piwik no script img

Gewalttätiger 1. Mai in BerlinPolizei beklagt weitere Opfer

Weiterer Polizist erstattet Anzeige gegen Kollegen wegen Angriffs am 1. Mai. Ob Täter je ermittelt werden, ist offen: Individuelle Kennzeichnung gibt es noch nicht - und sie gilt auch künftig nur für Berliner Beamte.

Ein bisschen großzügig hat die Polizei am 1. Mai offenbar ihr Pfefferspray versprüht - sogar gegen die eigenen Leute. Bild: dpa

Die Polizei ermittelt in einem weiteren Fall gegen sich selbst. Ein Beamter des Landeskriminalamtes hat Anzeige wegen Körperverletzung im Amt erstattet. Er habe angegeben, am Ende der "Revolutionären 1.-Mai-Demonstration" am Hermannplatz von dem Faustschlag eines Polizeibeamten getroffen worden zu sein, teilte die Polizei mit. Der LKA-Beamte habe Prellungen im Gesichtsbereich erlitten, die ambulant behandelt werden mussten. Zuvor hatten bereits zwei Zivilpolizisten Anzeige erstattet, die am Abend des 1. Mai am Kottbusser Tor von Kollegen mit Pfefferspray attackiert wurden.

Dort waren nach Angaben von Sanitätern über 200 Menschen durch Pfefferspray verletzt worden. Polizeigruppen waren am Sonntagabend immer wieder im Zickzack durch die Menge gelaufen und hatten Umstehende gerempelt (taz berichtete).

Am Kottbusser Tor waren vor allem Beamte der Bundespolizei im Einsatz. Die durch Pfefferspray verletzten Zivilpolizisten gehören alle zu Berliner Einheiten. Laut Polizeiangaben vom Donnerstag wird weiter ermittelt, ob die angezeigten Vorfälle auf einigen der vielen Polizeivideos zu sehen sind.

Selbst wenn es Bilder geben sollte, ist nicht sicher, dass sich die Täter ermitteln lassen. Die eingesetzten Polizisten tragen nur eine Gruppenkennung. Das wird sich bis zum nächsten 1. Mai nur teilweise bessern. Die Berliner Polizei will zwar ab Sommer ihre Beamten mit individuellen Nummern- oder Namenschildern ausstatten, die Regel gilt aber nur für Berliner Beamte. Bei zur Verstärkung angeforderten Kräften aus anderen Ländern oder von der Bundespolizei ändert sich vorerst nichts. "Die Vorkommnisse sind mal wieder ein Grund, auch außerhalb von Berlin über eine Kennzeichnungspflicht nachzudenken", sagte der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele. Am Kottbusser Tor habe "die Bundespolizei zweifellos überreagiert".

Der Einsatz von Reizgasen ist durch das Berliner Gesetz zum Unmittelbaren Zwang (UZwG) geregelt. Es wird dort als eins der zulässigen "Hilfsmittel der körperlichen Gewalt" aufgeführt. Deren Gebrauch "gegen eine Menschenmenge ist wiederholt anzudrohen", heißt es weiter. Entsprechende Polizeidurchsagen waren am Sonntagabend am Kottbusser Tor nicht zu hören. Grundsätzlich verbietet das Gesetz die Anwendung, wenn der zu erwartende Schaden "erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht".

Ob es darüber hinaus spezielle Gebrauchsanweisungen gibt, ist unklar. Die Firma IDC System AG, die das am Sonntag von Polizisten verwendete Reizgas "Curds Police Riot" vertreibt, wollte sich auf taz-Anfrage nicht äußern und verwies an die Berliner Polizei. Die konnte eine entsprechende Anfrage bis Redaktionsschluss nicht beantworten.

Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte am Montag den Einsatz verteidigt. Pfefferspray sei nur nach gezielten Angriffen auf Beamte eingesetzt worden. Grundloses Besprühen würde den Tatbestand der Körperverletzung im Amt erfüllen. Falls es das gegeben haben solle, ließe sich das wohl durch die mittlerweile üblichen Handyvideos beweisen, so Glietsch.

Wenige Youtube-Videos

Auf der Onlineplattform Youtube gibt es bisher auffällig wenig Videos zum 1. Mai in Berlin. Eins jedoch zeigt in einer kurzen Sequenz, wie ein Polizist Pfefferspray wild um sich in die Menge am Kottbusser Tor sprüht.

"Ich fand auffällig, wie viele Menschen da von Sanitätern behandelt werden mussten", sagte Christian Ströbele, der am Sonntag vor Ort war. "Außerdem fand ich beachtlich dass auch viele ältere Menschen unter den Verletzten waren - nicht nur typisches Demo-Volk." Er frage sich auch, weshalb die Beamten überhaupt immer wieder offensiv durch die Menge stoßen mussten.

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion Bundestag, war während des Sprayeinsatzes nicht mehr vor Ort. "Die Fakten - Hunderte durch Pfefferspray Verletzte einschließlich mehrerer Polizeibeamter - sprechen allerdings für einen völlig überzogenen und ungerechtfertigten Polizeieinsatz".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • H
    heino

    wieso eigentlich nur handyvideos?

    wozu werden denn die ganzen demonstranten ständig abgefilmt, ohne dass tatsachen die annahme rechtfertigen würden, dass straftaten begangen werden? wo sind denn die aufnahmen der polizei? oder sind da bei den einschlägigen sequenzen zufälligerweise mal wieder die kamera ausgeschaltet worden oder der boden gefilmt worden?

  • D
    Didi

    Wenn die verletzen Polizisten Zivilisten gewesen wären, würde sofort eine 100dertschaft aussagen, dass diese Personen ( Polizisten) randaliert hätten u. somit musten sie ja Tränengas u. Gewalt anwenden. Jahrelang hat man so agiert u. unschuldige Personen misshandelt u. sie auch noch vor Gericht gezerrt. Jetzt bin ich gespannt wie der Polizeipräsident der sonst seine Schläger schützt hier reagiert u . agiert. Denn in der Vergangenheit wurden nur die belangt wo zufällig ein Video was anderes bewies. Auch jetzt wurde erst abgewiegelt usw. Der Gipfel ist, dass sich der Polizeipräsident sich von unschuldigen Bürgern die Einsätze bezahlen läst in dem er den misshandelten Personen Rechnungen von Polizisten schickt die bezahlt werden sollen weil angeblich die Person Widerstand geleistet hätte auch wenn die beiden nie zueinander gefunden hatten. So kann es einfach nicht mehr weiter gehen.

  • T
    Thomas

    Im Rahmen der Stuttgart21 Proteste wurde ich während dem Wegtragen erst von einer Polizisten auf den Mund geschlagen (Arzt hat Verletzungen attestiert) und danach trat mir ihr Kollege von hinten in den Knöchel.

    Den Name der Stuttgarter Polizistin habe ich vor Ort noch herausbekommen. Zusätzlich liegt mir und der Polizei/Staatsanwaltschaft ein wackelfreies, frontal aufgenommenes FullHD-Video vom Anfang des Vorfalls vor. Der Polizist konnte nicht ermittelt werden, obwohl er augenscheinlich vom gleichen Stuttgarter Revier stammen sollte wie seine Kollegin.

    Die Anzeige wurde natürlich nicht weiter verfolgt; vielmehr wurde mir zwischen den Zeilen zu verstehen gegeben, dass ich glücklich sein könne nicht selbst eine Anzeige zu kassieren.

    Ich saß nur auf dem Boden, friedlich. Hier ist der Anfang der Szene zu sehen https://www.youtube.com/watch?v=aKwoi8uWVJM - bin der mit roter Jacke und weißen Streifen auf den Ärmeln; bei 0:38 heben sie mich hoch.

  • JB
    John Bender

    Hmm, ich konnte auf dem Youtube-Video sehr wenig "alte Menschen" feststellen, die Herr Ströbele beschreibt. In nur sehr wenigen Sequenzen sieht man überhaupt, dass die Polizei agiert. Meistens wurden offensichtlich Feuerwerkskörper geworfen oder Polizisten laut angeschrien.

     

    Das Video gibt jedenfalls nichts über Polizeigewalt her.

  • A
    Anne

    Wenn es das gegeben hat, lasse sich das wohl durch Handy-Videos beweisen ... Täusche ich mich oder bedeutet diese Aussage nicht auch irgendwie, dass es keine derartigen Übergriffe gegeben hat, wenn es keine passenden Videos gibt? Es schwingt zumindest mit und passt nicht wirklich zu jemandem, der zumindest Ahnung vom Ermitteln haben sollte ...

  • N
    neino

    Das Foto dieser testosteronverseuchten Knallfuzzis spricht Bände.