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Gesetz für NetzausbauRainer Brüderle klotzt Kilometer

Der Wirtschaftsminister plant ein Gesetz zur Beschleunigung des Netzausbaus: Wer Ökoenergie wolle, brauche 3.600 Kilometer neue Leitungen. Umweltschützer widersprechen.

Mit mehr dezentraler Energieerzeugung könnte der Bedarf an Stromtrassen reduziert werden. Bild: ap

FREIBURG taz | Wer schneller raus wolle aus der Atomkraft, müsse auch den Ausbau des Netzes für Ökostrom akzeptieren - das hat Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) seit der Katastrophe in Japan mehrfach gesagt. Heute will er nun ein "Netzausbaubeschleunigungsgesetz" vorlegen. Die Genehmigungsverfahren für Stromleitungen sollen drastisch verkürzt werden.

Hintergrund ist die vorübergehende Abschaltung der ältesten deutschen Atomreaktoren Ende vergangener Woche. Da der Süden Deutschlands besonders viel Atomstrom erzeugt, die Windkraft aber vor allem aus dem Norden kommt, werden die Übertragungskapazitäten von Nord nach Süd knapp.

Die großen Energieversorger warnen bereits. Eon-Chef Johannes Teyssen sagte dem Spiegel, es sei nach der Abschaltung der Altmeiler "jetzt schon äußerst schwer", das Stromnetz "stabil zu halten". Eine Stilllegung weiterer Kraftwerke sei "überhaupt nicht zu verkraften".

Entsprechend forderte der BDEW, der Branchenverband der etablierten Stromwirtschaft, einen "dringenden Netzausbau in Deutschland und die Verkürzung von Planungs- und Genehmigungsverfahren".

Brüderle will deswegen einen "Bundesnetzplan": Bundesweit sollen Trassenkorridore ausgewiesen und für den Bau von Hochspannungsleitungen reserviert werden. Gemeinden sollen verpflichtet werden, einen Leitungsausbau über ihre Gemarkung "im Interesse des Gemeinwohls" hinzunehmen.

#Der Wirtschaftsminister geht davon aus, dass mehr als 3.600 Kilometer neue Leitungen benötigt werden. Diese Zahl hat die Deutsche Energieagentur (dena) im Herbst publiziert. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte jedoch damals schon darauf hingewiesen, dass sie zu hoch sei und der Bedarf mehr als halbiert werden könne, wenn die bestehenden Trassen leistungsfähigere Leitungen erhielten: "Die zügige Realisierung innovativer Technologien", so die DUH, müsse "Vorrang haben vor dem Klotzen von Kilometern".

Der Druck zum Bau neuer Leitungen resultiert auch daraus, dass Baden-Württemberg und Bayern den Ausbau der Windkraft jahrelang stark vernachlässigt haben. Die beiden Länder liegen heute auf den letzten Plätzen der Windstatistik.

An fehlenden Standorten liegt das nicht: Erst kürzlich präsentierte das Stuttgarter Wirtschaftsministerium einen Windatlas, der zahlreiche Standorte im Land ausweist, deren Windverhältnisse Küstenregionen ebenbürtig sind. Umweltverbände merken an, dass der große Bedarf an Trassen daher rührt, dass man den dezentralen Ausbau der Stromerzeugung jahrelang vernachlässigt hat.

In der aktuellen Debatte treffen die zentralistisch geprägte Denke der etablierten Stromwirtschaft und die Vision einer regional geprägten Energieversorgung aufeinander. "Ein großer Teil des geplanten Netzausbaus kann eingespart werden, wenn Windanlagen bewusst im Umland der großen Städte errichtet werden", heißt es beim Solarenergie-Förderverein Deutschland.

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8 Kommentare

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  • W
    Waage

    @Dejot

     

    damit sie wegen der Netzstabilität wieder ruhig schlafen können:

     

    Im Sommer werden bei jetzigem Ausbau (ca. 15GW)Mittags keine wesentlich größere PV Leistungen ins Netz drücken als jetzt schon an einem sonnigen Märztag und zwar Mittags um die 10 Gigawatt. Das halten die Netze jetzt aus, das werden sie auch im Sommer noch aushalten!

     

    Für Neugierige: aktuelle Sonnenstromhochrechnungen auf der Seite "PV Leistung in Deutschland" eines bekannten deutschen Wechselrichterherstellers.

    (Dejot, klickt Ihr Brötchengeber auch öfters mal an, da zur Zeit das genaueste was man kriegen kann)

  • P
    Para-Celsius

    Bundesweiter Stromnetzausbau von Ferntrassen heisst ja zunächst: Festhalten am zentralistischem System.

    Auch CCS/Co2-Speicherung soll nur den Status Quo betonieren.

    Also blockieren wir wieder die regionalen Stadtwerke und die Bildung von regionalen Mikrostruktruren.

     

    Ich bin gegen einen weiteren Gesetz-Entwurf-Schnellschuss, der 1:1 aus der Feder der grossen privaten Stromversorger kommt.

    Das muss doch erst breit und öffentlich das langfristige Ziel diskutiert werden.

     

    Ferntrassen ja, aber bitte unterirdisch in wartungsfreundlichen Leerschächten z.b. entlang von Strassen/Autobahnen und Gleisstrecken. Da passt dann auch noch das ein oder andere Datenkabel rein.

    Überlandkabel sind evtl. etwas billiger zu errichten, aber unterm Strich wegen der Wartungkosten teurer als Erdkabel. Aber diese Wartung sollen die Stromkonzerne ja später nicht mehr bezahlen.

    Hatten wir vor ein paar Jahren nicht vereiste und umgeknickte Überlandleitungen und massive Stromausfälle? Da hiess es vorher auch, sowas passiert nur im maroden USA-Stromnetz.

    So ein witterungsbedingtes Leitungsversagen von Überlandleitungen passt aber auch wieder in ein Atom-Störfall Szenario!

    Das gehört auch noch auf die Liste für das AKW-Laufzeiten Modatorium!

     

    Herren in dunklen Anzügen setzen sich bei vielen Gemeindesitzungen dazu und wiegeln die besorgten Bürger gegen Windkraftanlagen auf (Landschaftsverschandelung, Infraschall, Schlagschatten, etc.). Die andere Strategie ist der Knüppel "Überlandleitungen", wer Windkraft will wird mit Überlandleitungen und Enteignung entlang der Trassenführung,Landschaftsverschandelung und Elektroskog im Vorgarten bestraft.

    Das ist doch eine subversive Konfrontations-Strategie von Gestern und mittlerweile ein Schuß ins Knie.

     

    Wie hoch sind die Leitungsverluste der Ferntrassen 15 Prozent oder 30 Prozent? Da heisst es wohl zuerst Leitungsverluste minimieren statt den Bestand an zentralen Kraftwerken zu erhalten oder auszubauen.

    Zum einen durch mehr dezentrale Versorgung und zum anderen durch technischee Optimierung der bestehenden und zu planenden Ferntrassen.

     

    Gleichstromleitungen sind verlustfreier. Aluminiumleitungen sind verlustfreier, die können aber für Überlandleitungen nicht verwenden werden, sie sind aber als Erdkabel geeignet.

  • BS
    Bernd Schlüter

    Ich fordere den intelligenten Stromzähler, der mir Strom ohne Überleitungsgebühr zur Verfügng stellt. Sprich: ich muss dann meinen Verbrauch streng an die Einspeisung benachbarter Solarpaneele und BHKWs anpassen, wozu ich mit meinerm Elektroauto ausgiebig Gelegenheit habe. Bei warmem Wetter und fehlendem Sonnenschein und Wind wasche und dusche ich dann eben nicht und fahre mit meinem Verbrenner.

    Nein, der Netzausbau ist überflüssig.

     

    Bernd Schlüter

  • V
    vic

    Wenn Netze zugunsten regenerativer Energie ausgebaut werden müssen, dann muss das geschehen. Wenn Windparks entstehen müssen, dann muss das geschehen. Was wir nicht brauchen ist Solarstronversorgung aus Afrika, noch dazu in der Hand der üblichen Verdächtigen.

     

    Sehr viele Städte, Gemeinden und Kommunen versorgen sich längst selbst dezentral. Unter anderen auch mein Wohnort. Vor allem dieser-hoffentlich unaufhaltsame- Trend muss gefördert werden.

    Doch auch dafür wird das eine oder andere Windrad notwendig sein.

    Ist Atomkraft Umweltschutz, ist ein Atomktraftwerk schön?

    Es kann doch nicht wahr sein, dass saubere Stromversorgung letztlich ausgerechnet an Umweltschützern scheitert.

    Optimal bleibt natürlich das Null-Energiehaus.

    Doch leider wird das nur für Vermögende möglich sein, für Mietshäuser schon gar nicht.

    Noch nicht

  • H
    Happes

    "Dezentral" bedeutet nun mal zwangsläufig weniger Gewinne für das regierende Stromkartell. Und da für Brüderle bei einem der vier Oligopolisten garantiert ein lukratives Pöstchen reserviert ist, kann man festhalten: Der eklige pfälzische Weinköniginnenabbussler hat nicht nur Angst um seinen gegenwärtigen Job, sondern auch schon um seinen nächsten.

  • D
    dejot

    Ich arbeite bei einem deutschen Stromnetzbetreiber und wir sind derzeit gerade so in der Lage, dass deutsche Höchstspannungsnetz zu stabilisieren. Ohne Großkraftwerke (egal ob Kohle oder Atom) werden wir so ein dynamisches Netz wie in Deutschland nicht stabil betreiben können – Stichwort Blindleistung. Mir wird Bange, wenn ich an den Sommer und die unkoordinierte Einspeisung von Sonnenstrom denke.

     

    Leider ist vielen Menschen nicht klar, wie aufwändig es ist, ein komplexes Stromnetz zu betreiben. Im Januar haben wir immer wieder Tage, an denen so gut wie kein Wind weht und kaum Sonne scheint. Diese Energie ist niemals speicherbar.

     

    WANN WIRD ENDLICH VON FACHLEUTEN ÜBER DIE ENERGIEPOLITIK GESPROCHEN??

  • O
    opethbass

    Dafür! Endlich vorbei mit dem Sankt Florians Prinzip

     

    Von allen denkbaren Übeln sind Stromleitungen ja wohl das absolut geringste. Davon sollen so viele gebaut werden, wie halt gerade notwendig. Gerne auch über meinem Haus, ich hätte da absolut nix dagegen.

     

    Dass die tollen "Hochleistungstrassen" einen um 15% niedrigeren Wirkungsgrad haben (Hochtermperaturkabel), ist den ollen Umweltverbänden auch egal. Dass im Norden mehr Windmühlen stehen, als im Süden ist halt so. Brauchen wir halt neue Leitungen und je schneller, desto besser.

     

    Und dass in den Waldschneisen für die Masten hübsche Biotope heranwachsen, weil nicht forstwirtschaftlich genutzt, hat sogar etwas sehr "umweltfreundliches"

  • W
    Waage

    Es ist verblüffend welch eine billige und dreiste Masche hier (höchstwahrscheinlich sogar mit Erfolg!)gefahren wird, um durch die Ankündigung eines vollkommen überzogenen Netzausbaus die Erneuerbaren Energieen zu desavouieren!

     

    Gegen neue (nur vorgeschobene) Gigantopläne -

    für eine möglichst dezentrale Stromversorgung in Kommunaler- und BürgerInnenhand!