: Wenn zwei schwule Väter gemeinsam Kinder erziehen, ist es immer ein Vater, der eine Aufgabe übernimmt, gleich welche.
In US-amerikanischen Erfahrungsberichten heißt es oft, dass erwachsene Heteros sehr positiv reagieren – aus Erleichterung darüber, dass Homosexuelle damit normal werden.
Ich kann mir vorstellen, dass Lesben und Schwule, die selber Kinder haben, von Heterosexuellen in dieser Elterndimension als ähnlicher und damit näher erlebt werden. Meine Wahrnehmung ist, dass die Bevölkerung – und die ist ja überwiegend heterosexuell – tatsächlich sehr viel weiter ist, als die Politik annimmt. In einer europäischen Umfrage aus dem Jahr 2003, dem Gallup-Report, sprachen sich 57 Prozent der Deutschen für das gemeinsame Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare aus und damit lag Deutschland nach den Niederlanden an zweiter Stelle.
Weiter heißt es, dass die eigene Community sehr ablehnend reagiert. Kennen Sie das?
Lange Zeit waren Elternschaft und homosexuelle Lebensweisen für weite Teile der Gesellschaft, einschließlich der Homosexuellen selbst, kaum vorstellbar. So fielen Mütter und Väter aus der „schwullesbischen Community“ wohl eher raus. Das tun sie immer noch, wenn Zugehörigkeit darüber definiert wird, dass man häufig zusammen in die Kneipe oder tanzen geht. Der Alltag von Eltern ist ja ein erheblich anderer als der von Alleinstehen oder kinderlosen Paaren. Und leider ist dieser Irrtum immer noch sehr verbreitet, dass eine „homosexuelle Orientierung“ automatisch bedeutet, auf Elternschaft verzichten zu müssen. Es wäre wünschenswert, dass sich daran etwas ändert.
Was muss dafür passieren?
Es müsste sich zum Beispiel rechtlich sehr viel ändern – andere europäische Länder sind da sehr viel weiter. Hierzulande wird nichtverheirateten Frauen, so auch lesbischen Frauen, der Zugang zu Samenbanken oder Inseminationskliniken sehr schwer gemacht, und auch Adoption ist Einzelpersonen oder heterosexuellen Ehepaaren vorbehalten. Darüber hinaus hat eine Regenbogenfamilie, in der nur eine Person erwerbstätig ist, bis zu 400 Euro im Monat weniger zur Verfügung. Wenn sich daran etwas ändert, wird es auch mehr Regenbogenfamilien geben. Der Wunsch bei Lesben und Schwulen mit Kindern zu leben, ist nach einer Studie erstaunlicherweise höher als in der Durchschnittsbevölkerung.
Können Sie sich das erklären?
Ich habe dafür nur eine wilde Spekulation. Die Rollen- und Aufgabenverteilung in lesbischen Partnerschaften ist nachweislich sehr viel egalitärer. Es könnte also sein, dass lesbische Frauen sich den Kinderwunsch eher erfüllen würden, weil es sich leichter mit ihren beruflichen Wünschen in Einklang bringen lässt.
Sollte man Leihmutterschaft erlauben, um Männern mehr Möglichkeiten zu geben?
Ich finde, das ist eine ganz schwierige Diskussion, bei der es um weit mehr als nur um den Kinderwunsch geht. Den kann man sich ja in vielfältiger Weise erfüllen, wenn es nicht unbedingt ein leibliches Kind sein soll. Ich finde amerikanische und englische Lösungen sehr schwierig, die sind ethisch auch nicht bis zum Ende diskutiert.
Aber sind Männer nicht im Nachteil, solange sie diese Möglichkeit nicht haben?
Jein. Wenn es um leibliche Kinder geht, sind Lesben klar im „Gebärvorteil“. Da Männer in Deutschland aber durchschnittlich mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung haben, vermute ich, dass im Zusammenhang mit Adoptionen Schwule durchaus einen „Finanzvorteil“ haben.
Sie meinen Auslands-Adoptionen?
Ja, in der Regel geht es darum. Ganz vereinzelt ist mir zu Ohren gekommen, dass Lesben auch im Inland ein Kind adoptieren konnten, mit dem sie nicht verwandt waren. Solange lesbische und schwule Paare rechtlich in Deutschland nur als Einzelperson Kinder adoptieren können, können sie formal einem Adoptivkind nicht die gleiche Sicherheit bieten wie verheiratete Paare, auch wenn sie persönlich den Kindern all das geben könnten, was sie für eine gute Entwicklung brauchen.
Wenn das alles so kompliziert ist, besteht nicht die Gefahr, dass sich werdende Eltern zu viele Gedanken machen?
Dass sich Lesben schon „zu Tode organisiert“ haben auf dem Weg zur Elternschaft, ist mir bisher nicht zur Kenntnis gekommen. Ich sage aber immer etwas flapsig in meinen Vorträgen, es müssen so viele Entscheidungen getroffen werden, dass wahrscheinlich die eine oder andere lesbische Frau unbemerkt das gebärfähige Alter verlassen hat, bevor die Schwangerschaft in allen theoretischen Details geklärt gewesen wäre. Man kann es auch von der anderen Warte betrachten: Wir können davon ausgehen, dass jedes Kind, das nach dem Coming-Out in einer lesbischen oder schwulen Elternkonstellation eine Familie findet, zu 100 Prozent ein Wunschkind ist.
Welche Entscheidungen meinen Sie?
Zum Beispiel in Bezug auf den biologischen Vater. Soll es ein anonymer Samenspender sein oder jemand aus dem Bekanntenkreis, damit das Kind seinen Vater kennen lernen kann?
Ist so ein bekannter Samenspender nicht immer das fünfte Rad am Wagen?
Nein, nicht unbedingt. Aus meiner Erfahrung wollen die meisten lesbischen Paare, die sich für einen Bekannten als Samenspender entscheiden, dass derjenige später in der einen oder anderen Art in die Erziehung mit eingebunden ist. Wer das nicht möchte, entscheidet sich in der Regel ohnehin für eine Samenbank. Aber es gibt für solche Familienkonstellationen eben keine Modelle, das muss alles „ausgehandelt“ werden. Ganz spannend wird es, wenn sich ein lesbisches und ein schwules Paar zusammen tun zu einer so genannten „Queerfamily“. Da gibt es dann vier Meinungen über Erziehung.
Vier Eltern! Das arme Kind!
Klar, wenn das ein überversorgendes Erziehungssystem wäre mit acht Augenpaaren, die wachen, wäre das unangenehm. Man kann es aber auch aus einer anderen Perspektive betrachten: Kinder mit vier Eltern haben viel mehr Wahlmöglichkeiten als Kinder mit zwei Eltern. Man darf nicht vergessen, dass das deutsche Kernfamilienmodell mit Mutter, Vater, Kind nur eines von vielen ist. In anderen Kulturen werden Kinder von der ganzen Sippe erzogen, und ich glaube nicht, dass diese Kinder erstickt wurden mit Regeln. Und auch bei uns gab es ja drei Generationen unter einem Dach, da tobten unglaublich viele Leute durchs Haus, die diese Kinder erzogen haben.
Aber da waren auch mehr Kinder da.
Stimmt. Aber die wenigsten Lesben oder Schwulen, denen ich bis jetzt in der Beratung begegnet bin, wollten ein Einzelkind. Je leichter wir es ihnen machen, ihre Familienwünsche zu realisieren, umso mehr Kinder werden es sein. Nicht zuletzt läge darin eine Hoffnung für die Rentenkassen, oder?
Wer mehr wissen möchte über Regenbogenfamilien und Kontakt zu Gleichgesinnten sucht: Heute Abend spricht Elke Jansen in Osnabrück über „Wege schwul-lesbischer Familienplanung“, Motto: „Eltern werden ist nicht schwer.“ Beginn 19 Uhr im Café Spitzboden der Lagerhalle Osnabrück, Rolandsmauer 26
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