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Stuttgarts Polizeichef"Den Typen brauchen wir nicht mehr"

Am 30. September 2010 demonstrierten Stuttgart-21-Gegner im Stuttgarter Schlossgarten, unter anderem für Bäume. Die Polizei schlug brutal zu. Jetzt wird aufgearbeitet.

Schon unter Schwarz-Gelb gab es Aufarbeitungen zum Einsatz, hier im November 2010. Die damalige Regierung stützte die Einsatzstrategie. Bild: dapd

STUTTGART taz | Nach wenigen Minuten steht der erste Mann wutentbrannt auf. "Den Typen brauchen wir nicht mehr", ruft er und knallt die Kirchentür hinter sich zu. Der Typ, der vorne steht, ist Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf. In der Hospitalkirche wollte Stumpf am Dienstagabend über Sicherheit und die Rolle der Polizei im gesellschaftlichen Leben reden.

Welche Rolle die Stuttgarter Polizei am 30. September übernommen hatte, haben die Gäste - vorwiegend Stuttgart-21-Gegner - noch allzu gut vor Augen. Sie wollten von Stumpf eine Entschuldigung hören für den "schwarzen Donnerstag". Ein Eingeständnis, dass es falsch war, mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen S21-Demonstranten vorzugehen. Stumpf aber berief sich abermals auf eine "klare Rechtsgrundlage". Doch mit dem Wechsel an der Regierung gerät er wegen des Einsatzes nun unter Druck. Grün-Rot drängt auf seinen Rückzug.

Diesen hatten Grüne und SPD zum Abschluss des Untersuchungsausschusses im Januar gefordert. Stumpf selbst hatte nach dem Einsatz die Verantwortung für den Einsatz übernommen. Zugleich hatte er eine Einflussnahme durch die Regierung unter Nochministerpräsident Stefan Mappus dementiert.

"Stumpf muss die Konsequenzen ziehen"

"Politisch hat sich durch die Wahl die Verantwortlichkeit geklärt", sagte der SPD-Kreisvorsitzende Andreas Reißig der taz. Reißig ist auch Sprecher des Landesvorsitzenden Nils Schmid. "Da Herr Stumpf die alleinige Verantwortung übernommen hat, muss er Konsequenzen daraus ziehen." Auch der Grünen-Fraktionschef im Stuttgarter Gemeinderat und Landtagsabgeordnete Werner Wölfle legt Stumpf nahe, sich auf einen anderen Posten zu bewerben.

Der Sprecher der Polizei, Stefan Keilbach, sagte, diese Forderungen seien im Wahlkampf entstanden und im Zuge des Untersuchungsausschusses. "Das alles ist jetzt erst mal vorbei", sagte er der taz. Stumpf selbst wolle sich an Spekulationen nicht beteiligen. Rechtlich ist es schwierig, Stumpf zu entlassen. Diese Forderung kann nur der jetzige oder der neue Innenminister stellen. Möglich wäre, dass sich dieser und Stumpf auf eine Versetzung verständigen.

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12 Kommentare

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  • N
    nowarinbw

    Das war nur ein Stammeskrieg. Die Stuttgarter Stämme leben seit langem in Konkurrenz zu dem umliegenden Stämmen vom Land, die auch die Polizei dominieren. Es geht nur um den Wohlstand von BW, von dem die Stuttgarter Stämme nun noch mehr abhaben wollen. Wer sind diese Stuttgart21-Rebellen, wer finanziert sie? Das konnte mir noch niemand sagen! Ich sehe nur, dass sie Bauzäune beschädigen und Unruhe stiften. Es ist ganz normal, dass ein Polizeipräsident versucht, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, das ist sein Job. Die Rebellen sind nur eine kleine Minderheit.

  • JV
    Jugendlicher vom 30.09.

    Wenn Stumpf geht, ändert das doch gar nichts.

    Ich war an diesem Tag im Schlosspark und sowohl ich alsauch jeder, den ich dort kannte hat Pfefferspray, Wasserwerfer und teilweise Tonfas abgekriegt.

    Die Empörung darüber ist sicherlich gerechtfertigt, was mich aber an der ganzen Sache stört ist, dass der 30.09. als Ausnahmefall behandelt wird, weil es auf einmal die getroffen hat, die sonst jubeln, wenn die Staatsmacht auf Demonstranten einschlägt.

     

    Wo ist die Empörung, wenn das gleiche Jahr für Jahr beim Castor passiert? Wo ist die Empörung, wenn Naziaufmärsche durchgeboxt werden, indem man 250 Menschen 7 Stunden lang in einer GeSa einsperrt, wenn man die 1. Mai Demo stoppt, weil "nach Augenmaß" das Fronttransparent 30cm zu lang ist und es dann unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock beschlagnamt?

    Das sind nur Teile von dem, was ich oder mir bekannte Jugendliche schon erlebt haben.

    Aber das, was wir in den Medien sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Staatliche Gewalt ist alltäglich und sie ist überall. Wenn Flüchtlinge abgeschoben werden, ist das stattliche Gewalt.

    Wenn Punks in Gewahrsam genommen werden, weil sie nicht ins Stadtbild passen, ist das staatliche Gewalt.

    Und wenn wir als Untertanen dieses Staates weiterhin selektieren zwischen staatlicher Gewalt, die uns passt und welcher, die uns nicht passt, wird sich daran nie etwas ändern.

    Wenn wir aber gegen jede Form staatlicher Gewalt versuchen gemeinsam und solidarisch Widerstand zu leisten, in welcher Form auch immer, und uns nicht zu Distanzierungsorgien hinreißen lassen, wenn Menschen ihr elementares Selbstverteidigungsrecht wahrnehmen, wenn die Polizei sie wegspülen/knüppeln/einsperren will, dann und nur dann wird sich vielleicht etwas ändern.

  • BW
    beate würtele

    wir waren betroffen, in uns brodelte die erlebte ohnmacht und wut vom 30.9. wieder auf. ich weiß nicht, wie es der blind geschossene herr wagner in der hospitalkirche aushalten konnte. wir sollten einen gefühlsamputierten herrn stumpf über sicherheit reden lassen.

    er, der mit wasserwerfern und pfefferspray auf schüler schießen ließ und schlagstöcke auf ungeschütze köpfe schlagen,um ein parkstück einzuzäunen. das wunder vom schwarzen donnerstag war, daß wir friedlich geblieben sind und daß es keine totgetrampelten gab.

    es war nicht auszuhalten diesen gefühlsamputierten herrn stumpf zu sehen und zu hören.

    er beharrte auf die rechtsmäßigkeit, nachdem ein paar der traumatisierten ihr erlebtes wahrhaftig erschüttert, zu ihm gerichtet, wiedergaben.

    mir wurde eiskalt dabei, obwohl ich erst zur baumfällung im park war.

    dieses geschehene unrecht schreit nach einem unabhängigen gericht, das sich auch für schmerzensgeld der schwerverletzten und traumatisierten einsetzt und die schuldigen zur rechenschaft zieht.

     

    der untersuchungsausschuß war ja nur ein sehr schlechter witz.

     

    ich danke herrn pfarrer schwarz, daß er den versuch gewagt hat, auch wenn alles anders kam als erhofft.

    die kunstausstellung in der kirche hat zu unserem thema wunderbar gepaßt.

  • B
    Bernd

    Der Stumpf

    ist doch nur das Bauernopfer.

    Der war bestimmt nicht für den Einsatz verantwortlich, da gabe es sicherlich ganz andere Kommandostrukturen.

     

    Was ist eigentlich mit dem Rech ?

    Der hat sich doch bei der Anhörung im Landtag zu den Vorgängen im Plenarsaal gelangweilt in seinem Sessel gefläzt und gwewartet bis das vorüber war.

  • F
    Frank

    "Den Typen brauchen wir nicht mehr" als Überschrift in der "einzig wahren" Zeitung. Es mutet schon etwas seltsam an, daß die taz sich in der gleichen Ausgabe über die Qualitäten der Bild-Zeitung auslässt und dann eine solche, den ethischen Grundsätzen des wahren und ehrlichen Journalismus entsprechende Titelzeile verwendet.

  • T
    tobelbaer

    "Diesen Typen...."

     

    Diese Wortwahl sagt alles aus über die Denkstruktur und den Charakter dieses die Kirche verlassenden "Typen". Mehr ist dazu nicht zu sagen. Unter solchen "Typen" werden wir in Baden-Württemberg ab Mai 2011 zu leiden haben.

    Wohlauf, wohlan Baden-Württemberg

  • K
    Kommunist

    Meine Solidarität mit der Polizei. Wer sich gegen den Rechtsstaat stemmt muss damit rechnen einen auf den Deckel zu bekommen. Wer friedliche Arbeiten stört bzw Baumneusetzungen verhindert hat doch nichts anderes verdient! Und wer mutwillig den Tod von Polizisten in Kauf nimmt, z.B. immer wieder der Versuche der Steinigung, gehört lebenslang in den Knast!

     

    Manchmal wünsche hier mir hier die DDR oder die Sowjetunion zurück, aber auch China ist in der Beziehung ein Vorbild.

     

    FÜR DEN KOMMUNISMUS!!!

  • F
    FAXENDICKE

    "Klare Rechtsgrundlage"???

    Dann leben wir in einem POLIZEISTAAT in dem friedliche Bürger auf interne Anweisung hin, bzw. aus sadistischer Niedertracht seitens der Beamten, auf's brutalste körperlich und natürlich auch seelisch verletzt werden dürfen!!!

    Es gab wohl ein "Bauernopfer" aber eine Geldstrafe für diesen brutalen Schläger mit Beamtenstatus ist ja wohl ein Witz.

    Schwere Körperverletzung im Amt müßte mindestens eine Haftsrafe ohne Bewährung, unehrenhafte Entlassung und Streichung jeglicher Pensionsansprüche (für die Beamte eh nichts einzahlen) nach sich ziehen.

    So spornt das diese Schlägertypen in Uniform bloß an weiter zu machen.

  • TI
    tot ist der könig, lang lebe der könig

    solange es keine strukturveränderungen gibt, wird es auch keine positiven oder gar demokratischen veränderungen geben- auch nicht mit den gehypten grünen. sie sind ein teil dieses sytems, welches -natürlicherweise- an seiner selbsterhaltung interessiert ist.

  • S
    Schwabe

    Herr Stumpf sollte den Bogen nicht mehr überspannen. Wir haben in Stuttgart und in der Region eine angespannte Situation zwischen Polizei und Bürger.Ein Beispiel vom Wahlabend: In der Stadt fuhren mal wieder Hundertschaften von Polizisten auf, was wir ja inzwischen gewohnt sind, wir werden ja des öfteren regelrecht belagert von Polizisten aus allen Regionen, schrie eine ca 90 Jährigen Rentnerin mit erhobenen Stock zu den anfahrenden Polizisten: "Haut ab". An der Strasse entlang schrien dass auch die Kinder.Diese Situation war so passend wie das Verhältnis seit dem 30.09 zwischen Bürger und Polizei momentan bei uns ist. Wir haben erlebt wie die Polizei auf uns Bürger einprügelt und die ganze Stadt und BW war entsetzt.

    Es kamen bis heute keine Entschuldigungen oder Versuche diesen Riss zwischen Bürger und Polizei zu heilen oder aufzuarbeiten.

    Herr Stumpf und die Polizei sollte den Bogen jetzt nicht überspannen denn die Seele bei den Bürgern kocht und die Folgen wären verheerend.

  • P
    Peter

    "Den Typen brauchen wir nicht mehr"

    Dieser Satz ist nicht gerade ein Beispiel reflektierten Denkens.

    "Diesen Typen haben wir nie gebraucht!" hätte weitaus mehr Sinn gemacht. Brutale Schlägertrupps zum vermeintlichen Schutz einer Demokratie sind genau so unnötig wie Stuttgart 21.

  • RB
    Ralf Bauer

    "Der Sprecher der Polizei, Stefan Keilbach, sagte, diese Forderungen seien im Wahlkampf entstanden und im Zuge des Untersuchungsausschusses. "Das alles ist jetzt erst mal vorbei", sagte er ..."

     

    Fehlermeldung, Herr Keilbach. Da irren sie schwer. Zig-fache, von Behörden geplante Körperverletzung ist nicht mit der "Abwahl" eines unfähig und zur Gewalt neigenden Ministerpräsidenten vorbei. Dies dreht keine Uhr zurück. Die Schmerzen mögen verklungen, die körperlichen Wunden verheilt sein. Jedoch es bleiben die Narben als Beweis und Mahnung. Seelische Schäden, insbesondere an verletzten Jugendlichen, welche sich mitten im Entwicklungsstadium befinden, werden ein Leben lang verbleiben.

    Hierfür ist Verantwortung zu übernehmen; es nur zu bekunden reicht in keinem Falle aus.

    Herr Stumpf als Täter und weitere Verantwortliche als Mittäter werden sich vor einem Gericht wiederfinden, welches die vom Gesetze vorgesehene Strafe festlegen wird. Es ist davon auszugehen, dass eine "besondere Schwere" der Schuld vorliegt.