piwik no script img

Film „Brownian Movement“Obsessives Verlangen nach Lust

Eine verheiratete Frau holt sich in „Brownian Movement“ Befriedigung bei hässlichen Männern – eine provokante und außergewöhnlich gute Beziehungsgeschichte.

Charlotte (Sandra Hüller) trifft sich in einem eigens gemieteten Zimmer mit ihren Affären. Bild: ZDF/Victor Arnolds

Ein Raum, darin ein großes Bett, darüber eine Kaschmirdecke, darauf eine halbnackte Frau: Charlotte, verheiratet und Mutter eines Sohnes, rafft ihr Negligé, um die Decke an ihrem nackten Unterleib zu spüren. Etwas später wird sie in diesem Raum, auf diesem Bett mit einem fremden Mann schlafen, den sie bei der Arbeit – sie ist Ärztin und Forscherin – als Patienten kennengelernt hat. Er ist dick und extrem behaart. Den dunklen, fleischigen Rücken und die schmale, glatte Blondine hat die niederländische Regisseurin Nanouk Leopold wie ein Stillleben inszeniert, wie eine Musterkollektion aus verschiedenen Körpern.

In Leopolds 2010 entstandenen Film „Brownian Movement“ geht es um das Erfühlen von Oberflächen und gleichzeitig um das Erraten dessen, was darunter lauert. Leopold gibt nur sparsam Informationen über ihre Heldin preis: Charlottes Mann, der Architekt Max, ist hübsch, dunkel und zurückhaltend, als Dozentin wirkt Charlotte gelöst und humorvoll, als Mutter aufmerksam und zufrieden.

Wieso hat sie also dieses Liebesnest angemietet, wieso trifft sie dort einen Patienten nach dem anderen, einer – im landläufigen Sinne – abstoßender als der andere? Nach dem Haarigen kommt ein Glatzenträger mit Pigmentstörungen, danach ein noch Dickerer, dann ein sehr alter, faltiger Mann, den man schwer und rasselnd atmen hört, bevor er sich vor Charlottes geöffnete Beine kniet.

Keine Erklärungen, sondern Konsequenzen

Auch als Charlottes Arrangement auffliegt, weil sie einen ihrer Liebhaber zufällig auf der Baustelle ihres Mannes wiedertrifft, zeigt Leopold keine Erklärungen, sondern Konsequenzen: Charlotte bekommt eine Gesprächstherapie, in der sie lächelnd sagt, dass sie sehr gern mit Max schläft und lieber nicht über die Liebhaber reden möchte, und verliert danach – aufgrund des therapeutischen Gutachtens – ihre ärztliche Zulassung. Die Familie ist im dritten Teil des Films nach Indien gezogen, hat Zwillinge bekommen und versucht einen Neuanfang. Doch für Charlottes Mann scheint die Vertrauensbasis irreparabel zerstört zu sein.

Neben der bis an die Schmerzgrenze gehenden formalen Strenge ihres Films ist es Leopolds große Stärke, mit Charlotte eine sexuell außergewöhnliche und undurchschaubare Frauenfigur erschaffen zu haben. Faszinierte ZuschauerInnen müssen selbst entscheiden oder verstehen, was die Protagonistin zu ihren anscheinend irrationalen Handlungen treibt: Gibt es eine Fetischisierung des allgemein als hässlich Betrachteten? Kann es Frauen geben, die einem solchen Fetisch anhängen? Geht es um Masochismus? Was kann Charlottes Obsessionen vorangegangen sein, sie ausgelöst haben?

Viele Aussagen stecken in den Räumen

Das Drehbuch des Films passt, zumindest was die Dialoge betrifft, auf eine Seite – man sieht der Regisseurin ihre frühere Beschäftigung mit Monumentalkunst und Architektur an, denn viele der Aussagen stecken in den Räumen, die Leopold statisch aufnimmt. Oft stehen die Einstellungen so lange, dass man es gerade noch aushält, und jeden Schnitt begrüßt.

So wird das helle, kleine Zimmer, in dem Charlotte ihre Liebhaber trifft, später im Bild des beeindruckend großen Therapieraums zitiert, und noch später in dem modernen indischen Traumhaus, in dem Charlotte in einer Szene mit ihrem Sohn ein musikalisches Zwiegespräch am Klavier klimpert, das keinen Zweifel an ihrer Zuneigung lässt.

Der auf der Berlinale 2011 uraufgeführte Film, den 3sat im Rahmen einer Erstausstrahlungsreihe namens „Amour fou“ zeigt, trägt Teile seines Motivs im Titel: „Brown’sche Bewegung“ hat der gleichnamige Wissenschaftler einst die wärmeabhängige zufällige Bewegung von Teilchen in Flüssigkeiten und Gasen genannt. Die Wissenschaftlerin Charlotte lässt vielleicht einfach nur ihre Triebe treiben.

„Brownian Movement“: Dienstag, 15. Januar, 22.25 Uhr, 3sat

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

5 Kommentare

 / 
  • T
    Teermaschine

    Hurz!

     

    Warum nur kommt mir bei solchen "Stillleben in (manchmal) bewegten Bildern" immer wahlweise Herr Kerkeling oder die Wirksamkeit einer bitteren Medizin in den Sinn. - Auch Autorenkino muss nicht zwingend weh tun.

  • P
    Pseudotralala

    Enttäuschend. Mir schien, hinter all dem mysteriösen Schweigen und Lächeln der Protagonistin in schier endlos langen Einstellungen verberge sich - nichts.

  • HH
    H-J Hoppe

    Nach gut der Hälfte des Films gab ich es auf, nach seinem Sinn, seiner Geschichte zu fragen. Ja, er ist provokant wegen Fehlens einer Geschichte gekoppelt mit schmerzhaft überdehnten Einstellungen,beides keine Gütesiegel per se.

  • HH
    H-J Hoppe

    Nach gut der Hälfte des Films gab ich es auf, nach seinem Sinn, seiner Geschichte zu fragen. Ja, er ist provokant weil schlecht wegen Fehlens einer Geschichte gekoppelt mit schmerzhaft überdehnten Einstellungen.

  • S
    SuSi

    Softporno !