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Tuareg im NigerDer Bart deines Nachbarn

Die desolate Lage macht junge Tuareg im Niger anfällig für Angebote von Islamisten. Viele fürchten ein zweites Mali. Nun wirbt die Armee um ihr Vertrauen.

Um ein zweites Mali im Niger zu verhindern, wäre Arbeit für junge Tuareg besser als die Patrouillen der Armee. : ap

IFEROUANE taz | Nahe der Lehmmauer ist die Hitze gerade so erträglich. In deren Schatten hockt die Frau mit dem transparenten Gaze-Kopftuch, die darum bittet, ihren Namen nicht zu nennen. „Man weiß ja nie“, sagt sie in gutem Französisch. „Die Wüste von Mali ist dieselbe wie die im Niger.“

Sie hat Angst vor den Islamisten, die seit April den Norden des Nachbarlandes kontrollieren. Denn die Grenze zwischen den beiden Sahelstaaten ist durchlässig, die nomadisch lebenden Tuareg ziehen mit ihren Kamelen seit Jahrhunderten zwischen beiden Ländern hin und her. Inzwischen wandern sie kaum noch mit Kamelkarawanen, sondern in Konvois mit modernsten Pick-ups. Im Gepäck haben sie statt Salz heute Drogen aller Art und andere Schmuggelwaren.

Obwohl sie meist schwer bewaffnet sind, lassen diese Kriminellen die Bevölkerung in Ruhe. Im Gegenteil, mit ihren mafiösen Netzwerken sorgen sie für recht einträgliche Arbeit und kommen bei den jungen Leuten nicht schlecht an. Mit den Islamisten ist das anders. Die Angst vor den in Mali operierenden Extremisten ist im Niger weit verbreitet.

Mali, Niger, Islamisten

Die nomadischen Tuareg leben vor allem in Mali und Niger. Durch willkürlich gezogene Grenzen gegängelt, organisierten sie mehrfach Aufstände. Ab 2011 besetzte die Tuareg-Rebellenbewegung MNLA (Nationale Befreiungsbewegung Azawad) in Mali im Kampf für einen eigenen Staat immer mehr Gebiete. Sie erhielt dafür die Unterstützung von AQMI (al-Qaida im Islamischen Maghreb) und anderer Islamisten. Inzwischen haben diese die Tuareg-Rebellen verjagt und errichten im Norden Malis einen islamischen Staat. Malis Regierung will zusammen mit anderen Staaten der Region und europäischer Hilfe dagegen vorgehen. Die Tuareg fürchten in dieser Konfrontation zerrieben zu werden. (d.j.)

Einzelne Einheiten der al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) haben in den vergangen Jahren auch dort Ausländer entführt, von denen sich manche noch immer in ihrer Gewalt befinden. Bisher haben sie im Niger aber noch keine Basis und ziehen sich nach jeder Aktion über die Grenze nach Mali zurück. Dass dies so bleibt, scheint mit dem Erstarken der verschiedenen islamistischen Gruppierungen wie AQMI, Ansar Dine, Mujao und anderer Gruppen in Mali immer weniger sicher.

„Ich bete zu Gott“, sagt die im Schatten hockende 32-jährige Mutter von vier Kindern, „dass die Bärtigen hier nicht Fuß fassen. Die Frauen leiden daunter am meisten.“ Das Fehlen eines Bartes ist eins von vielen Kennzeichen, die die durchweg muslimischen, aber toleranten und freiheitsliebenden Tuareg von Islamisten der wahhabitisch-strengen Schule und anderen muslimischen Fanatikern unterscheidet.

Touristen bleiben weg

Iferouane ist ein Dorf, man sieht schattenspendende Bäume, Dattelpalmen und einige Lehmbauten. Im Hintergrund erhebt sich der Tamgak, mit gut 1.900 Metern der zweithöchste Berg im Niger. Früher war Iferouane ein beliebtes Reiseziel von Touristen, die sich an den Oasengärten erfreuten und das Aïr-Gebirge mit Motorrädern, Geländewagen oder zu Fuß durchstreiften. Aber seit Lösegelderpressungen zu einer wichtigen Einnahmequelle krimineller Banden wurden, bleiben die Weißen weg.

Iferouane war außerdem ein Zentrum der letzten Tuareg-Rebellion, die 2007 ausbrach und zwei Jahre später mit einem durch den damaligen libyschen Herrscher Gaddafi vermittelten Waffenstillstand zu Ende ging. Die Frau erinnert den Krieg zwischen Armee und Tuareg-Rebellen als einen Albtraum, dessen Wiederholung sie seit Beginn der Unruhen in Mali nicht mehr für ausgeschlossen hält. „Es war die Hölle“, sagt sie, „die Armee hatte ihre Basis ganz in der Nähe. Sie rächte sich an uns für jeden Angriff der Rebellen.“

Nach und nach seien alle Zivilisten geflohen. Auch sie selbst packte eines Tages ihre Kinder und ließ alles andere zurück. „Iferouane war jahrelang ein toter Ort. Wir wissen, was der Krieg bedeutet.“ Die Bevölkerung kämpfe bis heute darum, das Lebensniveau der Vorkriegszeit wieder zu erreichen. Die Frau steht auf und tritt aus dem Schatten. Sie will zurück zu der Veranstaltung, die sie für das kurze Gespräch unterbrochen hat.

Die Versammlung findet ein paar Schritte entfernt in einem Lehmbau statt. Eingeladen hat die nigrische Hilfsorganisation HED Tamat, die auch aus Deutschland finanziell unterstützt wird. „Wir wollen eine weitere Rebellion der Tuareg verhindern“, erklärt Mano Aghali, selbst ein Tuareg und zugleich Präsident von HED Tamat. „Wir wissen, dass die Bevölkerung immer am meisten leidet.“

Aghali gehörte beim ersten Tuareg-Aufstand in den 1990er Jahren zum politischen Flügel der Rebellen. An der zweiten Rebellion im Jahr 2007 nahm er nicht mehr teil, weil er die politischen Gründe für vorgeschoben hielt. „In Wirklichkeit ging es um die Kontrolle von Routen für den Drogenschmuggel und andere kriminelle Machenschaften.“ Ganz so, meint er, wie jetzt in Mali.

Der 46-jährige Aghali studierte Wirtschaftswissenschaften und saß von 2004 bis 2009 im nigrischen Parlament. Er ist davon überzeugt, dass es in der nigrischen Demokratie möglich ist, auf politischem Weg gegen bestehende Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Dazu hat auch die erste Tuareg-Rebellion beigetragen.

Auf den Plastikstühlen in dem Lehmbau sitzen Frauen, die festlich gekleidet sind. Drei der Anwesenden haben sich besonders in Schale geworfen: die Musikerinnen aus dem Gefolge des Sultans von Agadez tragen Kleider aus glänzendem, dunklem Indigostoff und sind mit Goldschmuck reich behängt. Auch die Männer im Publikum sind traditionell gekleidet, mit langen Gewändern und den Tagelmust der Tuareg. Im Publikum sitzen Vertreter der ehemaligen Rebellen, der Frauen, der meist arbeitslosen Jugend.

Trotz der drückenden Nachmittagshitze sind alle bei der Sache. Rhizza Ag Boula, ehemaliger Tourismusminister und derzeit Berater des nigrischen Präsidenten, schlägt sie mit seiner Rede richtig in Bann.

„Lasst euch von al-Qaida nicht täuschen“, erklärt Ag Boula, „sie mögen euch Geld versprechen, aber am Ende unterwerfen sie euch ihrer Gewalt!“ Vor allem die jüngeren Leute sollten sich vorstellen, was geschehe, wenn auch im Niger allen Dieben eine Hand und ein Bein abgehackt werde. „Wir würden eine Gesellschaft von Behinderten. Wer sollte die alle ernähren?“

Ag Boula ist eine schillernde Figur, er hat selbst an beiden Rebellionen im Niger mitgewirkt. Zum Abschluss seiner kurzen und drastischen Rede lädt er das Publikum ein, sich ohne Tabus mit Fragen und Kritik zu äußern.

„Wir haben nichts“

Ein junger Mann lässt sich das Mikrofon geben und beschreibt, was nach ihm noch viele andere in ähnlichen Worten ausdrücken werden: „Wir haben nichts. Wir leben in einer katastrophalen Situation.“ Die Regierung von Präsident Mahamadou Issoufou kündige seit langem immer wieder an, Arbeit und Beschäftigung zu beschaffen.

„Aber das sind leere Versprechen.“ Niger ist nach der Armutsskala der Vereinten Nationen das ärmste Land der Welt, trotz der reichen Uranvorkommen, die von dem französischen Staatskonzern Areva im Joint Venture mit nigrischen Unternehmen seit vierzig Jahren ausgebeutet werden.

In der Nähe der Stadt Arlit wurden seit 1968 mehr als 100.000 Tonnen Uran abgebaut. Rund um Arlit sollen sich mittlerweile etwa 35 Millionen Tonnen Abraum türmen. Areva und die Partner des Konzerns erklären den Abraum für unbedenklich, Kritiker legen dagegen Messwerte vor, wonach er hoch radioaktiv verseucht ist.

Zurzeit ist Areva dabei, in der Region Agadez nahe dem Dorf Imouraren die zweitgrößte Uranmine der Welt zu erschließen. Für das Projekt seien schon 190 Arbeitskräfte ausgebildet worden, versucht Ag Boula in seiner Funktion als Vertreter des Präsidenten das Publikum zu beschwichtigen. Die Bergbauunternehmen hätten der Regierung versprochen, ihren Beitrag zur sozialen Entwicklung zu leisten und Arbeitsplätze auch für Menschen aus der Region zu schaffen.

Wieder meldet sich einer aus dem Publikum. „Ich habe bei Areva schon vor fünf Jahren so eine Ausbildung gemacht und seitdem nichts mehr von dem Unternehmen gehört.“ Ag Boula bittet um Geduld. Die Regierung selbst werde in der Region Agadez 300 kommunale Polizisten ausbilden, und auch die Armee sei auf der Suche nach Rekruten. Mano Aghali von HED Tamat sagt weitere 290, durch seine Organisation finanzierte Ausbildungsplätze zu.

Armee wirbt um Vertrauen

Den Nachmittag über bleibt die Diskussion hitzig, auch der Vertreter der nigrischen Armee auf dem Podium bekommt sein Fett ab. Trotz Arbeitslosigkeit meiden die jungen Tuareg die Armee, weil die Soldaten während der Tuareg-Aufstände kaum zwischen Zivilisten und Rebellen unterschieden und in den Dörfern Kriegsverbrechen verübt haben. „Auch wir haben unsere Lektion gelernt“, sagt der Oberst auf dem Podium, „viele Soldaten wurden ausgetauscht.“ Er bittet um Vertrauen.

Am Abend sitzt Aghali auf einem Teppich im Sand, über sich den klaren Sternenhimmel des Südens. Er ist mit dem Verlauf der Versammlung zufrieden. „Soweit ich weiß, hat heute zum ersten Mal ein Armeevertreter mit der Bevölkerung gesprochen.“ Das sei eine wichtige Geste. Ebenso die Tatsache, dass der Präsident seinen Berater zu dem Treffen mit den Menschen in die Dörfer entsendet.

Mit der Idee solcher „Friedensforen“ trägt sich Aghali seit langem, aber erst in diesem Jahr bekam HED Tamat von Care Deutschland/Luxemburg und dem Auswärtigen Amt das dafür nötige Geld. Die Versammlungen, die nun in 11 von 15 Gemeinden der Region Agadez stattfinden, bekommen durch die Ereignisse in Mali eine dramatische Aktualität. Es gehen Gerüchte, dass Gruppen wie Ansar Dine ihren Kämpfern im Monat 200 Dollar zahlen. Verlockend in einer Region, in der es kaum Arbeit gibt. Und um so größer der Druck, dagegen etwas zu tun.

Die Frau hat am Nachmittag im Schatten der Lehmmauer geradezu inständig um Arbeitsplätze für die jungen Leute gebeten. „Es gibt bei uns ein altes Sprichwort“, sagt sie. „Wenn der Bart deines Nachbarn Feuer fängt, machst du deinen am besten nass, damit er nicht ebenfalls anfängt zu brennen.“

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