Ausstellung über Hamburgs Tunnel: Und die heilige Barbara passt auf
Hamburg zu untertunneln ist ein Abenteuer, weil man nie weiß, wo Geröll, alte Keller und Festungsgräben liegen. Trotzdem hat die Hansestadt rund 100 Tunnel. Eine Ausstellung erzählt davon - allerdings ausgerechnet im Museum der Arbeit aus Sicht der Herrschenden.
HAMBURG taz | Tunnelbauer sind abergläubisch. Das gilt zwar auch für Schauspieler; vor der Premiere darf auf der Bühne nicht gepfiffen werden. Im Tunnelbau aber hat die Tatsache, dass gleich zu Beginn eine Skulptur der Heiligen Barbara über den Eingang kommt, handfestere Gründe.
Eigentlich ist Barbara die Schutzpatronin der Bergleute. Aber die teilen sie großzügig mit den Tunnelbauern dieser Welt. Und so hängt sie auch am Eingang der unfertigen Hamburger U4. Auch wenn der protestantische Hanseat ja eigentlich nicht an solchen Firlefanz glaubt.
Aber mit dem Tunnelbau, dem derzeit eine Ausstellung in Hamburgs Museum der Arbeit gilt, ist es etwas anderes. Der ist in Hamburg besonders gefährlich, weil der Untergrund so unberechenbar ist. Denn die Eiszeit hat allerlei Sand, Kies, Steine und Lehm hinterlassen. Außerdem gibts das Urstromtal der Elbe.
In Hamburgs Zentrum kommt das Mündungsdelta der Alster zur Elbe hinzu - sowie Fleete, alte Festungsgräben und unterirdische Gebäudereste. Die fand man, als man die U-Bahn-Tunnel am Jungfernstieg baute. Natürlich gab es Pläne dieser Gegend. Aber eben nur ungefähre, weshalb man immer wieder versehentlich neue Pfähle auf alte rammte.
Aber auch Hamburgs fester Grund ist nicht solide: Stets kann Grundwasser in die Baustelle eindringen, wenn sie nicht ganz dicht ist. Und der Beton der Tunnelbauer des 19. Jahrhunderts war es nicht.
Nun kann man zwar einwenden, die Erbauer der Kölner U-Bahn hätten das selbst im Jahr 2009 noch nicht im Griff gehabt, als Wasser in die Baustelle drang und das Stadtarchiv einstürzen ließ. Aber jenen, die hundert Jahre früher bauten, verzeiht man es eher, weil ihnen die Technik fehlte.
Die war zunächst recht schlicht: Bis um 1900 hat man für U- und S-Bahnen einfach riesige Baugruben ausgehoben - diejenige in Hamburg-Wandsbek in den 1950er Jahren war 2,5 Kilometer lang. Das bisschen Verkehr leitete man solange auf die Nachbarstraße um. Später, in den 1970ern, ging das nicht mehr: Da hat man das Teilstück der U-Bahn, das Hamburgs Hauptbahnhof tangierte, komplett unterirdisch gebaut. Die Methode: der Schildvortrieb, der mit riesigen Fräsen arbeitete, die Vera, Hera oder Trude hießen.
Aber diese Methode war eigentlich zweite Wahl. Denn einerseits war sie teuer, andererseits gefährlich für die Arbeiter. Denn wer zwischen die Räder geriet, hatte keine Chance: Die Riesenbohrer hatten keinen Rückwärtsgang.
Trotzdem nutzen Bauunternehmen jetzt meist Tunnelbohrmaschinen, die Nachfolger der alten Schneidrad-Fräsen. Denn Städte sind inzwischen oft zu dicht besiedelt für Baugruben. Außerdem bauen die Ingenieure immer tiefer unter die Erde, weil die oberen Stockwerke schon belegt sind.
Das tiefer Bauen birgt allerdings neue Gefahren - besonders unter Wasser, und der St. Pauli Elbtunnel, dessen 100-jähriges Bestehen Anlass der Schau ist, zeigt das. Da mussten Druckkammern unter Wasser eingerichtet werden, damit die Arbeiter atmen konnten; sich vom oberirdischen an den unterirdischen Druck zu gewöhnen kostete rund eine Stunde.
Das ist viel Zeit, aber es musste sein, das begriffen selbst die Unternehmer. Denn sonst bekamen die Arbeiter Gasbläschen ins Blut und die inneren Organe, an denen sie sterben konnten. Der Elbtunnel war die erste Baustelle, auf der Ärzte angestellt wurden, die sich mit der Druckluft-Krankheit auskannten. Behoben ist das Problem solch krank machender Arbeit aber nicht: Da immer tiefer unter die Erde gebaut wird, steigt dort unten die Druckbelastung.
Das jedoch blendet die Hamburger Ausstellung großteils aus. Zugegeben, sie ist ein unterhaltsamer Rundgang durch die Tunnelgeschichte Hamburgs, von der Kanalisation nach 1841 über den Alten Elbtunnel bis zur aktuellen U4, die einmal vom Jungfernstieg in die Hafencity führen soll.
Aber die Schau krankt daran, dass die Kuratoren der Materialfülle nicht widerstanden haben. Denn zwar sind Bauzeichnungen und historische Fotos von Arbeitern in diversen Tunneln grundsätzlich interessant. Aber die Quantität steigert die Erkenntnis nicht. Anderseits erzählten die durchweg gestellten Fotos ein interessantes Stück PR-Geschichte der beteiligen Bauunternehmen.
Denn auch wenn da steht "Arbeiter beim Sielbau, 1909", sind schwitzende, verdreckte Arbeiter nur im Hintergrund zu sehen. Vorn posieren teils zylinderbewehrte Herren, denen Oberhemd und Fliege deutlich aus dem Blaumann hervorlugen. Und der elegante Herr, der um 1910 angeblich einen Stahlträger betoniert, tut das mit spitzen Fingern und elegantem Walzerschritt. Von der Mühsal, dem Elend dieser Untergrund-Arbeit, die beim Alten Elbtunnel unter anderem zu Streiks führte, erzählt diese Ausstellung wenig. Sie feiert Technikgeschichte, und sie erzählt aus Sicht der Planer.
Doch so affirmativ dieser Ansatz ist, so gut kommt er bei einem bestimmten Publikum an. Gleich truppweise findet man dort werktags Gruppen älterer Damen und Herren vor, die anhand der Fotos wehmütig ihre Biographie rekonstruieren.
Angesichts dessen kann man sich schon fragen, ob es Aufgabe eines ja nicht staatstragenden "Museums der Arbeit" ist, in Nostalgie zu verharren. Denn eigentlich sollte ein solches Haus, in den 80ern durchgeboxt von Hamburgs SPD, Arbeiter- und nicht Unternehmergeschichte beleuchten.
Andererseits stehen Hamburgs Museen in Zeiten des Sparens unter starkem Rechtfertigungsdruck. Da ist es natürlich eine sichere Bank, den Hanseaten bei seinem Lokalpatriotismus zu packen - und beim Stolz auf seine Bauwerke. Irritierend nur, dass der Alte Elbtunnel gleich hinter dem Michel kommt.
Denn ein Tunnel ist ja etwas Unsichtbares, Verhuschtes, letztlich: Heimliches. Aber vielleicht passt gerade das zum berühmten hanseatischen Understatement: auf etwas stolz zu sein, das man nicht gleich sieht.
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