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Zwei Bewegungen, ein SonntagDie Revolte hat zwei Gesichter

Ein Sonntag, zwei Demonstrationen für eine bessere Welt: Occupy und das Liebknecht-Luxemburg-Gedenken. Auch wenn sich manche Parolen gleichen: Dazwischen liegen Welten.

Was den einen die "99 Prozent", ist den anderen das Proletariat. Bild: reuters

Alles wohlsortiert auf der Frankfurter Allee. Vorne die MLPD, dann folgen die türkischen Kommunisten, hinten läuft die FDJ. Bei der jährlichen Liebknecht-Luxemburg-Demo hat jeder Block sein Fronttransparent, seine roten Fahnen, seine Parolen. Senioren mit dunklen Mänteln und die Antifa-Jugend summen die Internationale mit. Ein Banner fordert "echten Sozialismus".

Drei Stunden später, Neptunbrunnen am Alexanderplatz. "Für echte Demokratie" heißt es jetzt. Die Occupy-Bewegung demonstriert. Dreadlocks und Filzhütte, Seifenblasen schwirren durch die kalte Luft, Bälle werden jongliert. Kein Block in Sicht.

Ein interessantes Setting: Ein Sonntag und zwei Bewegungen, die sich ganz nahestehen. Eigentlich. "Revolution ist Pflicht", heißt es bei den Traditionalisten. "Eine mögliche Welt ist anders", ruft Occupy. Beide beschwören das Ende des Kapitalismus, wettern gegen die Macht der Banken und Konzerne. Finden sie zueinander?

"Die Revolution wird die Menschheit befreien", ruft die junge Frau von der MLPD am Morgen ins Mikrofon. Hinter ihr zieht der Tross, mehrere Tausend, zur Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde, wo die 1919 ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht begraben liegen. "Von Berlin bis Ankara, für die Macht der Arbeiter", ruft ein Block. Aus einem Bollerwagen dudeln Arbeiterlieder. "Bella ciao" im Dauerloop.

Bei den gut 1.000 Occupyern gilt das Open Mic: Jeder, der will, darf ans Mikro. Eine junge Frau übermittelt "solidarische Grüße" von den Occupyern aus New York. Ein arbeitsloser Potsdamer schreit gegen Hartz IV an. Ein junger Deutschägypter fordert das Ende aller Diktaturen. "Auch der Diktatur Kapitalismus."

Es ist ja nicht so, dass das, was Occupy empört, die Altlinken nicht schon mal kritisiert hätten. Auch am Sonntag gleichen sich manche Bilder. "Hoch die internationale Solidarität", tönen Sprechchöre auf beiden Demos. Die einen beschwören das Proletariat, die anderen nennens "99 Prozent". Dann aber hörts auf.

Die Messlatte dafür, wie Bewegung möglichst antiquiert wirken kann, wird am Vormittag hoch gehängt. "Marx, Stalin und Mao Tse-tung weisen uns den Weg in die Zukunft", ruft ein Mann auf der Frankfurter. Später dampfen Bratwürste, Möchtegern-FDJler singen in blauen Hemden. Viele haben Nelken mitgebracht.

Bürger gehen heute gegen Großbauten auf die Straße, fordern Mitsprache. In Nordafrika wird rebelliert, in Spanien, in Griechenland. Der Sonntag zeigt, warum das Traditionslager der Linken nicht von dieser Stimmung profitiert. Es bleibt bei starren Formeln, Ritualen. Von Hoffnungen auf Castros "sozialistisches Kuba" ist die Rede. Vom Arabischen Frühling nicht ein Wort.

Die Neokapitalismusgegner probieren zumindest mal was. Erst das Open Mic, am Ende der Demo halten sie eine Assamblea im Hauptbahnhof ab. Vor der Demo kann sich jeder am Neptunbrunnen sein Banner selbst sprayen. Julia Jarô Oberer hat sich ein Schild umgehängt: "Demokratie? Wirtschaftsdiktatur!" Wenn jeder bei sich anfange und für seine Werte einstehe, weniger materialistisch denke, sei eine bessere Welt möglich, glaubt sie. Jana, HU-Studentin, lobt das Basisdemokratische, das breite Spektrum. Das habe Potenzial. "Wir brauchen einen neuen Diskurs über Alternativen, und jetzt ist genau die Zeit dafür."

Marlene Stanschus dürfte so alt wie Jana sein. Aber sie trägt ein blaues FDJ-Hemd, steht vorm Sozialistenfriedhof. "Die Idee der Einheitsfront ist immer noch unumgänglich." Jetzt, wo der Kapitalismus am Ende sei, müsse man den Leuten klarmachen, worum es gehe: "Sozialismus oder Barbarei". Nicht weit entfernt steht Linken-Fundi Dieter Dehm im Gedränge, roter Schal, schwarze Hornbrille. "Wir brauchen Streiks und starke Bewegungen. Parlamentsdebatten allein werden den Kapitalismus nicht beenden." Gegen Occupy sei nichts einzuwenden. "Niemand aber sollte die Traditionen linker Bewegung vergessen."

Ideologie versus Idealismus, Klassenkampf versus Occupy Yourself, Marx versus Gandhi. "Liebe", heißt es schlicht auf einem Transparent der Occupyer. Am Vormittag prügeln junge Marxisten auf eine Kleingruppe ein, die gegen Stalin skandierte.

Bei den Occupisten schnappt sich ein junger Mann der Linksjugend das Mikro. Offenbar einer der wenigen, die auch am Vormittag schon auf der Straße waren. "Der Kapitalismus ist abschaffbar, seit es ihn gibt, hat er nur Unglück gebracht", ruft er ins Mikro. Die Occupyer wedeln mit den Händen, einige klatschen. Näher kommen sich beide Lager an diesem Tag nicht mehr.

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9 Kommentare

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  • M
    MiMiMi

    Die Taz schätze ich. Entrückte Verfasser - Hauptsache gut gefühlt.

     

    Wünsche dem Schreiber ein schönes Reihenhaus, emanzipierte Gattin, viel Biogemüse, antiautoritäre Gören und gute Gage.

  • K
    keloid

    Die dogmatischen Teile der LL-Demo sind in der antikapitalistischen Linken nicht unumstritten.

    http://linksunten.indymedia.org/de/node/53387

  • W
    Webmarxist

    Rosa Luxemburg hat Lenin kritisiert, dass er eine Diktatur des Proletariats in Russland ohne demokratische Züge aufbauen wollte. Sie war, kann man sagen, eine der ersten demokratischen Sozialisten. Nur Marx kann uns aus der Krise helfen. Stalin und Mao wollten die Macht für sich und haben jeden ihrer politischen Gegner ins Gefängnis stecken oder töten lassen.

     

    "Die Geschichte der Gesellschaft ist eine Geschichte von Klassenkämpfen" - Karl Marx

  • J
    Jonathan

    Liebe taz,

     

    jetzt wüsste ich aber schonmal gerne, wieso ihr meinen Kommentar von ~09.00 Uhr nicht veröffentlicht habt.

  • D
    DieterBohlen

    Es würde sicher beiden Gruppen gut tun voneinander zu lernen.

    Die Occupybewegung hat im Punkt Kapitalismusanalyse sehr viel nachzuholen wobei die Traditionslinken oft zu starr in alten Denkmustern verharren. Aufeinander zu gehen und gemeinsam kämpfen sollte die Devise sein.

     

    Das gilt im übringen nicht für die Beton-Stalinisten, die jedes Jahr auf neue versuchen den Namen von Luxemburg und Liebknecht in den Dreck zu ziehen und auch nicht für die paar versprengten antisemitischen Verschörungstheoretiker, die sich unter die Occupybewegung mischen.

  • BK
    Bernd Kudanek

    ... meine 107 Fotoimpressionen von der gestrigen LL-Demo sind unter http://www.carookee.net/forum/freies-politikforum/1/28652702#28652702 eingestellt

  • W
    Weinberg

    Quo vadis Occupy und taz?

  • C
    cartouche

    was für ein abgeschmackter Quatsch darf hier veröffentlicht werden...? Was soll das? Dass die LL-Demo die letzten Zuckungen starr in ihren dogmatischen Tradition eingegangener Trachtenvereine ist weiß eigentlich jeder, zumindest, wer die Taz liest und nicht "Die Zeitung"... aber warum muss man es mit so wollüstiger Häme, die zudem nicht einmal dem Niveau der LL-Demo gereicht? Und weshalb kann nicht einfach einmal, und die Betonung liegt auf EINMAL, ein Kommentar hier zu lesen sein, bei dem man nicht den Eindruck hat, der Verfasser säße gerade im Kempinski, sinnierte über das, was ausserhalb der Gemäuer vor sich geht, kann es aber nicht wirklich der Realität getreu wiedergeben, weil er bestenfalls Wortfetzen, die zu ihm an den Esstisch am Fenster gedrungen sind und Bilder aus der Vogelperspektive eingefangen hat, die er kommentieren kann. Und es ist ja auch nicht so, dass die Taz beispielsweise auf der Luxemburg-Konferenz nicht auch schon versucht hat, Abonnements loszuwerden... ich bin gespannt ob solche bedenklichen Kommentare über die kommenden Demonstration gegen die Agrarindustrie, auf der ich aus voller Überzeugung auch mitlaufen werde, zu verfassen gedenkt. Wenn nicht, muss man ihr schmierige Klientelschreiberei vorwerfen dürfen.

  • HK
    Henner Kröper

    Grüß Gott Herr Litschko.

     

    Der Arabische Frühling wurde mit der "Hinrichtung" Lybiens bereits elemiliert.