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Abstimmung zum FiskalpaktMerkels Eurokurs auf Talfahrt

Die Opposition weidet sich an der offenkundigen Niederlage der Kanzlerin beim EU-Gipfel. Sie will aber dem Fiskalpakt erst recht zustimmen.

Gut, so eine Fratze zieht die Kanzlerin noch nicht, auch, wenn die Opposition gut lästerte über sie. Bild: dpa

BERLIN taz | Niederlage? Welche Niederlage? Die Bundeskanzlerin konnte jedenfalls nach dem zweitätigen Verhandlungsmarathon des EU-Gipfels keine erkennen.

„Es war ein intensiver Rat, der eine Menge entschieden hat“, sagte Angela Merkel (CDU) am Freitag in Brüssel. Und sie fügte hinzu: Die Bundesregierung sei ihrer bisherigen Linie „treu geblieben“. Keine Leistung ohne Gegenleistung, so Merkel, und „keine Haftung ohne Kontrolle“.

Wirklich? Sicher ist: Die Staats- und Regierungschefs einigten sich auf mehrere Dinge, die Merkel zuvor noch strikt abgelehnt hatte. Zum Beispiel darauf, angeschlagene Banken direkt aus dem Europäischen Rettungsschirm ESM mit Geld zu versorgen. Prompt warfen SPD und Grüne Merkel eine Kehrtwende vor.

Die Klageflut

Noch am Freitagabend sollen beim Bundesverfassungsgericht mehr als 12.000 Verfassungsbeschwerden, zwei Organklagen und eine Reihe von Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingereicht werden.

Die Kläger, unter ihnen der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und alle Bundestagsabgeordneten der Linken, kritisieren eine Aufgabe deutscher Souveränität, die vom Grundgesetz nicht gedeckt sei.

Gerügt wird eine "Grundrechtsverletzung durch unterlassene Volksabstimmung". Die vorgesehenen tiefgreifenden Veränderungen seien auch mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht statthaft. (dapd)

„Frau Merkel reißt die nächsten roten Linien“, sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Bis zum Gipfel sei sie dagegen eingetreten, Banken direkt zu rekapitalisieren oder Hilfen aus den Rettungsschirmen ohne Auflagen zu vergeben. Diese Positionen habe die Kanzlerin räumen müssen, sagte Trittin.

Auch die SPD lästerte über die Wende-Kanzlerin. Die Ergebnisse seien eine „krachende Niederlage“ für Merkel, sagte der Haushälter Carsten Schneider. Er forderte, die Kanzlerin müsse ihre Kehrtwende erklären, und stellte gar die für den Abend geplanten Abstimmungen des Bundestags über den Europäischen Rettungsfonds ESM infrage. Spontan wurde der Haushaltsausschuss einberufen, um über die Gipfelergebnisse zu beraten.

Für den Abend ist in Berlin ein parlamentarisches Mammutprogramm mit zwei historischen Entscheidungen geplant: Der Bundestag soll jeweils mit Zweidrittelmehrheit den Fiskalpakt und den Europäischen Rettungsschirm ESM ratifizieren. Die nötigen Mehrheiten gelten als sicher, weil SPD und Grüne zuvor angekündigt haben, mit der Koalition zu stimmen. Nur die Linkspartei will geschlossen mit Nein abstimmen. Nach der Ratifizierung durch das Parlament soll auch der Bundesrat in einer Nachtsitzung die Pakete absegnen.

Bei den Grünen hatte die Entscheidung intern für heftige Debatten gesorgt. So planten rund 15 Abgeordnete der 68-köpfigen Fraktion, dem Fiskalpakt ihre Zustimmung zu verweigern. Es könnten auch weniger werden, hieß es am Nachmittag in Fraktionskreisen. Die Kehrtwendung auf dem Gipfel erleichtere den Grünen die Zustimmung, sagte die Haushaltsexpertin Priska Hinz. Zuvor hatte sich der Finanzpolitiker Gerhard Schick nach langen Zweifeln dafür entschieden, dem Sparpaket zuzustimmen.

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7 Kommentare

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  • AS
    Arno Schlick

    Warum kommt eigentlich in der SPD oder in den Grünen niemand darauf dieses Finanzsystem in Frage zu stellen?

    Wachstum als Monstrum, Schulden als Schmerzmittel? Sind die alle wahnsinnig?

    Ich bin eher links, dachte ich, aber ich bin auch seit mehr als 10 Jahren für einen neuen Edelmetallstandard, der den Irrsinn der Umverteilung weg von den Bürgern, hin in die Kapitalmärkte beendet!

    Die Lösung sehe ich darin, dass ich nicht glaube, dass eine soziale Politik noitwendig mit dem Schuldenmachen verknüpft sein muss. Wie JEDE Politik wird sie dadurch nur scheinbar und vorübegehend LEICHTER DURCHZUFÜHREN!

    Ich bin für die Koppelung einer strengen Banken- und Hedgefonds-Kontrolle mit einem neuen Edelmetallstandard und einer möglichst ideologielosen und sozialen Politik die wieder mehr Blick hat auf die Nöte und Bedürfnisse DER MENSCHEN, nicht nur auf die der elektronischen Handelssysteme!!

  • R
    Roger

    Zitat:

     

    "Die Kehrtwendung auf dem Gipfel erleichtere den Grünen die Zustimmung, sagte die Haushaltsexpertin Priska Hinz"

     

    Das sagt doch schon alles.

    Und die hab ich mal gewählt.

    Das ist aber jetzt vorbei.

  • WE
    Wolfgang E.

    Banken Hitler Ermächtigungsgesetz.

     

    17 Mann entscheiden in Zukunft.

     

    Es wird keine Wahlzettel geben,

    auf denen diese notiert sind.

  • VV
    Volk von Trotteln

    Was für ein Volk von Idioten wir doch sind: Gegen einen Bahnhof demonstrieren Hunderttausende, gegen die Aushebelung der Demokratie mit den Stimmen fast aller Parteien so gut wie niemand. Ekelhaftes Spiel

  • F
    Franken4nordeuropa

    Dass Merkel als Hauptzahlmeister nicht einmal die winzige Gegenleistung des Sitzes des Europ. Patentgerichtes nach Deutschland holte, ist als Verhandlungsergebnis hundsmiserabel.

     

    Nicht länger vermeidbar ist nun grundsätzliche Orientierung: Die EU hat viele NATO-Mitglieder. Sie ist dennoch keine Teilmenge.

     

    Eine Währungsunion muss analog keine Teilmenge der EU bleiben. Eine neue Währung mit Norwegen und den anderen skandinavischen Staaten, mit der Schweiz, Luxemburg, Österreich, den Niederlanden und Deutschland verbände weder nur EU-Mitglieder noch nur NATO-Mitglieder. Diese zusätzliche Währungsunion hätte aber ökonomisch eine homogenere Basis als das auseinander treibende EURO-Gebiet.

     

    Der EURO muss weich werden, damit die Subventionierung von Spekulanten aufhört, damit die Mehrheit bisheriger EU-Länder wettbewerbsfähiger gegenüber Deutschland usw. werden kann, damit Energie nicht mehr im Kampf um Fiskalkontrollen zwischen zu ungleichen Nachbarn vergeudet wird und damit große EURO-Länder und wichtige Banken Überschuldungen bewältigen.

     

    Ein gemeinsamer Franken der Nordländergruppe wäre gegen niemand gerichtet, sondern natürliches Pendant zur tatsächlichen ökonomischen Verwobenheit und gemeinsamen ökonomischen Kultur dieser unmitelbaren Nachbarn.

     

    Schon Bismarcks Friedenssicherung gründete auf einem Netz überlappender internationaler Verträge. Als Option gilt es, nun endlich diplomatisch einen ähnlichen Weg zu sichern und vorzubereiten ohne Bruch, solange das geht. Wer könnte das?

  • F
    Fragesteller

    Ich kann auch nicht sehen, wo die Merkel eingeknickt sein soll. Deutschland hat nach wie vor ein Veto falls Länder beim ESM Geld holen wollen.

     

    Siehe: http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-gipfel-kanzlerin-merkel-verteidigt-zugestaendnisse-gegen-kritik-a-841773.html

     

    Was nun die Grünen und die SPD von sich geben, klingt eher nach Populismus und stimmt mich traurig da ich mehr von den Parteien erwarte.

  • D
    D.J.

    Hier eine Stimme der Vernunft:

     

    https://www.youtube.com/watch?v=H311SNGWPGo&feature=player_embedded

     

    Journalisten, Bürger, folgt eurer Verantwortung für die Demokratie! Wehrt euch mit allen demokratischen Mitteln! Schreibt an eure Abgeordneten! Noch ist es nicht zu spät!