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Plädoyers im RAF-ProzessBubacks Wahrheiten

Nebenkläger Michael Buback sieht es als erwiesen an, dass Verena Becker seinen Vater erschossen hat und von „mächtigen Verbündeten“ gedeckt wurde.

Er kennt die Wahrheit. Zumindest eine. Michael Buback am Freitag. Bild: dpa

STUTTGART taz | Am Ende seines Plädoyers bekommt Michael Buback Beifall. Er bekommt ihn von Ina Beckurts. Er bekommt ihn auch von den wenigen anderen Zuhörern im Saal 1 des Oberlandesgerichts Stuttgart. Ina Beckurts ist die Witwe des von der RAF im Juli 1986 ermordeten Siemens-Vorstands Karl Heinz Beckurts. Auch Corinna Ponto, Tochter des RAF-Opfers Jürgen Ponto, ist an diesem Freitag da, um Buback zu hören.

Eineinhalb Tage lang hat Michael Buback als Nebenkläger vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erklärt, warum er Verena Becker für die Mörderin seines Vaters hält. Warum er überzeugt ist, dass das frühere RAF-Mitglied am 7. April 1977 in Karlsruhe vom Sozius eines Motorrads aus die tödlichen Schüsse auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback, seinen Fahrer Wolfgang Göbel und den Justizbeamten Georg Wurster abgegeben hat. Zeugenaussagen und andere Beweismittel hätten „ein klares und widerspruchsfreies Gesamtbild“ ergeben. Er meint, dass sie durch eine „schützende Hand“ vor Strafverfolgung bewahrt worden sei, weil sie mit dem Geheimdienst kooperiert hat.

Eine Strafe aber fordert er nicht. Schließlich sei es möglich, so Buback, „dass Frau Becker zu Handlungen gedrängt oder sogar gezwungen wurde“. Es sei ihm daher nicht möglich, für eine lebenslange Freiheitsstrafe zu plädieren, sagt er: „Der wahre Tatbeitrag kann nicht beurteilt werden, da nicht alle Karten auf dem Tisch liegen.“

Der 67-Jährige guckt die frühere RAF-Terroristin nun erstmals während seiner Ausführungen direkt an. Anders als am Vortag hat sich Becker an diesem Tag ihm nicht zugewandt. „Frau Becker hat viel Glück gehabt – und mächtigere Verbündete, als ich sie habe und vor allem als mein Vater sie hatte“, sagt Buback.

Buback spricht von Manipulation

Wie schon am Donnerstag spricht er zuvor von „bedrückenden Erkenntnissen“, manipulierten Akten und von „zahlreichen und systematischen Eingriffen“ von außen, durch die nach dem Attentat im Jahr 1977 Hinweise auf eine Frau eliminiert worden seien. Die Anzahl derartiger „Merkwürdigkeiten“ sei zu groß, als dass es sich dabei – so sieht es Buback – um zufällige Schlampereien handeln könne. Oberstaatsanwältin Silke Ritzert hält sich irgendwann die gefalteten Hände vor Mund und Nase und schüttelt nur noch mit dem Kopf. Verena Becker hört sich alles an, ohne eine Reaktion zu zeigen.

„Zahlreiche Zeugen“ hätten eine „zierliche Person“ auf dem Sozius des Motorrads gesehen, referiert Buback. Allerdings wurde sie von keinem Zeugen identifiziert. Nach 20 Monaten Beweisaufnahme habe er jedoch „die Gewissheit“, dass diese Person Verena Becker sei. Viele einzelne „Mosaiksteine“ hätten „ein klares und widerspruchsfreies Gesamtbild ergeben“.

Zu diesen Steinen gehört laut Buback ein einzelner Schuhabdruck nahe dem Ort, an dem damals das Tatmotorrad versteckt worden war, und von dem die Bundesanwaltschaft meint, dass er gar nichts mit dem RAF-Anschlag zu tun hat. Zu den Mosaiksteinen gehören auch Aussagen von, wie Buback sie nennt, „Insidern“, deren Aussagen durch ihre besondere Nähe zur RAF eine besondere Bedeutung zukämen.

Was wusste Bommi Baumann?

Als „Insider“ bezeichnet er etwa Michael „Bommi“ Baumann. Baumann kennt Verena Becker aus gemeinsamen Tagen in der „Bewegung 2. Juni“ in Berlin. Baumann hatte im Oktober 2010 einem Beamten des Landeskriminalamtes Berlin mitgeteilt, „dass Frau Becker definitiv die tödlichen Schüsse abgegeben hätte“.

Während Baumanns Vernehmung als Zeuge vor Gericht sollte er im Mai 2011 erklären, wie es zu dieser Notiz des LKA-Beamten gekommen ist. Baumann war das damals in der Hauptverhandlung alles offensichtlich sehr unbehaglich. Er habe gedacht, es sei einfach eine Plauderei mit dem LKA-Mann gewesen, sagt er. Die eigentliche Vernehmung – es ging um Drogen, die bei Baumann gefunden wurden – sei bereits vorbei gewesen, da habe der Beamte ihn auf den Becker-Prozess angesprochen. Vor Gericht sagte Baumann, dass er doch gar nicht wissen könne, wer geschossen habe: „Ich bin ja nicht dabei gewesen. Ich war ja nicht mal in Deutschland gewesen. Ich war in Indien gewesen. Eine Vermutung.“

Als weiteren „Insider“ nennt Buback Peter B. Dieser – wegen Betrugs vorbestrafte – Mann hatte erst Buback, dann dem Gericht berichtet, dass Christian Klar ihm einmal durch Kopfnicken bestätigt habe, dass Verena Becker die Schützin des Buback-Attentats gewesen sei. Peter B. habe Mitglied der RAF werden wollen und Klar an jenem Tag kennengelernt. Am Freitag sagt Buback: „Christian Klar hat es bei seiner Vernehmung nicht zurückgenommen.“

Doch Klar verweigerte im September 2011 in der Hauptverhandlung die Aussage. „Kennen Sie Frau Becker?“ „Wo waren Sie am 7. April 1977 und mit wem?“ „Wer saß auf dem Soziussitz und hat geschossen?“ Die einzige Antwort, die Klar gegeben hatte, lautete: „Keine Angaben.“ Für Buback hat Klar damit nicht bestritten, Beckers Täterschaft durch Kopfnicken bestätigt zu haben.

Bubacks Rosinentheorie

Buback spricht von einer ganze Reihe „schwerster ermittlungstaktischer Fehler“ und von „Informationsvernichtung“. Die Bundesanwaltschaft wiederum warf Buback in ihrem Plädoyer die Anwendung der „Rosinentheorie“ vor. Er picke sich nur die Details heraus, die zu seiner These passten, und ignoriere alles andere.

Während Verena Becker, die Verteidigung und der Senat Bubacks Vorwürfe und Schlussfolgerungen nahezu regungslos über sich ergehen lassen, gelingt dies der Bundesanwaltschaft irgendwann nicht mehr. Beamte der Rechtsbeugung zu bezichtigen, „ist eine durch nichts zu rechtfertigende Unverfrorenheit“, empört sich Bundesanwalt Walter Hemberger: „Jedes weitere Wort ist der Vortrag des Nebenklägers nicht wert.“

Die Bundesanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren wegen Beihilfe für Becker gefordert. Die Ankläger sind davon überzeugt, dass Becker nicht geschossen hat, sich aber bei Vorbereitungstreffen entschieden für die Ermordung des Generalbundesanwalts eingesetzt habe. Das Gericht will am 6. Juli ein Urteil verkünden.

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10 Kommentare

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  • R
    Rainer

    An dem Tag, wenn das zu erwartende Buch mit den sämtlichen Protokollen dieser Groteske eines Strafprozesses erscheint –

     

    an dem Tag wird die TAZ laut in den Chor derer einfallen, 'die es immer gewusst und gesagt haben'.

     

    Bis dahin verbreitet dieser gleichgeschaltete 'Chor' die von Gisela Friedrichsen und dpa vorgegebene Linie, des "überspannten" Michael Buback, eifrig und kritiklos.

  • P
    Paul

    Da die Autorin Frau Ramm hier recht oberflächlich über Herrn Buback urteilt gehe ich davon aus, dass sie weder sein Buch gelesen hat noch seinen Prozess-Blog bei 3sat. Auch der Film zum Prozess ist außerordentlich sehenswert...

     

    Der Prozess war eine einzige Farce. Dass die Staatsanwaltschaft am Ende eine Verurteilung fordert statt eines Freispruchs kann nur als Indiz zu werten sein, dass dieser Schauprozess ansonsten endgültig auch vom größten geistigen Tiefflieger als solcher zu durchschauen wäre. Die Begründung ist lächerlich, da für alle damaligen RAF-Mitglieder ein Generalbundesanwalt eine Hassfigur darstellte, die man bekämpfen wollte. Somit hat Herr Buback völlig Recht, dass man mit dieser Argumentation auch viele andere Personen verurteilen müsste. Letztlich geht es ihm nicht um persönliche Verfolgung von Frau Becker, sondern schlicht und ergreifend um die Aufdeckung der Wahrheit!

     

    Ich verfolge diesen Fall schon seit mehr zwei Jahren sehr detailliert. Für mich komme ich zu dem Schluss, dass dieser Prozess einer Bananenrepublik zur Ehre gereichen würde, oder aber einer osteuropäischen Diktatur.

     

    Wer jetzt lacht muss sich fragen, weshalb auch nach 35 Jahren nicht alle Akten zugänglich sind, weshalb aussagewillige Ex-Beamte nicht vorgeladen wurden, weshalb andere Beamte von ihrer Behörde gründlichst gebrieft wurden, ja ihre eng begrenzte Aussagegenehmigung nicht zu überschreiten.

     

    Der Fisch stinkt vom Kopf her...

  • MS
    meine sache

    Auf der einen Seite eine Frau die glaubte durch ihr Wirken den Sozialismus und die Entnazifizierung zu erreichen.

     

    Auf der anderen Seite ein armer alter Mann, der den Tod seines Vaters wohl mehr rächen als verarbeiten will.

     

     

    Der wahrscheinlich große Unterschied zwischen den beiden:

    Becker hat wohl mit der RAF abgeschlossen, Buback nicht.

     

    Und ich denke er wird es auch nicht mehr.

    Nur die Wahrheit - die wird er wohl nicht mehr erfahren.

     

    Das einzige was da hilft und noch nicht mal böse gemeint, ist ein guter Psychiater.

  • VB
    Volker Birk

    Ich habe grosses Verständnis für Herrn Buback. Die sogenannten "Ermittlungspannen" wie das Verschwinden eigentlich aller relevanter Beweisstücke sind eklatant.

     

    Ob er mit seiner Theorie richtig liegt, dass Becker geschossen hat, werden wir jedoch wohl nie erfahren.

  • H
    Hilmar

    Wann wird er endlich aufhören. Kannte er seinen Vater wirklich? War der Papst derjenige der Becker "gedeckt" hat?

  • V
    vantast

    Mit Recht wird der Staatsanwaltschaft mit Mißtrauen begegnet, nicht wegen der NS-Vergangenheit, aber mit der zwielichtigen Rolle von Polizei und "Sicherheitsbehörden": Bis heute sind die Täter vom "Celler Loch" nicht verurteilt, die Polizei setzte "Agent provocateurs" ein, die zu strafbaren Taten aufforderten.

  • V
    vic

    Der Mann ist krank.

  • D
    dillinger

    Hallo Frau Ramm,

     

    Sie schreiben, "die Ankläger sind davon überzeugt ...".

     

    Das ist kein guter Journalismus. Niemand kann wissen, wovon ein anderer Mensch überzeugt ist. Daher müßte es heißen, "die Ankläger sagen, sie seien davon überzeugt ...".

  • P
    Pink

    Der Nebenkläger ist traumatisiert.

    Aber irgendwann sollte er den Verlust des Vaters bewältigt haben.

     

    Er sollte ein Buch schreiben. Wäre allemal besser als das, was ein Sarazzin zusammenschwurbelt.

     

    Die Justiz hat ja hoffentlich noch mehr zu tun, als vom Nebenkläger jahrelang beschäftigt zu werden.

     

    Eine Bundeskanzlerin richtet das Land zugrunde und keiner schaut hin !!!

  • BG
    Bernd Goldammer

    War Frau Becker zum Zeitpunkt des Mordes V-Frau? Kann man es einem Sohn verdenken, dass er wissen will, wer seinen Vater ermordet hat? Ich verstehe Herrn Buback nicht nur, ich verehre ihn für sein menschliches Handeln. Vielleicht hebt er eine Legende aus den Angeln? In diesem Zusammenhang darf es keine Halbwahrheiten geben. Ich sehe das als Ausdruck menschlicher Zivilisation. Beantwortet Michael Bubacks Fragen! Damit er das Trauma von der Ermordung seines Vaters bewältigen kann. Wer ihn hier beschimpft, erzählt dabei viel mehr über sich selbst.