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Parteienstreit wegen GauckDer Koalitionsknacks

Die Harmonie täuschte. Bevor Koalition und Opposition Joachim Gauck als neuen Bundespräsidentenkandidaten präsentierten, gab es Krach.

In einer Reihe und doch nicht wirklich einig: Die Spitzen der Parteien – und Joachim Gauck. Bild: dpa

BERLIN taz | Am Tag nach der Präsidentenkür herrschte Katerstimmung in der schwarz-gelben Koalition: Einerseits betonten alle, wie großartig der designierte Bundespräsident Joachim Gauck das Amt - in das er offiziell am 18. März von der Bundesversammlung gewählt werden soll – künftig ausfüllen werde. Gleichzeitig aber konnte man kaum die Gereiztheit verhehlen, die nach dem Eklat zwischen Union und FDP am Sonntag herrscht.

So gab CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Montag die Sprachregelung vor. "Wir haben als Koalition gemeinsam einen Auftrag, den erfüllen wir verlässlich", sagte Gröhe dem "ZDF-Morgenmagazin". Von einer Krise, so die Botschaft, könne keine Rede sein. Regierungssprecher Steffen Seibert legte im Auftrag der Kanzlerin nach: Um die Koalition und die Bundesregierung brauche man sich "gar keine Sorgen zu machen", sagte Seibert. Krise? Welche Krise?

Um diese Sätze würdigen zu können, muss man kurz die Vorgeschichte der überraschenden Einigung auf Joachim Gauck erzählen: Die FDP hatte sich am Sonntagnachmittag, genervt von mehreren fruchtlosen Gesprächen mit den Unions-Spitzen, die seit Freitagabend liefen, auf Gauck festgelegt und andere Kandidaten wie den Christdemokraten Klaus Töpfer strikt abgelehnt.

Zitate zu Gauck 2010

Am 30. Juni 2010 scheiterte Kandidat Joachim Gauck gegen Christian Wulff bei der Wahl zum Bundespräsidenten. Urteile über Gauck in den Wochen vor der Wahl:

Angela Merkel, CDU: "Er ist eine herausragende Persönlichkeit, die ich ehre und schätze. Aber Wulff wird ein guter Präsident sein, der unser Land in herausragender Weise repräsentieren wird" oder Aber: "Christian Wulff ist der gemeinsame Kandidat von CDU, CSU und FDP".

Holger Zastrow, FDP : "Aber Joachim Gauck ist jemand, der vielleicht ein bisschen mehr das verkörpert, was wir von einem Bundespräsidenten erwarten, nämlich eine moralische Instanz".

Sigmar Gabriel, SPD: "Gauck ist kein Oberlehrer, sondern jemand, der etwas mitzuteilen hat aus seinem Leben".

Oskar Lafontaine, die Linke: "Dabei wissen die Ostdeutschen, dass der protestantische Pfarrer Gauck durchaus zu jenen gehört hat, die von der Staatssicherheit auch Privilegien erhalten haben" oder "Ein solcher Mann ist für Hartz IV-Empfänger oder Menschen mit niedrigen Renten und Löhnen als Bundespräsident unzumutbar".

Joachim Gauck, parteilos: "Die Wahl des Bundespräsidenten Joachim Gauck wäre keineswegs automatisch das Ende der Ära Merkel".

Einstimmiger Tenor

FDP-Chef Philipp Rösler versicherte sich per Telefonschaltung dafür extra der Unterstützung seines Präsidiums. Der Tenor war einstimmig: Nein zu Töpfer, Ja zu Gauck - Merkel kriegt uns nicht umgepustet. Und Rösler ließ die Info offensiv an die Presse durchstechen.

Kanzlerin und Unions-Spitze allerdings ließen erkennen, dass Gauck nicht ihr Kandidat sei. Sie präferierten Töpfer, den langjährigen Leiter des UN-Umweltprogramms.

Am frühen Sonntagabend war klar, dass Union und FDP vor einer offenen Eskalation standen. Ein anwesender Freidemokrat schildert die Stimmung so: "Es stand Spitz auf Knopf." Erst nachdem die Kanzlerin noch einmal den Raum verlassen hatte, um mit der Opposition zu telefonieren, war klar: Der von ihr noch vor zwei Jahren verschmähte Joachim Gauck kann der neue Bundespräsident werden. Die Kanzlerin, ist zu hören, sei "erbost" gewesen. Und tatsächlich, auch unter den Liberalen ist die Rede von einem "Knacks in der Koalition".

In der Opposition nahm man diesen Zeitpunkt ebenfalls als Moment der Wahrheit wahr: "Merkel drohte die eigene Mehrheit in der Bundesversammlung auseinanderzufliegen", hieß es bei SPD und Grünen. Sie bekamen einen Anruf Merkels - mit der Bitte, das für den Abend geplante Treffen zwischen Koalition und Opposition um eine halbe Stunde zu verschieben.

Bei diesem Treffen ging es dann nach taz-Informationen bei Buletten und Kartoffelsalat sehr schnell: Angela Merkel - die vor den Mehrheiten kapituliert hatte - schlug Joachim Gauck für die CDU vor.

Erst schlossen sich ihr die Koalitionspartner an, dann die Spitzen von SPD und Grünen. Schließlich stand der Anruf Merkels bei Gauck an: Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin reichte sein Handy hinüber, die Kanzlerin glich die Nummern ab. Und erreichte, noch so eine Skurrilität, erst einmal nur Gaucks Mailbox.

Hektischer als üblich

Bei der anschließenden Pressekonferenz mit dem sichtlich überwältigten Kandidaten bezeichnete Merkel Joachim Gauck als "wahren Demokratielehrer". Zugleich lobte sie sein Leitmotiv der "Freiheit in Verantwortung". Sie sprach hektischer als üblich, wirkte fast genervt. Der Tag hatte Spuren hinterlassen. Ihren Widersacher Philipp Rösler würdigte sie keines Blickes. Ganz rechts hatten sie ihn platziert - der Vizekanzler und FDP-Vorsitzende hatte Mühe, gesehen zu werden.

Dass zwischen ihm und der Kanzlerin CSU-Chef Horst Seehofer als Interimsbundespräsident saß, mochte man noch dem Protokoll zuschreiben. Aber dass Philipp Rösler erst nach SPD-Chef Sigmar Gabriel seiner Freude über die Personalie Gauck Ausdruck verleihen durfte, das war ein unübersehbares Zeichen der Missbilligung.

Dennoch, dieser Termin war alles andere als eine Niederlage für ihn.

Gekämpft und gewonnen - so kann man skizzieren, was die eines Sieges so bedürftige FDP im Kampf um den neuen Bundespräsidenten geboten hatte. Schließlich hatten die arg geschwächten Liberalen der Kanzlerin widersprochen. Ein Wagnis. Und doch haben sie es getan. Denn die Liberalen konnten sicher sein: Merkel würde die Koalition nicht platzen lassen. Nicht jetzt.

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18 Kommentare

 / 
  • R
    RLS

    Ich verstehe die Aufregung der Linken nicht. Einen grösseren Gefallen kann man der Linken gar nicht machen. Claudia Roth auf Augenhöhe mit Vizekanzler Rössler.

     

    Alternativ zur grossen Koalition aus Grüne, FDP, SPD und CDU gibt es nur noch die Linke. Dass vermittelt dieses Bild. Wer eine andere Politik will muss die Linke wählen !!!

     

    David gegen Goliath

     

    Das einzige was dieser Partei fehlt sind demokratische Strukturen und Wahlen in den eigenen Reihen. Dieses fängt schon auf der untersten Ebene an. Und die schlimmsten Verbände kommen nicht aus dem Osten, es sind die Gewerkschafter wie Klaus Ernst, die sich nicht daran halten.

     

    Es ist bestimmt nicht die vielzitierte SED Vergangenheit. An Guttenberg und Wulff sollten sie eigentlich auch erkennen, dass man einen Klaus Ernst und eine Geszine Lötsch nicht aussitzen kann. Eine Geburtstagskarte an einen Diktator zu schicken, diese zwei sind einfach nur dämlich.

     

    Wenn diese Partei endlich anfängt, faire Wahlen abzuhalten. Wenn sie nicht die Mitgliedsbeiträge benutzten um ihr fürstliches Abgeordnetengehalt aufzubessern.

    Wenn einige Abgeordnete, ihr Gehirn einschalten, wenn sie vor der Kamera stehen. Wenn sie kapieren dass sie Volksvertreter sind, und keine Selbstdarsteller, dann hat diese Partei grosses Potenzial.

     

    Denn jedem muss jetzt klar sein, er hat nur noch diese Alternative. Die Piratenpartei scheint nach rechts zu gehen um die FDP zu ersetzen. Und diesen Leuten scheint auch noch nicht klar zu sein, dass die reale Welt ausserhalb des Notebooks liegt. Aber auf jedem Fall ist sie mir lieber wie die FDP die hoffentlich keinen Aufwind bekommt, dass war Clever mit Gauck.

  • F
    Flint

    Also, ich bin mit Gauck zufrieden. Ich halte es zwar für ein unverschämtes Signal, "die Linke" kategorisch von solchen Entscheidungen fern zu halten, aber dennoch ist das Ergebnis in Ordnung.

    Der Dämpfer für Frau Merkel hat auch nicht geschadet, wollen wir auch hier wieder hoffen, daß sich der Bürger 2013 noch ebenso gut daran erinnern kann...von den anderen Taten dieser Regierung ganz zu schweigen.

  • H
    hoelz

    gibt es bei SPD und Grünen eigentlich auch soetwas wie eine "Basis"?

    und sind die jetzt alle ganz begeistert von der Entscheidung ihrer "Führung"?

    oder siegt ganz einfach mal wieder Parteidisziplin über eigenes Denken?

    in dem Falle wäre das Politbüro jetzt aber verdammt stolz auf Euch gewesen, liebe Genossen... ;-)

  • JK
    Juergen K.

    Jetzt muss Gauck

    die von der SPD geschredderte Regierung

     

    nur noch auflösen.

  • H
    herbert

    Es wirkt abstoßend, wie jede Partei versucht aus dieser Kür billig Kapital zu schlagen, statt Konsequenzen aus den Wulff-Debakel zu ziehen.

     

    Wo bleibt der Ruck,

    die Politik versucht krampfhaft zur Tagesordung überzugehen obwohl die Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet wurde. Wieso wird dieses überflüssige, anachronistische Amt nicht zur Disposition gestellt, zumindest das Ehrensold reformiert oder UN-Konvention gegen Korruption endlich ratifiziert.

     

    So wird die Politik den entstandenen Schaden jedenfalls nicht begrenzen und Vertrauen zurückgewinnen können, wenn der Eindruck entsteht es ginge nur um Machtspiele, Pöstchen und Versorgungsansprüche.

  • N
    Nordwind

    Scönes Bild. Unbedingt archivieren. Das wird eines Tages für die Geschichtsbücher gebraucht.

     

    Titel:

    Klub der Marktradikalen bei der Vorstellung ihres fundamentalistischen Präsidentschaftskandidaten.

  • S
    Stefan

    Es war sehr klug den absoluten Favoriten der Bevölkerung zu wählen. Leider wird es Merkel sgar wieder nutzen.Die Linke hätte mit Lachnummern wie Peter Sodann keine bessere Alternative gehabt.

  • JK
    Juergen K.

    Gabriel hat die Regierung

     

    zur Abdeckerei gebracht.

  • G
    GWalter

    Dass sich die FDP im Regierungslager gegen Widerstände aus CDU/CSU und wohl auch gegen Merkel durchgesetzt hat, kann nur diejenigen erstaunen, die sich dem Gauck durch die Medien verpasstes Image des rhetorisch begnadeten Freiheitskämpfers haben blenden lassen. Gaucks Freiheitsbegriff ist mit demjenigen der FDP nahezu identisch.

     

    Um das bestätigt zu finden braucht man nur Gauck einmal selbst zu lesen, nämlich seine 2009 erschienenen Erinnerungen „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“. Er vertritt dort das abstrakte Freiheitsideal des Liberalismus, das sich auf die bürgerlichen Abwehrrechte gegen den Staat beschränkt und in dem ansonsten jeder seines Glückes Schmied ist. Wie bei den Ordoliberalen à la Friedrich August von Hayek gelten auch für Joachim Gauck solche Gesellschaftsvorstellungen, die auf eine materielle soziale Basis für die Verwirklichung von Freiheit drängen, als tendenziell totalitär.

     

    Ich habe mich mit Gaucks Bekenntnis anlässlich seiner Gegenkandidatur gegen Wulff vor zwei Jahren ausführlich auseinandergesetzt und verweise – um Wiederholungen zu vermeiden – auf meinen damaligen Beitrag „Ein traumatisierter Präsidentschaftskandidat“.

     

    Seine Gläubigkeit an die Rationalität der Märkte wurde seither auch durch die Finanzkrise nicht etwa erschüttert, im Gegenteil: Im Gegensatz zu manchen geläuterten Marktradikalen beschimpfte er die Finanzmarktkritiker als „unsäglich albern“. Er bestätigte sein nicht verarbeitetes DDR-Trauma indem er laut Spiegel der Occupy-Bewegung entgegenhielt, der Traum von einer Welt, in der man sich der Bindung von Märkten entledigen könne, sei eine romantische Vorstellung: “Ich habe in einem Land gelebt, in dem die Banken besetzt waren.”

     

    Gauck passt also ganz gut zu Merkels Vorstellung der „marktkonformen Demokratie“.

  • T
    Thusnelda

    Die ehemalige Tussi für Agitation und Propaganda in der DDR, schließt die Linke bei der Präsidentschaftswahl aus -, damit die Bevölkerung vergessen soll, wofür Merkel einmal stand!? Heuchelei pur, nenn' ich das.

  • IA
    Im Auge der Macht

    Mich würde mal interessieren, was da eigentlich im Busch ist, dass Merkel sich immer wieder gegen Gauck bis zum Schluss streubte. Vielleicht hat es ein bisschen damit zu tun, dass Gauck so ziemlich in allen Situationen über "Freiheit" schwadroniert, das Leben in der DDR und die Revolution von 1989, in der er eine entscheidende Rolle inne hatte, erwähnt. Gauck war ein echter Widerständler, während das bei Merkel irgendwie nie glaubhaft klingt, wenn sie den Versuch unternimmt, sich als Widerständlerin darzustellen. Dafür spricht schon, dass ihre Familie freiwillig in die DDR einwanderte, und das zu der Zeit nach dem Aufstand gegen die Normenerhöhung, wo russische Panzer den Aufstand blutig niederschlugen. Frau Merkel bekleidete schon in der Schule höhere Ämter, sie durfte studieren, während z.B. Frau Wagenknecht, die heute noch den Lenin an der Wand hängen hat, dies nicht durfte - sie galt als zu unangepasst. Aber Merkel machte dann noch Karriere in der Akademie der Wissenschaften. Sicherlich, weil sie intelligent war und ist. Sicherlich aber auch, weil sie wohl sehr angepasst war. Neben Gauck wirken ihre zaghaften Versuche, sich als DDR-Widerständlerin darzustellen, äußerst lächerlich. Zudem würde mich interessieren, warum Frau Merkel seinerzeit richterlich verhinderte, dass der NDR in der Dokumentation "Im Auge der Macht" ein Bild von Merkel, aufgenommen von einer Stasikamera, zeigt.

  • M
    Marc

    Das die sogenannte Linkspartei nicht an der Entscheidungsfindung beteiligt wurde, darf niemanen verwundern, denn jeder erinnert sich noch an den Nonsenskandidaten Peter Sodann. Dieser wollte, wenn er Bundespräsident sei, sofort Josef Ackermann verhaften lassen und dies nicht weil juristische Straftatbestände vorgelegen hätten, sodern um es einfach mal getan zu haben. Dies zeigt auf welch niedrigen Level Demokratie- und Rechtsstaatverständnis in dieser "Partei" verwurzelt sind und man stattdessen eher auf Willkürjustiz setzt.

  • MB
    Monika Burgen

    Die Tatsache, dass Frau Merkel die Linken nicht in die

    Entscheidung einbezogen hat, ist ein weiterer Beweis für die skrupellose Selbstherrlichkeit und Selbstüber-

    schätzung dieser Frau und ein Schlag in`s Gesicht all

    derer, die diese Partei in einem demokratischen Ver-

    fahren gewählt haben. Desweiteren wird die soziale Ver-

    antwortung durch diese Haltung in Frage gestellt. Indem Frau

    Merkel diese Partei diskreditiert, diskreditiert sie

    auch deren Wähler. Ich erinnere mich noch, wie sie nach

    ihrer Wahl vollmundig erklärte, sie wäre natürlich die

    Kanzlerin aller Deutschen. Das hat mich damals sehr ge-

    wundert, da ich dies eigentlich für selbstverständlich hielt. Jetzt weiss man es besser!

    Erfreulich ist, dass es bei der FDP anscheinend doch

    "Männer mit Stehvermögen" gibt, die sich von dieser

    Heuchlerin nicht zu "artigen Buben" degradieren las-

    sen.

  • CC
    Clem Carlos Schermann

    Im Verlauf der letzten Tage ist die Bundesrepublik Deutschland von einer beeindruckenden sowie erschreckenden Hysterie erfasst worden, die die Konsequenz der innenpolitischen Aufregungen um Herrn Wulff, Bundespräsident a.D. ist. Unisono haben fünf der sechs großen Volksparteien durch hohe Mitglieder unmissverständlich klargemacht, dass

    der kommende Bundespräsident ein überparteilicher Konsenskandidat sein solle.

    Abends am 19. Februar wurde die gemeinsame Entscheidung der Öffentlichkeit präsentiert. In der gemeinschaftlichen Pressekonferenz haben Bundeskanzlerin Frau Merkel, Herr Seehofer, Herr Rösler, Herr Gabriel, Frau Roth und Herr Özdemir erklärt, dass sich die Partei- und Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, FDP, SPD und Die Grünen - und damit die benannten Parteien - auf Herrn Gauck festgelegt haben.

     

    Obgleich es sehr begrüßenswert ist, dass zumindest der erste Kandidat für die Wahl zum 11. deutschen Bundespräsidenten nun feststeht, sehe ich mich gleichwohl in einer sehr beunruhigten Verfassung, da dieser politische Willensbildungsprozess zwischen den oben benannten Personen in einem möglicherweise beängstigenden Widerspruch zum deutschen Grundgesetz sowie dem Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung steht.

     

    Die Bundesversammlung ist zunächst ein selbständiges und unabhängiges Bundesorgan, das vom Grundgesetz zur Wahl des Bundespräsidenten

    vorgesehen ist. Dabei berücksichtigt das Grundgesetz anders als etwa bei der Wahl des deutschen Bundestages oder der Wahl des deutschen

    Bundeskanzlers die Föderation auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich zu der bundesdeutschen Ebene. Dementsprechend

    finden sich in der Bundesversammlung die Mitglieder des deutschen Bundestages, die in ihrer Funktion als Abgeordnete einzig der verfassungsmäßigen Ordnung und ihrem Gewissen als Vertreter des

    deutschen Volkes verpflichtet sein sollen, sowie Vertreter aus den Landesparlamenten der 16 Länder, die nach den Wahlrechtsgrundsätzen durch die Landesparlamente bestimmt werden.

     

    Für die Wahl des Bundespräsidenten ist zwar verfassungsrechtlich anerkannt, dass dieser nicht durch eine lückenlose Legitimationskette als vom Volk gewählt zu betrachten ist. Gleichwohl ist festzustellen, dass er eben von den über 1200 Mitgliedern der Bundesversammlung gewählt wird - und zwar wie bei jeder Wahl im Lichte des Grundgesetzes nach den verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätzen. Das heißt, dass

    jedes Mitglied der Bundesversammlung ein freies, geheimes, gleiches und unmittelbares Wahlrecht auszuüben hat. Diese Wahlrechtsgrundsätze

    finden sogar ihre Verstärkung durch die spezifischen Besonderheiten im Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten.

     

    Im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Ausführungen erscheinen mir die Erklärungen der oben erwähnten Politikerinnen und Politiker

    insofern problematisch, als mehrere für das Grundgesetz fatale Aussagen getroffen werden.

     

    Zunächst wird Herr Gauck schon jetzt als der zukünftige Bundespräsident gefeiert, obgleich seine Wahl noch aussteht. So sehr ich es Herrn Gauck

    auch wie jedem anderen potentiellen Kandidaten wünsche, in dieser verantwortungsvollen Aufgabe aufzugehen, so sehr bin ich überrascht, mit welcher Dominanz Herr Gauck schon als designierter Bundespräsident akzeptiert wird. Eine alternative Benennung von Kandidatinnen und Kandidaten kommt im Tenor dieser Presseerklärung von Frau Merkel, Herrn

    Gabriel usw. nicht mehr in Frage.

    Die Suggestivkraft dieser gemeinsamen Presseerklärung verhindert jede potentielle Gegenkandidatur. Das wirkt sich unmittelbar auf die

    Bundesversammlung aus, da Herr Gauck im Grunde genommen nicht zur Wahl steht sondern als gewählt betrachtet werden soll oder sogar schon muss.

     

    Ist das die Funktion der Bundesversammlung? Also die reine Bestätigung dessen, was parteipolitisch im Vorfeld vereinbart worden ist? Die einzige mögliche Antwort, die aus dem Grundgesetz und dem Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten gelesen werden kann, lautet eindeutig: "Nein."

     

    Selbst, wenn weitere Kandidaten bestimmt werden, scheint es mir illusorisch, davon auszugehen, dass es zu einer ernsthaften "Wahl" kommt; obgleich dann zwar formell ein Wahlvorgang in der Bundesversammlung stattfindet, werden durch die Vorfestlegung des Stimmverhaltens der meisten großen Parteien die Prinzipien des Wahlgeheimnisses, die Allgemeinheit der Wahl bezogen auf die Wahlchancen anderer Kandidaten sowie der Freiheit der Wahl bezogen auf

    eine "Art" des Fraktionszwangs zumindest arg eingeschränkt. Die Bundesversammlung würde trotz ihrer verfassungsmäßig unabhängigen und

    individuellen Rolle im Gebiet der Staatsorganisation zu einer Abnickveranstaltung der politischen Parteien werden. Das aber wird der

    staatsorganisatorischen Rolle und Funktion der Bundesversammlung sowie der Wahl des Bundespräsidenten nicht gerecht.

     

    Obwohl die Parteioberen haben auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz stets von der Demokratie und von demokratischen Verfahren geschwärmt.

    Warum nur haben sie sich dann nicht demokratisch bei der Festlegung auf ihren gemeinsamen Kandidaten festgelegt? Wenn sie schon als Vertreter Ihrer Parteien auftreten, hätten sie dann nicht zunächst ein Quorum durch ihre jeweilige Partei-Basis einholen müssen? Das wäre jedenfalls ein demokratischerer Prozess gewesen als der, wie er sich in den letzten zwei Tagen gezeigt hat.

     

    Überspitzt formuliert: Eine überschaubare Anzahl an

    Entscheidungsträgern entscheidet ohne Rückkopplung wenigstens mit ihrer jeweiligen Partei über den Kandidaten und hebelt dabei gleich mehrere

    Prinzipien und Ideen des Grundgesetzes aus. Welche Bedeutung kann ein so bestimmter und "gewählter" Bundespräsident haben? Deshalb bleibt nur zu hoffen, dass die Mitglieder der verschiedenen Parteien nicht blindlings dem Ruf ihrer Parteivorsitzenden folgen, sondern weitere

    gleichfalls solide Kandidatinnen und Kandidaten gefunden werden und am Ende in der Bundesversammlung ein dem Grundgesetz gerecht werdendes, der Würde des und des Anspruches an das Amt des Bundespräsidenten dienendes und den demokratischen Idealen der verfassungsmäßigen

    Grundordnung genügetuendes Wahlverfahren stattfindet.

     

    Der Leidtragende hierbei ist aber so oder so Herr Gauck. Er hat nicht nur den Maßstäben - vermutlich mit Leichtigkeit - nach den Vorwürfen gegenüber Herrn Wulff wenigstens zu entsprechen; er muss mit dem Makel behaftet in seinem Amt damit auskommen, dass er als zweite Wahl in zweiter Wahl, die die aufgezeigten Zweifel an der demokratischen

    Legitimation aufkommen lassen, erst in Amt und Würden gehoben worden ist.

  • S
    Schneider

    Hauen, Stechen, Schießen

     

    so soll der angebliche Machtkampf um die Nominierung, dem Volk vermittelt werden. Das glaubt kein Mensch.

     

    Wie ist der Familienstand von Gauck?

    Ich habe gelesen, daß er seit 1991 von seiner Ehefrau getrennt leben würde und die Ehe nicht geschieden sei. Seit 2000 sei er mit einer anderen Frau liiert.

     

    Ein Bundespräsident braucht geordnete Familienverhältnisse und sollte zudem jünger und kein Prediger sein. Es reden andere schon viel zuviel und wenig verständlich.

  • MM
    Mirek M.

    Was für eine Truppe!!!!!:-) SPD, Die Grünen, FDP haben ihm vorgeschagen, E R hat sich bei der Merkel bedankt.

  • JR
    Josef Riga

    Gauck ist schon deshalb der Richtige um der Linken eins reinzuwürgen :)

  • W
    Wolf

    Natürlich ist die FDP nicht umgefallen. Warum sollte sie auch? SPD und Grüne haben der FDP, die im Umfragekeller steckt, einen inhaltlich FDP-nahen Kandidaten aus polittaktischen Gründen vor die Nase gesetzt. War klar, daß die FDP nach diesem Strohhalm greift.