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Religiöser Fanatismus in TunesienPriestermord erschüttert Tunis

Auf dem Gelände einer katholischen Privatschule in Tunis wurde ein Priester ermordet. Es häufen sich die Anzeichen eines religiösen Fanatismus im Land.

Proteste für einen säkulären tunesischen Staat. Bild: dpa

TUNIS taz | Entsetzt schauen die Augen durch das kleine, vergitterte Fenster. Deutlich zeichnet sich im Halbdunkel des Lagerraums der katholischen Privatschule in Manouba, einem Vorort von Tunis, ein riesiger Blutfleck ab. Dort wurde am Freitagmittag die Leiche des polnischen Priesters und Finanzverwalters Marek Marius Rybinski gefunden, der Schädel mit einem Hammer eingeschlagen, die Kehle durchgeschnitten, nachdem das Opfer schon tot war. Es sei die Tat "einer faschistisch-terroristischen Gruppe", heißt es in einer Erklärung des tunesischen Innenministeriums. Jeder im Land weiß, wer gemeint ist: radikale Islamisten.

Es braucht kaum Arabischkenntnisse, um zu verstehen, was Eltern, Lehrer und Schüler, die sich am Sonntag früh auf dem Schulgelände versammelt haben, von dieser Interpretation halten. "Altes Regime", "Milizen", "Präsident Ben Ali" sind die französischen Ausdrücke, die deutlich herauszuhören sind. Alle reden "von einer Aktion, um Tunesien in Misskredit zu bringen", doch nur wenige wollen ihren Namen nennen.

Der ehemalige Schüler Malik Ouradi ist einer der wenigen. "Der Priester ist das Opfer eines Komplotts", ist er sich sicher und führt Indizien an. Die Leiche wurde in einem verschlossen Kabuff gefunden. Die Schulmauer zur Straße hin ist rund drei Meter hoch, das Tor war ebenfalls verschlossen. "Nur auf einer Seite, kann man ungesehen in das Schulgelände eindringen", sagt der junge Mann und verweist auf die Gartenmauer zum Nachbargelände. Es ist die Präfektur, die Provinzverwaltung, die hier als Nachbar residiert. "Die Milizen des gestürzten Präsidenten haben sicher kein Problem, dort ein- und auszugehen", sagt er bestimmt. Lehrer und Eltern geben ihm Recht.

"Wir hatten noch nie irgendwelche Probleme mit religiöser Intoleranz", erklärt der Direktor der einzigen privaten Grundschule des Landes, der britische Pater Lorenz. Die Einrichtung, in der 600 Kinder bis zur sechsten Klasse lernen, besteht seit 1923. Der Direktor ist seit 14 Jahren hier, das 34-jährige Mordopfer seit fünf Jahren. "Ich kann keine Hypothese ausschießen", sagt Pater Lorenz. "Aber bevor ich wie der Innenminister voreilige Schlüsse ziehe, will ich erst mal die Untersuchungen abwarten."

Dann erzählt er von einem Erpresserbrief am 30. Januar. "Achtung, ihr Juden" war da in Großbuchstaben zu lesen. Das Schreiben in schlechtem Französisch, das eines Morgens am Eingangstor hing, forderte Geld, "sonst gibt es Krieg zwischen uns, und der Tod wird euch bald besuchen". Unterschrieben war es mit einem Hakenkreuz.

Presse, Parteien und Religionsgemeinschaften reagierten geschockt auf den Mord und die Erklärung des Innenministeriums, obwohl selbst die katholische Kirche im Land zur Zurückhaltung mahnt. "Ich ziehe es vor, keine Erklärungen abzugeben, solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind", erklärte der Erzbischof in Tunis, Maroun Elias Lahham, der am Samstag in der Kathedrale die Totenmesse für Pater Rybinski las.

Auf der Straße davor hatte eine Gruppe Jugendlicher zur Schweigeminute gegen "den Fanatismus" gerufen. Ein Stück weiter die Avenue Bourguiba hinunter kam es zu einer Kundgebung für eine strikte Trennung von Staat und Religion. Spontan versammelten sich dutzende von Islamisten, um die Demonstranten zu beschimpfen.

Die Nerven liegen in Tunesien blank, wenn es um den religiösen Fundamentalismus geht. Freitag vor einer Woche versammelten sich mehrere dutzend Anhänger einer kleinen salafistischen Gruppe vor der Synagoge der Hauptstadt und schrien antisemitische Parolen. In Sousse, Kairouan und Bizerte wurden Bars, die Alkohol verkaufen, sowie Bordelle angegriffen und teilweise verwüstet. In Tunis konnte die Armee am Freitag die Randalierer vor dem Bordell in der Altstadt abwehren.

Die islamistische Bewegung Ennahda unter Rachid Ghannouchi reagierte am Samstag mit einem Kommuniqué, das "jede Form von Gewaltanwendung, Aufrufe zur Gewalt oder Bedrohungen von Personen, Geschäften oder religiösen Stätten, unter welcher Begründung und von wem auch immer" verurteilt.

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7 Kommentare

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  • M
    Michael

    Ja, ich wäre froh, wenn Reiner Wandler mit seiner Unterschrift ein bisschen vorsichtiger gewesen wäre. Viele Menschen lesen doch in der Eile v.a. Über- und Unterschrift ("... Es häufen sich die Anzeichen eines religiösen Fanatismus im Land.") und sehen sich dann in ihrem Vorurteil bestätigt. Vorurteile zu bestätigen kann aber nicht der Sinn von Zeitung sein. Schade: Dabei spricht der Text des Arktikels doch schliesslich eine andere Sprache.

     

    Hier ein Artikel mit vielen Links zum Thema:

     

    Tunesien und die Angst vor dem militanten Islamismus -

    Demonstranten werfen der Regierung Täuschungsmanöver vor

    http://www.heise.de/tp/blogs/8/149318

  • E
    elias

    vive la revolution vive la demokratie vive la tunisie.

  • H
    Hamza

    Ein Tatverdächtiger wurde Heute festgenommen, es handelt sich um einen Freund des verstorbenen (die hätten eine sexuelle Beziehung geführt).

    Der festgenommener ist Schreiner von Beruf und hätte sich mit dem Priester wegen einer Geldsumme gestritten.

    Daher bitte ich die Presse einen gewissen Professionalismus was Berichterstattung angeht, es ist nicht die Aufgabe der Presse Ängste zu schüren oder Vorurteile und Clichées Nahrboden anzubieten.

  • A
    Adam

    Ich finde doch ihre Schlussfolgerung für sehr voreilig. Wahrscheindlich sind Sie nie in Tunesien gewesen oder haben zumindest gar keine Ahnung von den tunesischen Verhältnissen.

    Tunesien kennt so eine Art von religiösem Fanatismus nicht und hat gar kein Fundament in der breiten Masse der tunesischen Bevölkerung. Dass ausgerechtnet jetzt ein Priester ermordet worden ist, sollte Ihnen doch zu denken geben. Radikale Islamisten haben doch zum jetzigen Zeitpunkt gar kein Motiv den Priester umzubringen, die alten Milizen hingegen jedoch schon.

    Also bitte tun sie uns doch allen einen Gefallen und halten mit billigen und voreiligen Schlüssen erstmal zurück!

    Tunesien ist frei und bleibt frei!

  • DB
    Di Brik

    Die verfluchten Fanatiker!!!!!

    Es tut mir sehr Leid für den Priester.Er hatte einfach

    nur seine Arbeit gemacht.So sind die Islamisten und

    Fanatiker überall.Alle haben eine Kopfwäsche,die denken

    nur an sich.Die Mörder und Anhäger sind einfache,arme

    und dumme Leute.Alle sind von Islamisten Bosse und Führer gesteuert wie Islamisten Parteien ( Nahda-Partei,Hizb Tahrir-Partei und Islamisten Brüder-Partei ).Die Mutter aller Fanatiker und Terroristen ist natürlich Iran.Die Polizei hat damit menge zu tun zur

    Zeit in Tunesien.Ich bin sich dieser Zustand mit Unruhen hin und her nicht lange dauern wird.Alle Ganoven werden in Tunesien keine Chance haben.

  • MB
    Markus Brandt

    Ich denke, dass das Land - und vielleicht mehrere islamische Staaten - bald von Islamisten regiert werden wird. Die sind skrupellos und schrecken vor keiner noch so abartigen Bluttat zurück. Das wird sich durchsetzen. In einer Gesellschaft in der Liebe, Ehrlichkeit und Friedlichkeit als Dummheit und Schwäche - ja sogar als Schande - interpretiert wird kann sich nur die Gewalt durchsetzen. Was war mit dem Libanon, was mit Iran? Was war nach der Wahl in Gaza? All diese Revolutionen und demokratischen Wahlen in dieser Region haben bis jetzt dazu geführt, dass eine politische Ideologie gewinnt die dann als erste Amtshandlung die Demokratie und den Rechtsstaat beseitigt, soweit bereits vorhanden.... . Traurig. Mein Beileid für all die Opfer dieser Ideologie und ihren Angehörigen.

  • LL
    Lisa Lila

    Die Revolution wird noch einen langen Atem brauchen und darf nicht wanken oder verraten werden, damit

    Andere nicht die Früchte davon tragen:

    Islamismus mit Faschismus oder selbst eines von beiden ist das allerwenigste, was diese Länder als Staatsgrundlage benötigen.