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Urteil zur SicherungsverwahrungWegschließen so kurz wie möglich

"Für immer hinter Gitter" gilt für die Sicherungsverwahrung nicht mehr. Doch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts bleiben viele Insassen vorerst in Haft.

Einfach nur "Wegschließen" geht nicht mehr. Die Regelungen zur Sicherungsverwahrung wurden gekippt. : dpa

KARLSRUHE taz | Die Sicherungsverwahrung muss sich künftig von der Strafhaft grundsätzlich unterscheiden. Weil dies bisher nicht der Fall ist, hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe alle Regelungen zur Sicherungsverwahrung mit einem Federstrich für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber muss nun bis Juni 2013 eine "freiheitsgerichtete und therapieorientierte" Neuregelung vornehmen.

Das Urteil erging auf Klage von vier Sicherungsverwahrten, deren Verwahrung rückwirkend verlängert oder nachträglich angeordnet wurde. Das Gericht nahm die Fälle jedoch zum Anlass, das Recht der Sicherungsverwahrung ganz grundsätzlich zu prüfen.

Bei der Sicherungsverwahrung muss ein Täter auch nach Verbüßung seiner Strafe im Gefängnis bleiben - so lange, bis er nicht mehr als gefährlich gilt. Derzeit sitzen in Deutschland mehr als 500 Personen in Sicherungsverwahrung, Tendenz stark steigend. Die Verwahrten sitzen in den gleichen Gefängnissen wie Strafgefangene, meist nur in einem separaten Trakt.

Das muss sich künftig ändern. "Das Leben in der Sicherungsverwahrung ist den allgemeinen Lebensbedingungen anzupassen", soweit es die Sicherheit erlaubt, so die Vorgabe der Richter. Die Verwahrung müsse sich jedenfalls deutlich vom Strafvollzug unterscheiden. Dieses sogenannte Abstandsgebot begründen die Richter mit dem besonderen Charakter der Sicherungsverwahrung. Während die Strafe eine Vergeltung für schuldhaft begangene Taten sei, wirke die anschließende Sicherungsverwahrung rein präventiv und ziele auf die Verhinderung künftiger Straftaten. Dem Verwahrten werde damit ein "Sonderopfer" für die Allgemeinheit abverlangt, so die Richter.

Karlsruhe verschärft eigene Rechtssprechung

Karlsruhe verschärft damit seine eigene Rechtsprechung. Zwar hatte das Gericht schon 2004 einen "privilegierten Vollzug" für Sicherungsverwahrte gefordert - allerdings nur "soweit sich dies mit den Belangen der Justizvollzugsanstalten verträgt". Diese Einschränkung gibt Karlsruhe nun auf und fordert stattdessen eine Unterbringung der Verwahrten "in besonderen Gebäuden und Abteilungen". Hier muss in den nächsten Jahren wohl viel gebaut und umgebaut werden.

Vor allem aber ist die Sicherungsverwahrung künftig wirklich als Ultima Ratio auszugestalten. Sie soll so schnell wie möglich enden oder gar nicht erst nötig werden. Aus dem "Wegschließen für immer" von Kanzler Schröder wird ein "Wegschließen so kurz wie nur möglich". Schon während der Strafhaft sollen deshalb Therapien beginnen, die möglichst vor Strafende abgeschlossen sein sollen. Ein Vollzugsplan soll eine realistische Entlassungsperspektive eröffnen. Der Betroffene soll immer wieder zur Mitwirkung motiviert werden. Bisher werden Therapieverweigerer meist einfach abgehakt.

Anstaltsleiter wollten kein Risiko eingehen

Außerdem sollen die Verwahrten künftig einen gesetzlichen Anspruch auf Vollzugslockerungen und Entlassungsvorbereitungen bekommen. Dies ist bisher oft an Sicherheitsbedenken der Anstaltsleiter gescheitert, die kein Risiko eingehen wollen. Zudem muss künftig jährlich geprüft werden, ob ein Verwahrter noch als gefährlich gilt, bisher wird alle zwei Jahre geprüft.

Der Gesetzgeber hat für die Neuregelung bis zum 31. Mai 2013 Zeit, also rund zwei Jahre. Der Bundestag muss dabei die "wesentlichen Leitlinien" der Sicherungsverwahrung bestimmen, die Landtage sind für die konkrete Ausgestaltung des Vollzugs zuständig.

Bis dahin bleiben die normalen Verwahrten in der Regel hinter Gittern. Doch auch bei ihnen muss die Verhältnismäßigkeit der Mittel geprüft werden. Demnach, so die Vorgabe aus Karlsruhe, muss die Verwahrung auf Fälle "schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten" beschränkt werden. Drogendealer und Erpresser müssten zum Beispiel entlassen werden.

Aktenzeichen: 2 BR 2333/08 u. a.

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