Konferenz zum Anthropozän: Das Zeitalter des Menschen
Nicht mehr die Natur verändert die Erde, sondern der Mensch. Beim Auftakt des zweijährigen Anthopozän-Projekts gab es viel Kunst – und wenig Politik.
Vor der Kongresshalle im Berliner Tiergarten brutzelt ein riesiger Ochse am Spieß. Den ganzen Tag dreht er sich über offener Flamme zu appetitlicher Bräune, um am Abend von den Teilnehmern einer Konferenz über das „Anthropozän“ verspeist zu werden. Das „Anthropozän“ ist die „Menschenzeit“, die in der Erdgeschichte auf den geologisch letzten Abschnitt des Holozän folgt.
Der Grund für den Begriffswechsel: Inzwischen ist der Mensch, und nicht mehr die Natur, zum wichtigsten Einflussfaktor auf den Planeten geworden. Der Mensch formt die Erde, absichtlich – und vor allem unabsichtlich, eine Deformation.
Zeitgleich zur Anthropozän-Konferenz im Haus der Kulturen der Welt (HKW) haben verschiedene Organisationen wie zum Beleg in Berlin den Fleischatlas vorgestellt: eine schwer verdaubare Bestandsaufnahme, wie der exzessive Fleischkonsum der Industrie- und Schwellenländer die Natur und regionale Ökonomie in weiten Teilen der Welt ruiniert. Im Tiergarten kommen die Rinderstücke ästhetisiert in Form einer Kunstaktion namens „Metabolic Kitchen“ auf den Teller. Bon appétit.
Ein Wochenende lang versuchten Wissenschaftler und Künstler gemeinsam, sich dem neuen Begriff des Anthropozän zu nähern und ihn für ihre Handlungswelten nutzbar zu machen. „Es geht uns mit diesem Projekt um eine Neuordnung segmentierter Wissensformen und die Exploration neuer Formen der Wissensproduktion im Zusammenspiel zwischen Kunst und Wissenschaft“, erklärt HKW-Intendant Bernd Scherer.
Gemeinsam mit zwei Forschungseinrichtungen, dem Max-Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG) in Berlin und dem Deutschen Museum in München, ist es Scherer gelungen, für das auf zwei Jahre angelegte Anthropozän-Projekt aus dem Etat von Bundeskultur-Staatsminister Neumann den imposanten Betrag von 3 Millionen Euro zu ergattern.
Das Ozonloch als Mahnung
„Wir wollen eine neue Forschungsagenda formulieren und fundamentale Begriffe der Wissenschaft aus Sicht des Anthropozäns neu überdenken“, erklärt Jürgen Renn, Leiter des MPIWG. Sein Mainzer Kollege, der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen war es, der vor zehn Jahren den Begriff des Anthropozäns erstmals in die Diskussion einbrachte. Crutzen hatte mit seinen Forschungen zum Ozonloch über der Antarktis ein schlagendes Beispiel vor Augen, wie menschen-gemachte Chemikalien, die FCKW, einen planetarischen Schutzschild in der Atmosphäre durchlöchern können.
Für Renn müssen sich die disziplinären Wissenschaften im neuen Erdzeitalter anders aufstellen, um die globalen Probleme zuerst wahrnehmbar und dann auch lösbar zu machen. „Dazu zählen etwa Fragen wie die rechtliche Probleme des Climate Engineering oder zur Nutzung der internationalen Wasserressourcen bis hin zur Globalisierung des Wissens“, führt der MPI-Historiker als Beispiele an.
Für den Geologen Reinhold Leinfelder von der FU Berlin bedeutet das Anthropozän auch „ein neues Verständnis des Verhältnisses von Natur und Kultur“. Mensch und Natur stünden sich nicht mehr isoliert gegenüber. „Als bio- und geologische Akteure sind die Menschen prägender Teil eines ’Sozio-Ökosystems‘ – eine Wahrnehmung, die eine große Verantwortung mit sich bringt“, erklärt der Wissenschaftler. Zusammen mit dem Rachel Carson Center for Environment and Society an der Ludwig-Maximilians-Universität München bereitet er eine große Anthropozän-Ausstellung vor, die 2014 am Deutschen Museum in München gezeigt wird.
Der Wissenschaftsjournalist Christian Schwägerl, der mit seinem Buch „Menschenzeit“ den Anstoß für die Veranstaltung gab und auch in ihrem Kuratorium sitzt, verweist auf frühe Wurzeln. Schon Alexander von Humboldt habe die Vorstellung von einem „Weltorganismus“ gehabt und erste Überlegungen zu einer „botanischen Geisteswissenschaft“ angestellt. Schwägerl: „Wir treten mit unserm Projekt also in große Fußstapfen.“
Wissenschaft nur als Beiwerk
Der erste Gehversuch hinterließ dann aber doch Druckstellen. Vielfach wurde in der Eröffnungsveranstaltung die Wissenschaft mehr als Beiwerk zu künstlerischen Darbietungen hinzugefügt. Fünf Themen-„Inseln“ – wie „Zeiten“ und „Gärten“ – wollten in „transdisziplinären Landschaften“ die Wechselwirkung von Mensch und Natur erfahrbar machen. Atemübungen verknüpften Philosophie, Medizin und morgendliche Wellness.
Abgehobene Diskurse über die Kulturgeschichte der Apokalypse und politikfreie Foto-Exkursionen nach Fukushima wurden ebenso geboten wie verirrte Ansichten New Yorker Künstlerinnen über die Eignungen von finnischen Gesteinsformationen für einen „nuklearen Garten“ zur Lagerung von Atomabfällen. An der mehrwertigen Kombination von Kultur und Wissenschaft muss im Anthropozän noch heftig gearbeitet werden.
Was besonders auffiel, war die fehlende Schnittstelle zur Umweltpolitik. Eva Quistorp, frühere Grünen-Abgeordnete im Europaparlament, wo sie sich schon in den 80er Jahren erfolgreich für die Steigerung der Forschungsgelder für erneuerbare Energien um 40 Prozent einsetzte, nahm die Berliner Tagung als ein Kreisen um ein „neues Modewort“ wahr.
„Anthropozän ist jetzt das neue Spielzeug für Forschungsprojekte und allerlei Kunstdialoge“, ist ihre Einschätzung. Bei wirklichem Interesse an Veränderung hätten die Umweltgruppen, die sich seit Jahrzehnten gegen die ökologische Ruinierung der Erde stemmen, zur HKW-Veranstaltung prominent eingeladen werden müssen.
„Meine Hauptkritik“, so Quistorp, „ist die dreiste, vollkommen intellektuell und historisch unredliche Behauptung, die Umweltbewegung sei die letzten 40 Jahren nur apokalyptisch an Desaster und Untergang orientiert gewesen.“ Dies stelle eine „ungeheuerliche Denunziation“ dar.
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