Debatte Peer Steinbrück: Der Mann von gestern
Nicht die Kommunikationspatzer Peer Steinbrücks sind das Problem, es ist seine autoritäre Staatsgläubigkeit. Sie passt nicht mehr zur Partei.
I m Falle Peer Steinbrücks ist derzeit häufig von Kommunikationspannen die Rede. Diese oberflächliche Diagnose geht am Grundproblem vorbei. Allerweltsäußerungen über magere Kanzlergehälter und vertrauenswürdige Weinpreise haben nur dann das Zeug zum Fettnäpfchen, wenn sie zur symbolischen Verdichtung eines latent vorhandenen Missbehagens taugen.
Dieses Missbehagen gründet auf der allzu großen inhaltlichen Differenz zwischen Partei und Kandidat. Das Parteiimage von sozialer Gerechtigkeit und mehr Demokratie kollidiert mit einem Kandidaten, der exekutiv und leistungsorientiert denkt, lebt und einnimmt.
Zu den faszinierenden Absurditäten des Parteienwettstreits gehört die institutionelle Autosuggestion. Zustimmungsraten jenseits der 90 Prozent und eine angemessene Beifallslänge zählen zum Pflichtprogramm. In einer politisierten Gesellschaft verpufft die Wirkung solcher Geschlossenheitsrituale jedoch schnell, insbesondere wenn tiefer abgespeicherte inhaltliche Erwägungen wieder ins Bewusstsein rücken.
Leistung, Leistung, Leistung
Auf dem Nominierungsparteitag der SPD im Dezember warnte Peer Steinbrück vor der ökonomisierten „Marktgesellschaft“. Der Beifall der Delegierten war ihm sicher. Die SPD-Parteitagstauglichkeit der folgenden Aussage darf hingegen bezweifelt werden: „Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistungen für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.“
ist Politikwissenschaftler an der Universität Trier. Zuletzt erschien „Krise und Reform politischer Repräsentation“ (hg. zusammen mit Winfried Thaa), Baden-Baden 2011.
Die Aussage stammt aus einem 2003 erschienenen Gastbeitrag in der Zeit von Steinbrück. Die beiden Steinbrücks stehen für zwei unvereinbare Gerechtigkeitsvorstellungen.
Kommunikativ versucht man die Unterschiede zwischen dem jetzigen, parteigezähmten Kandidaten und seinem angestammten Werteprofil mit dem Bild vom manchmal überziehenden, aber immer Klartext sprechenden Macher zu überdecken. Dass dies nur unzureichend gelingt, ist auf die Kontinuität von Steinbrücks Denken zurückzuführen.
Zu geschlossen und intellektuell gefestigt ist die Politikvorstellung dieses Mannes, der für den gescheiterten Versuch steht, die SPD zur „Marktsozialdemokratie“ (Oliver Nachtwey) zu verwandeln. Der Wählerschaft bleibt das nicht verborgen. Honorare und Aufsichtratstätigkeit sind nur Vergegenwärtigungshilfen, die Steinbrücks leistungszentrierte Positionierung bestätigen. Der nächste „Fehler“ ist vorprogrammiert, wenn ein Politiker ob parteilicher Zwänge nicht nach seiner Fasson handeln und das ökonomische Gemeinwohl zum alleinigen Maßstab erheben kann.
Wutbürger sind ihm ein Graus
Die zweite Maxime der Steinbrück’schen Wertehierarchie ist die Staatsdominanz. Seine Aufregung über unreguliertes Bankengebaren ist deshalb authentisch. Im Umkehrschluss steht er dem gesellschaftlichen Pluralismus und dessen ungezügelter Entfaltung kritisch gegenüber. Das Exekutiv-Technokratische und gesellschaftliche Demokratisierungsbestrebungen liegen bei den Sozialdemokraten traditionell im Clinch. Vor dem Hintergrund der Wutbürgerdebatte mutet der Spagat zwischen Steinbrücks Position und aktuellen Anforderungen an politische Öffentlichkeit jedoch zu gewagt an.
In einem Aufsatz aus dem Jahr 2006 („Lobbyisten in die Produktion“) legitimierte Steinbrück die große Koalition mit ihrer Fähigkeit, gemeinwohlunverträgliche Einzelinteressen zu ignorieren – zugunsten der ökonomischen Leistungsfähigkeit. Was rhetorisch gegen Wirtschaftslobbys gerichtet war, kommt im Ergebnis einer abwehrenden Haltung gegenüber allen Gruppenansprüchen gleich. Dieses gespaltene Verhältnis, dass der Berufsregierende zum gesellschaftlichen Interessenpluralismus einnimmt, verträgt sich schwerlich mit dem wiedererstarkten Anspruch der SPD, Transparenz und Demokratisierung zu fördern. Sigmar Gabriel hat dies 2011 in einem programmatischen Beitrag zum Ausdruck gebracht („Den Fortschritt neu Denken“). Er will mehr Partizipation und mehr soziale Gerechtigkeit – und formuliert damit eine Antithese zu Steinbrück.
Noch hat die SPD nicht verloren
Man mag Steinbrücks Einstellung teilen oder nicht – Fakt ist, dass sich die personelle Positionierung nur unzureichend mit dem aktuellen SPD-Werteimage deckt, welches als Konsequenz aus den Erfahrungen von Agenda, großer Koalition und – nicht zuletzt – eigener Traditionslinie resultiert. Sofern man bei politischen Parteien von einer Strategie sprechen kann, bestand sie bei dieser Kandidatenkür darin, mit einem beliebten Aushängeschild den „Mitte-Wähler“ anzusprechen. Das ist mutig. Der Aderlass bei den Wählern war 2009 zu großen Teilen in einem Spektrum zu verzeichnen, dass sich wegen der defizitären Repräsentation von Gerechtigkeits- und Umverteilungsaspekten nicht mobilisieren lässt.
Dennoch besteht weiterhin die Möglichkeit einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung. Die aufgrund der Fettnäpfchenwahrscheinlichkeit denkbare Gewöhnung an Ausrutscher des Kandidaten oder – möglich ist immer alles – der Austausch der Spitzenfigur könnten dazu beitragen. Entscheidender ist jedoch ein anderer Punkt.
Die zunehmende Personalisierung der Politik wird schon seit den 50er Jahren stetig beklagt. Dass die Parteien an sicheren Stammwählern verlieren, führt aber nicht automatisch zur stärkeren Orientierung an Kandidaten. Politische Images, also politische Wertzuschreibungen an Parteien mitsamt ihrem Personal, sind heute der primäre Bestimmungsgrund des Wahlverhaltens.
Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung von Gerechtigkeitsaspekten kann die SPD, sofern sie diese Werte als Partei glaubhaft vertritt, das Desaster von 2009 jederzeit vermeiden. Mit diesem Kandidaten sollte man dann aber keine exponierte Personalisierungsstrategie verfolgen.
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