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Kommentar Merkel in der TürkeiKleine Münze, schnelles Geschäft

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die Türkei wird von Angela Merkel weiterhin vor den Türen Brüssels gehalten. Um Wähler zu gewinnen, bietet sie Ankara dennoch ein paar Brosamen an.

D ie deutsche Kanzlerin kann in der Türkei keinen Blumentopf gewinnen. Ganz gleich ob sie nun den Begriff „privilegierte Partnerschaft“ vermeidet und stattdessen von „ergebnisoffenen Verhandlungen“ der Türkei mit der EU redet: In Ankara weiß jeder, dass, solange Merkel Kanzlerin ist, eine EU-Mitgliedschaft in allerweitester Ferne bleibt. Der Unterschied zu ihrem Besuch vor drei Jahren ist, dass sich selbst einige hellsichtige CDU-Politiker allmählich fragen, ob das nicht der EU mehr schadet als der Türkei. Merkel selbst ist vor solchen Selbstzweifeln sicher weiterhin gefeit.

So können auch kleine rhetorische Retuschen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei Merkels Türkei-Besuchen nie um den großen Wurf, sondern immer nur um die kleine Münze des schnellen Geschäfts geht. Ein paar Wirtschaftsabschlüsse unter Dach und Fach bringen, ein bisschen über Syrien lamentieren und noch einmal versichern, dass die NSU-Morde „rückhaltlos“ aufgeklärt werden – mehr ist von Merkel nicht zu erwarten. Erdogan will wenigstens pragmatisch etwas herausholen. Er könnte bei seinen Wählern punkten, wenn Merkel einverstanden wäre, die teilweise demütigenden Hürden vor einer Visaerteilung zu senken und mindestens Geschäftsleuten problemlos Reisen nach Deutschland zu ermöglichen.

Der eigentliche Sinn des Besuchs dürfte für Merkel aber sein, ein paar nette Bilder für den bevorstehenden Wahlkampf zu generieren. Wenn es knapp werden sollte, könnten eben auch türkischstämmige Wähler wichtig werden. Sigmar Gabriel kommt deshalb zwei Tage später in die Türkei. Sein Versprechen, die doppelte Staatsbürgerschaft auch für Türken zu ermöglichen, verschafft ihm ohnehin erst einmal einen Sympathievorsprung, den Merkel kaum aufholen kann.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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11 Kommentare

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  • S
    Snoopy

    Meine Stimme hat die Merkel soeben gewonnen. :)

  • A
    Arne

    Merkel will den EU-Beitritt der Türkei verhindern?

    Das ist doch echt eine freundschaftliche Geste. Gegenüber der Türkei! Merkel bewahrt die Türkei vor dem Staatsbankkrott, welcher jedem wirtschaftlich schwachen Staat in der EU bevorsteht, wenn er nicht zu Merkels ehemaligen "Brüderländern" des Warschauer Paktes gehört.

    Oder gibt es in der Türkei keine Sozialsysteme, die Merkel noch ruinieren könnte bei einem EU-Beitritt.

  • RB
    Rainer B.

    Kann mir vielleicht mal jemand erklären, warum Griechenland seinerzeit die Aufnahmekriterien erfüllt haben soll und die Türkei dagegen bis heute nicht?

    Die Türkei ist ein mindestens genauso starkes Land mit ebenso wunderbaren Menschen, die vor Jahren auch noch mehrheitlich an die EU geglaubt haben.

    Heute ist Stimmung in der Türkei hinsichtlich Europa komplett gekippt. Das ist allein das Ergebnis der unsäglichen ideologischen Blockadepolitik der CDU und Konsorten.

    Jetzt, wo es in Europa nicht mehr so gut läuft, will sich Frau Merkel wieder einschleimen und mal sehen, was man in der Türkei noch so holen kann. Ist das peinlich! Mir fällt dazu nur noch der Elefant im Porzellanladen ein.

  • H
    HUGO

    @ vic,

     

    sie wollen bzw. möchten das? finde ich interessant. darf ich fragen wie sie dies begründen?

  • T
    tommy

    @vic

     

    Wieso wollen Sie das (EU-Beitritt der Türkei)? Für Leute wie Sie ist doch schon die CSU faschistisch, haben Sie sich schon einmal damit befasst, was Erdogan so von sich gibt? Sprüche der Sorte "Jede türkische Frau soll drei Kinder haben","Muslime können keine Völkermörder sein", eine bizarre Mischung von Islamismus und Nationalismus ("Alp Arslan ist unser Held"), Kumpelei mit der Hamas, jede Menge Journalisten im Gefängnis - ist das alles links? Oder sind Sie, lieber vic, wie so viele Linke in Ihren Wertungen vielleicht doch etwas inkonsequent? Oder auch einfach nur beschränkt, was den Blick auf die große, weite Welt angeht?

  • V
    vic

    @ ari,

     

    Ich will das. Und Merkel ganz weit weg.

  • B
    Beobachter

    Die Türken sollte in die Shanghai-Kooperation eintreten und nicht länger betteln um in die bankrotte EU eingelassen zu werden.

  • S
    steffen

    @von Behmet:

    Was soll die Unkerei?

    Die EU und Doischeland werden und sollen ruhig vergreisen und von hässlichen Genealogen wie Sarrazin "gerettet" werden.

     

    Und trotzdem würden sie sich lieber ein Bein abhacken als in die Türkei ihrer Heimat das Land ihres Führers umzusiedeln.

    Diese inkonsequenz werde ich nie im Leben verstehen.

     

    P.S. Wie kann Doitschland(wie sie es nennen) vergreisen wenn wir doch das Land mit dem höchsten Einwandererplus(+340.000 2012) in Europa sind.

    Machen sie sich mal schlau, die Türkei vergreist höchst selbst nur später, denn auch hier liegt die Fertilitätsrate unter 2,1 zumal die Türkei keine großen Einwanderungsströme(da nicht gewollt)hat.

    ;0)

  • N
    Nathan

    Genau - Wahlkampf: Türkei, Homo Aobtion, Mindestlohn. Die Liste ist lang. Wie schmierig das Ganze. Politisch(e) Klasse? Eher ätzend!

  • WA
    Wichtiges Argument

    "In Ankara weiß jeder, dass, solange Merkel Kanzlerin ist, eine EU-Mitgliedschaft in allerweitester Ferne bleibt."

     

    Man muss Merkel nicht mögen, aber das ist ein ganz wichtiger Grund, warum sie Kanzlerin bleiben muss. Bedauerlich, aber die Alternativen gruseln.

  • A
    ari

    Ich kenne niemanden, der die Türkei in der EU haben will.

    Öffentliche und veröffentlichte Meinung gehen immer weiter auseinander...