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Serie Digitale Spiele, Teil 9Zurück zum Anfang

Rieke Havertz
Kolumne
von Rieke Havertz

Batteriesätze verdaddeln mit Tetris, Tennis spielen vor dem Fernseher, Assad in Damaskus besiegen. Und dann: Dem Einfachen einfach mal wieder eine Chance geben.

Aus der digitalen Welt herausgefallen. Bild: LMDB / photocase.com

D ie Frau steht an der Informationstheke einer großen Buchhandlung, in der Hand ein Brettspiel. Der Karton ist groß, die Schrift bunt, die Dame verwirrt. Wie das denn funktionieren würde, fragt sie die geschulte Fachverkäuferin. Wie, funktionieren? Karton auf, Brett aufgestellt, Spielanleitung gelesen und los.

Jedoch, analog ist nicht länger offline. Es gibt da noch einen Stift, für den muss man im Netz einen Code abfragen und dann kann man irgendwann irgendwie loslegen. Nach dieser präzisen Aussage der netten Verkäuferin hinter dem Tresen zieht sich die Frau mit dem Karton erst einmal wieder zurück. Überlegt. Kaufentscheidung vertagt.

Digital aufgerüstete Brettspiele, Tennis spielen vor dem Fernseher, Sudokus online statt in der Zeitung, Jump & Run auf der Mini-Konsole, Autorennen auf der Couch, Schlachten im Wohnzimmer und Strategiegespräche via Chat mit Bündnispartnern weltweit. "Ich hab in Damaskus Assad besiegt", freute sich ein Kollege nach ausführlichem Kampf gegen virtuelle Schergen.

privat
RIEKE HAVERTZ

ist Chefin vom Dienst bei taz.de, spielt zwar nicht, bekennt sich aber zu einer jahrelangen Carrera-Bahn-Sucht.

Die digitale Welt ist grenzenlos – und hat doch Grenzen. Ja, natürlich kenne ich den Rausch eines Computerspiels. Und nein, ich bin nicht ausschließlich mit Holzspielzeug groß geworden. Ganze Batteriesätze wurden verschlissen, als die beste Freundin einen Nachmittag lang den Gameboy abgab, inklusive zweier Spiele. "Tetris" und "Super Mario Brother", Wahnsinn. Die Gier nach immer neuen Levels. Doch die Gier, sie wurde weniger. Und zwar schnell. Die stete Wiederholung, vorgefertigte Welten, nur eine limitierte Aktivität; Grenzen.

Verschanzen, schießen, töten

Zwar flammte der Reiz des Unbekannten immer mal wieder auf. Ein paar Online-Games zocken, um sich am Schreibtisch abzulenken, Werder-Spieler dank Playstation in einen perfekten Kader integrieren und auch mal zwei Stunden in eine Rolle schlüpfen; verschanzen, schießen, töten.

Fantasie, sie ist Kern eines fast jeden Spiels, neben der Ablenkungen, der Flucht aus dem Alltag. Konsolen, Tastaturen, Bewegungssteurungen mögen die Fantasie unterstützen, sie vielleicht beflügeln. Doch ohne sich einzulassen, geht es nicht. Der Anfang, er liegt jenseits aller technischer Spielereien.

Zurück zum Anfang das wäre doch mal was. Nachdem alle digitalen Spiele gespielt, alle Schlachten gekämpft wurden, dem Einfachen einfach mal wieder eine Chance zu geben. Es muss nicht gleich der Bauklotz sein. Fantasie ist alles.

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Rieke Havertz
Leiterin taz.de
Jahrgang 1980, studierte Journalistik und Amerikanistik an der Universität Leipzig und der Ohio University. Seit 2010 bei der taz, zunächst Chefin vom Dienst, seit Juli 2014 Leiterin von taz.de. Schreibt schwerpunktmäßig Geschichten aus den USA.
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