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SHEILA MYSOREKARPOLITIK VON UNTENDie Kunst der eleganten Lüge

Wachstumsbeschleunigungsgesetz? Freizügigkeitsregelung für Asylbewerber? Wir sollten den Orwell-Sprech nicht den Politikern überlassen

Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Ja, so kann man das nennen. Man könnte auch sagen: „Steuergeschenke für Leute, die sich nunmehr den Zweitporsche leisten können“. Mein leiser Verdacht dabei: Politiker reden nicht einfach nur wolkig daher, damit man die Inhaltsleere nicht ganz so schmerzhaft spürt. Sondern sie benennen systematisch Gesetze und Verordnungen so, dass sie das Gegenteil des Gemeinten ausdrücken.

Zum Beispiel die Freizügigkeitsregelung bei Asylbewerbern, die darin besteht, dass jene sich eben nirgendwohin bewegen dürfen, schon gar nicht freizügig, sondern in der Gemeinde bleiben müssen, wo sie sind. Ebenso wie das Zuwanderungsgesetz ja nicht wirklich von der Zuwanderung handelt, sondern davon, wie man Ausländer möglichst effektiv von der Zuwanderung abhält. So sollen beispielsweise Scheinehen verhindert werden; eine löbliche Maßnahme.

Ich erinnere mich daran, als mein Mann und ich vor Jahren heiraten wollten – er Argentinier, ich bereits Deutsche –, da saßen wir im Büro des Standesamtes Düsseldorf, um die Papierangelegenheiten zu regeln, und wurden von einer Standesbeamtin mit Domina-Gehabe aufgefordert, plausibel nachzuweisen, dass es sich nicht um eine Scheinehe handele. Wir hielten unser gemeinsames Baby in die Höhe und fragten, ob das nicht Beweis genug sei. War es aber nicht. Wir brauchten noch mehr Papiere.

Die Bemühungen um einen netten Titel für hässliche Gesetze kann man ja verstehen, es geht schließlich um Deutschlands internationales Image – „Ausländerverhinderungsgesetz“ klingt in den Ohren der Weltgemeinschaft irgendwie unschön. Die innere Sicherheit ist ein weiterer Komplex, wo wir angenehme, aber leicht irreführende Überschriften für den Abbau unserer Bürgerrechte präsentiert bekommen. Wer würde zum Beispiel ahnen, dass sich hinter dem harmlos-bürokratischen Wort „Richtlinienumsetzungsgesetz“ die neuen Normen verbergen, nach denen Asylbewerber aus der EU ausgewiesen werden können? „Agenda 2010“ war auch so ein Fall. Eine Agenda namens „Abbau eines funktionierenden Sozialsystems, um Unternehmer zu beschenken“ wäre vielleicht bei den Bürgern nicht so gut angekommen. Diese Art systematischer Verschleierung kann man auch „Lüge“ nennen. Wenn man ehrlich sein will. George Orwell hätte es sich wohl nicht träumen lassen, dass eines Tages eine rundliche Physikerin aus der ehemaligen DDR das 1984-Newspeak perfekt beherrschen würde. Aber vielleicht fällt das einem ja leichter, wenn man in seiner Jugend von einer „Objektumfriedung“ umgeben war und am Weihnachtsbaum „Jahresendflügelfiguren“ hingen.

Doch wir sollten die Kunst der eleganten Lüge nicht einfach den Politikern überlassen. Was die können, können wir schon lange, haha, „Molotow-Cocktail“ ist doch wohl ein besserer Name als „Flaschenbenzinbombe“!

Entlang dieser Linie tun sich unendliche Möglichkeiten auf, die wir im neuen Jahr mal ausschöpfen sollten. Wie wäre es mit: spontane Sprühkommentare. Aufprall ovaler Osterobjekte auf exponierte Leistungsträger. Massenspaziergänge mit Ordnungsmacht-Wettkämpfen. Abrupte Neuordnung des politischen Systems unter Zuhilfenahme unkonventioneller Mittel?

Das klingt doch wirklich schon viel besser. Da können jetzt auch Jurastudentinnen mit Perlenohrringen mitmachen.

Die Autorin ist Journalistin und in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Foto: Firat Bagdu

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