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Die Sehnsucht nach der alten PDSAllergisch auf Autokratie

Bei der Regionalkonferenz der Linken zeigt sich anlässlich des Dilemmas an der Parteispitze eine Ost-West-Spaltung. Die wenigen Lafontaine-Fans haben es schwer.

Traf in Schkeuditz mit der Formulierung von einer „suchenden und lernenden Partei“ den Nerv der Ost-Linken: Dietmar Bartsch. Bild: dpa

SCHKEUDITZ taz | Parteichef Klaus Ernst war am Mittwochabend noch gar nicht in Schkeuditz eingetroffen, da ließ das Raunen bei seiner Namensnennung ahnen, wohin die Regionalkonferenz der Linken aus Sachsen und Sachsen-Anhalt tendieren würde.

Die wenigen Lafontaine-Fans hatten es schwer unter den mehr als 150 Genossen, die in den Hotelsaal in der Kleinstadt zwischen Leipzig und Halle drängten. In proletarischer Direktheit war bei der Basis schon mal von „Schmierentheater“ und „Erpressungsversuchen“ die Rede.

Das Stimmungsbild ähnelte dem der Thüringer Regionalkonferenz zwei Tage zuvor und ist ein Ausblick auf den am ersten Juniwochenende stattfindenden Wahlparteitag. Die Ostlinke reagiert besonders allergisch auf alles, was nach Autokratie riecht. Mehrfach wurde der ironische Spruch aus DDR-Zeiten kolportiert: „Die Genossen da oben werden sich schon was dabei gedacht haben“.

Ostentativer Beifall hingegen für die Eigengewächse. Katja Kipping, in Leuchtendblau gewandet, gewann erneut Sympathie mit ihrem Plädoyer für eine „nichtautoritäre Linke“ und eine „kollektive Willensbildung“ in der Partei. Bei ihrer Bewerbung und denen anderer Kandidatinnen für den Parteivorsitz handele es sich nicht um ein „Casting für einen Gysi-Lafontaine-Imitationswettbewerb“, hatte sie zuvor schon in die Fernsehkameras gewitzelt.

Jahrelang vor Ort präsent

Und Fraktionsvize Dietmar Bartsch verstand es, einen optimistischen Kontrapunkt zu setzen. Die Thüringer Kommunalwahlen zeigten, dass die Linke noch gewinnen könne, wenn sie jahrelang vor Ort präsent ist, sagte Bartsch. Die Meinungs-führerschaft bei originär linken Themen wie Sozialpolitik und Kritik am Finanzkapitalismus könne zurückgewonnen werden, wenn man sich auf wenige Kampagnen konzentriere.

Wie Kipping auch plädierte Bartsch für eine plurale Partei, in der die Mitglieder das Sagen haben. Seine Kandidatur für den Parteivorsitz sei auch deshalb „selbstverständlich und legitim“. Mit seiner Redewendung von der „suchenden und lernenden Partei“ traf Dietmar Bartsch einen weiteren Nerv. Mehrfach empfanden es Redner von der Basis als anmaßend, sich als die einzige Partei mit den richtigen Antworten auf alles zu präsentieren.

Mehrere hundert Mitglieder haben deshalb einen Ersetzungsantrag zum Leitantrag des Göttinger Parteitages unterschrieben. Wulf Gallert, Fraktionsvorsitzender der Linken im Sachsen-Anhalter Landtag, brachte den Unterschied zwischen beiden auf den Punkt: „Der Leitantrag sagt: Wir haben Lösungen! Der Ersatzantrag sagt: Wir haben Angebote und finden Lösungen gemeinsam!“

Düsteres Bild

Für Noch-Parteichef Klaus Ernst kam es nicht so schlimm, wie befürchtet, obschon er mit Begriffen wie „Existenzkrise“ und „Zerfallserscheinungen besonders im Westen“ ein düsteres Bild vom Zustand der Linken malte. Neben eigenen Fehlern seien dafür der Linkstrend der Oppositions-SPD oder die relativ gute Lage Deutschlands in der Krise verantwortlich.

Das Verhältnis zur SPD – ein Thema, mit dem man sich in der Linken auch bei dieser Regionalkonferenz prima gegenseitig denunzieren konnte. Man müsse dem Westen personell ein Angebot machen, rief Ernst mit Blick auf Oskar Lafontaine. Nun brachte zwar Sachsens Landesvorsitzender Rico Gebhardt gar ein Triumvirat mit weiblicher Doppelspitze und einem Geschäftsführer Bartsch ins Gespräch.

Doch unter nachdenklichen Mitgliedern reift offenbar die Erkenntnis, dass nur eine Spitze Dietmar Bartsch/Sahra Wagenknecht den Parteifrieden wiederherstellen kann. Offiziell fiel der Name der Links-Linken aber nicht ein einziges Mal. Diesen Frieden wünscht die Basis und trauert dem Image der einstigen Kümmerpartei mit für alle erkennbaren Positionen nach, den „PDS-Errungenschaften“, wie es hieß.

Harald Koch, Ex-WASGler aus Sachsen-Anhalt, hatte für den Fall der Apokalypse schon mal Trost parat: „Auch wenn die Partei krachen geht – die Idee wird weiterleben und sich organisieren!“

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7 Kommentare

 / 
  • NA
    Nancy Ann Ritschl

    Für ein umfassendes Bild wäre es sehr nett, auch über die Regionalkonferenzen im Westen zu berichten. Da findet sich ein ganz anderes Stimmungsbild!

  • S
    seyinphyin

    Verwundert in erster Linie immer, dass die völlig fehlende Demokratie in anderen Parteien keinerlei Rolle spielt. Dort gibt es quasi nie Gegenkandidaten, alles wird vorher geklärt und wehe einer wagt es, Mutti herauszufordern.

     

    Röttgen sollte mal Merkel den Posten streitig machen. Käme Bartsch gegen Lafontain gleich. Wie würden die Schlagzeilen wohl da aussehen.

     

    Keine Antwort nötig, ich weiß es sehr genau.

  • I
    I.Q

    Verdrehte Welt -

    Sollte die Meinungslage auf der beschriebenen Regionalkonferenz wirklich so wie geschildert gewesen sein, dann muss man hinzufügen: Man hat dort den Schuss nicht gehört.

    Bei den Bemühungen, nicht ständig mit inneren Querelen aufzuwarten und in der Presse vorgeführt zu werden, mag die bisherige Führung der PdL ja einiges falsch gemacht haben.

    Allerdings war es ihr auch verdammt durch Querschüsse und Anmaßungen schwer gemacht worden, irgendwie Ruhe in dieses Geschehen zu bringen.

     

    „Allergisch auf Autokratie“zu sein, können einige der sich lautstark meldenden Unterstützer von Bartsch und er selbst behaupten, hatten sie doch in unsäglicher und unverschämter Weise in den letzten 2 Jahren versucht, anderen in der Partei zu sagen, was diese äußern oder wie sie handeln, an welchen Veranstaltungen sie teilnehmen und welche Ansichten sie vertreten dürften.

    So kamen aus ihren Reihen die Zumutungen, nur sie könnten verbindlich sagen, wie man den Mauerbau, den Begriff des Kommunismus oder aber einen Brief an Castro zu behandeln und zu deuten habe.

    Der private Verzicht auf israelische Produkte wegen der der anhaltenden Expansions- Teilungs- und Besatzungspolitik des religiöstümelnden Staates,

    sollte mit dem von oben angeordneten Handeln von SA-Schlägertrupps gleichgesetzt werden. Tätig hierbei Frau Pau, die noch nicht mal wußte, dass es verschiedene Organisationen einer IHH gab und auch ansonsten im historischen Wissen reichlich unterbelichtet ist, was sich auch nicht durch die Omnipräsenz an Gedenkveranstaltungen und Kranzabwurfstellen wettmachen lässt.

     

    Die Unterschiede eines von völkerrechtswidrigen Boykotten drangsalierten Kuba zu den unter "westlichen Schutz" gedeihenden Katastrophenländer Haiti, Kolumbien und Guatemala – um nur einige zu nennen – sollten verwischt werden dürfen, der differenzierende Blick auf die kubanische Geschichte und Gegenwart schien auf einmal nicht mehr gefragt noch vorhanden.

    Obendrein schien es, als dürfe man nicht mal mehr darauf Aufmerksam machen, der Mauerbau als auch das unter Besatzungsdiktat erzwungene Regime einer SED, sei letztlich auch als eine Folge des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion zu sehen.

     

    Das anschließendes Handeln in der DDR deshalb weitgehend nur im Rahmen und unter Berücksichtigung der von Sowjets geduldeten Ordnung möglich gewesen war, hätte man gerade im Osten Deutschlands wissen müssen. Als hätte nicht die PDS schon ewig mit dem Zusatz der "SED-Nachfolgepartei" ein ihr geltendes und eben doch falsches Totschlagargument einstecken sollen, wenn es nach ihren Gegnern gegangen wäre.

    Bei diesen „Fragen“ tauchten neben Bartsch,, weitere unsäglich moralisierende, engstirnige und vielen Fragen inkompetente auf.

    Die traten keineswegs so auf, als hätten sie ihre Sicht als lediglich die eine Mögliche von vielen anzubieten.

     

    Nein, sie wollten anderen deren Meinung verbieten; wollten, wie etwas bei der Gazahilfsflotte, anderen aufzwingen, es sich vorschreiben zu lassen, wann sie bedrohten Menschen Hilfe und Solidarität leisten dürften und wann nicht.

    Von geduldeter und geachteter Meinungsvielfalt war da nicht viel zu sehen, wohl aber von Dauerattacken auf die eigene Führung und mißliebige Anschauung unter Einsatz der "bürgerlichen" Medien.

  • DQ
    Der Querulant

    Ein Lob an Michael Bartsch vorweg, keine einziges Mal verwendete er die Bezeichnung "Linkspartei". Es geht also doch. Danke!

     

    Die Zukunft Der Linken, zumindest im Westen, könnte der der Kommunisten entsprechen. Das liegt auch an der von Oskar Lafontaine einstmals zu Recht angesprochenen Dialektik. Da scheint Sahra Wagenknecht viel von Oskar gelernt zu haben.

     

    Die Linke sollte deutlichst Stellung beziehen, was soziale Themen betrifft. Das sollte in griffigen Formulierungen geschehen, kurz und prägnant. Und vor allem sollte Die Linke den Systemwechsel fordern, hin zu mehr direkter Demokratie, analog der Piratenpartei. Eine innerparteiliche Demokratisierung wäre da auch nicht schlecht.

     

    Es müssen auch endlich allgemeingültige Standpunkte zur DDR formuliert werden, will man nicht immer wieder Gefahr laufen, mit dieser Thematik unangenehm aufzufallen.

     

    Auch sollte die allgemeine Kapitalismuskritik spezifiziert werden, es muß deutlich sein, daß Kommunismus oder Staatskapitalismus nicht auf der Agenda stehen.

     

    Es gäbe sicherlich noch einige Punkte zu nennen, aber ich bezweifle, daß auch nur diese wenigen Punkte umgesetzt werden können. Dabei wäre es sehr wünschenswert, es würde ein von der Idee des BGE ausgehender Gesellschaftsentwurf erarbeitet, der einen sich selbst regulierenden sozialen Kapitalismus beinhaltet. Aber das wäre vermutlich wirklich zuviel verlangt, oder?

     

    An Sahra Wagenknecht sollte die Partei jedenfalls unbedingt festhalten. Ihr nimmt man das um das Allgemeinwohl bemühte Engagement ab. Sie ist in den Augen vieler Bürger integer und glaubwürdig. Ihr hört man zu, trotz der ewigen Anspielungen auf die kommunistische Plattform. Und, ihre öffentlichen Auftritte, ihre Schlagfertigkeit, werden immer besser.

     

    Leider wird auch Sahra Wagenknecht allein Die Linke nicht retten können. Man sollte sich mal mehr mit der Piratenpartei beschäftigen und - lernen. Demokratie lernen. Es gibt doch sicher noch Mitglieder aus der WASG?

  • W
    Weinberg

    Was für einen Eindruck hätten Herr Bartsch, Frau Kipping oder Frau Schwabedissen in der letzten Sendung (23.05.2012) von Anne Will hinterlassen?

     

    Diese Frage muss man sich stellen, wenn man Oskar Lafontaine erleben konnte, der in gekonnter Weise dem Publikum selbst komplizierte Sachverhalte (wie beispielsweise die Euro Bonds) einprägsam erläutern konnte. Für seine Ausführungen erntete er nicht unverdient großen Beifall.

     

    Ich wage die Vermutung, dass weder Bartsch, noch Kipping noch Schwabedissen in der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik dem verfemten Oskar Lafontaine je das Wasser reichen können.

     

    Eine Frau, die auf den genannten Gebieten tatsächlich in jeder Hinsicht fit ist, heißt Sarah Wagenknecht. Aber ich bitte um Entschuldigung – handelt es sich hierbei doch um die Lebensgefährtin der Unperson Oskar Lafontaine!

     

    Ein Vorsitzender oder eine Vorsitzende der Linkspartei muss letztendlich über ein entsprechendes Charisma verfügen, mit dem die Menschen angesprochen und gewonnen werden. Ein Hinterstuben-Apparatschik (m / w) kann einem solchen Anspruch allerdings nie und nimmer gerecht werden. Und ein Apparatschik als Vorsitzende/r wird bei der nächsten Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde nicht nehmen – auch wenn dies die Parteifunktionäre in Sachsen-Anhalt und in Sachsen heute noch nicht erkennen.

     

    Für die Anti-Lafontaine-Fans (insbesondere in den „blühenden“ Ostländern) heißt es am Ende bitter: „Learning by Doing“!

     

    Wird der hochverehrte Herr Bartsch nach der sich abzeichnenden Wahlniederlage wieder Unternehmensberater und/oder Geschäftsführer der Parteipostille "Neues Deutschland"? Oder hat gar die SPD einen Job für ihren Unterstützer?

  • A
    Arne

    Hm, interessant!

    Mir fällt auf, dass auf einmal in der deutschen Presse es als demokratisch verkauft wird, wenn sich Menschen in Posten drängeln wie Bartsch, der schon 1978 SED-Mitglied war und auf einer Moskauer Parteischule ("Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der KPDSU" lt. Wikipedia) oder Gebhardt, seitr 1981 SED-Mitglied und hauptamtlicher FDJ-Funktionär. (Merkel war wenigstens nur nebenamtlich dort für "Agitation und Propaganda zuständig lt. Wiki.) Würde wirklich gerne mal von den großen Basisdemokraten wissen, ob die auch mal den Mut hatten, ihren Parteivorsitzendem zu sagen, dass man mit seinen Sekundärtugenden auch ein KZ führen könnte.

  • H
    Hajü

    Genau dieser politische Gegensatz ist/war es, was die Linke gelähmt hat. Und das soll sich wiederholen?

    "Doch unter nachdenklichen Mitgliedern reift offenbar die Erkenntnis, dass nur eine Spitze Dietmar Bartsch/Sahra Wagenknecht den Parteifrieden wiederherstellen kann."

    Kann mir schon vorstellen, dass die taz-redaktion sich das wünscht, eine entgültig befriedete Partei.