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AktionSylvester bleibt oben

Autobahngegner protestieren in Berlin gegen das Fällen von Bäumen für den Bau der Autobahn A 100 – um 7 Uhr früh.

Protest gegen die A 100. Bild: DPA

Um kurz nach sieben schlüpft Sylvester an diesem Dienstagmorgen aus seinem Schlafsack, lugt aus der grünen Plane und seilt sich ab. Runter von der Pappel, hin zu 30 Gleichgesinnten – Autobahngegnern wie er selbst, der Baumbesetzer von „Robin Wood“.

Seit Anfang Januar hält Sylvester, wie sich der Endvierziger aus Friedrichshagen nennt, mit einem Dutzend Mitstreitern eine Pappel an der Neuköllnischen Allee besetzt. In einem Zelt, oben in der Krone. Seit ein paar Wochen nur noch gelegentlich, die letzte Nacht durchgängig. Die Pappel soll weg, für den Weiterbau der A 100. Und die Betonfeinde vermuteten: Schon gestern sollte sie fallen, sowie 50 weitere Bäume, mit einem gelb „X“ markiert. Wiesen darauf doch Parkverbotsschilder hin: für Dienstag, 7 Uhr.

Punkt sieben stellen sich dann erst mal die Gegner im Schneegeriesel vor die Pappel und halten fröstelnd blaue Schilder hoch, die stilisierte A 100 durchgestrichen. Protestorganisator Tobias Trommer, ein Posaunist, die Mütze weiß vor Schnee, schimpft über die Fällpläne: „Ein horrender Eingriff in die Stadtnatur.“ Illegal obendrein, dürfe doch nur bis Ende Februar gefällt werden, wegen des Vogelschutzes. Der Grüne Harald Moritz, seit 20 Jahren A-100-Kritiker, fordert eine „S-Bahn und Radwege, die funktionieren, keine sinnlose Autobahn“. Dann spielt Karl, ein Lehrer, mit kälteroten Fingern Gitarre – Beethovens „An die Freude“. Die Gegner singen darüber: „Feinstaub? Lärm? Wir sagen: nein!“ Dahinter wird sich an einer Feuertonne gewärmt.

Bekannte Protestbilder – nur nicht um sieben Uhr morgens.

Der Widerstand wird zum Fulltime-Job. Samstagnachmittag mal zur Demo? Reicht nicht mehr. Nachts wird mit Flüchtlingen vorm Brandenburger Tor übernachtet, frühmorgens die Zwangsräumung blockiert, monatelang in einer Protesthütte am Kotti verharrt. Oder in der Pappel. Job und Alltag werden flexibel – die Revolte auch.

Nur: Der Gegner lernt. Die Bundesregierung lud die Flüchtlinge ein und scherte sich danach nicht weiter. Die Zwangsräumerin kam noch früher als die Blockierer. Und auch am Dienstag sind keine Sägearbeiter zu sehen. „Da kommt auch keiner“, sagt einer der beiden Polizisten, die entspannt die Demo beobachten, Hände in den Jackentaschen.

Wenig später verneint auch Petra Rohland Fällabsichten. Die Parkverbotsschilder, erklärt die Sprecherin von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD), seien für Wasseranschlussarbeiten aufgestellt worden. Alle für die A 100 zu fällenden Bäume seien vorerst gefällt, so Rohland. Wie viele, sagt sie nicht. Protestler Trommer zählt 447 zerhäckselte Bäume. Außerdem sei letzte Woche ein Kranwagen vor der besetzten Pappel angerückt, das Fällen in letzter Minute verhindert worden. Man werde die übrigen Bäume nicht mehr aus den Augen lassen.

Ob das den Autobahnbau noch verhindert? Juristisch ist alles verloren, der Senat pocht auf die A 100. Noch ein Großprojekt in den Sand setzen geht nicht. Im Sommer soll der erste Spatenstich sein für den 3,2 Kilometer langen Weiterbau von Neukölln nach Treptow, 460 Millionen Euro teuer. „Der Protest wird nicht nachlassen“, sagt Trommer. Die Widerständler werden flexibel bleiben müssen. Und noch sitzt Sylvester in der Pappel.

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7 Kommentare

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  • R
    R@lf

    "Sylvester bleibt oben." Ja, jedenfalls weit über dem Niveau erbärmlicher Kommentare, die ich hier auf einer TAZ-site nie vermutet hätte. Diese als "BLIND-Zeitungs-Niveau" zu benennen wäre echt noch geschmeichelt.

    Zufällig kenne ich Sylvester seit vielen Jahren und kann dem "Früharbeiter" versichern, dass er ein ziemliches Problem hätte zu beweisen, mehr zu arbeiten als jener. Das selbe gilt für viele andere Menschen, die sich in dieser Stadt um Stadtnatur und Stadtpolitik kümmern, während die Beteiligung der grossen meckernden Masse der Bevölkerung an den Dingen, die sie anginge, mehr als kümmerlich ist - ich spreche da aus Erfahrung.

    In dieser Stadt ist die Ignoranz schon immer größer gewesen als die vorgeblich stattgefundene Deko-"Bürgerbeteiligung", davon können beteiligte Bürger_innen ein Liedchen singen.

    Die A 100 wird im übrigen nur das nächste Grossprojekt sein, das - im Falle des gewaltsamen kontraproduktiven Bauens - wieder mit Trara in den märkischen Sand gesetzt wird und dann statt knapp 500 Millionen nur noch zwei Milliarden++ kosten wird... uns Steuerzahler_innen.

    Pflanzt lieber 500.000 Bäume! Die hat Berlin nötiger. Und billiger ist es obendrein. Gesünder sowieso.

  • S
    sara

    @ Grüne Ausbeuter

     

    Sie haben da was nicht mitgekriegt:

     

    Es sind nicht Abgeordnete der Partei B 90/DIE GRÜNEN, die auf Bäume klettern, um sie zu retten.

     

    Heutzutage müssen die Berlinerinnen und Berliner unnötige Baumfällungen nicht nur gegen den rot-schwarzen Senat verhindern, sondern auch gegen die PolitikerInnen der Grünen, die in einigen Bezirken mitregieren. In Friedr.-Kreuzberg dominieren die Grünen sogar und sie machen dort überhaupt keine umweltreundliche Politik. Im Gegenteil.

     

    Außerdem ist es Quatsch zu behaupten die BaumretterInnen würden auf Ihre persönlichen Kosten leben, weil sie angeblich nicht arbeiten würden. Beweisen Sie das mal.

     

    Sie sollten außerdem lieber dankbar sein, dass diese Leute sich unbezahlt und unter hohem persönlichen Zeitopfer für den Erhalt der Stadtnatur einsetzen.

  • TL
    Tim Leuther

    lol. Wenn es illegal wäre, dann sollten die die schuld sind das die Bäume noch nicht gefällt werden konnten bis November in den Knast.

     

    Schon lächerlich wie er Argumentiert, mit einer Situation die er selbst herbeigeführt hat. Ganz abgesehen davon das der sich die Paragraphen sicher zurechtdreht wie er möchte. Aber wenn Vögel sterben, dann hat er die umgebracht. Nicht der der den Baum fällt.

     

    Ach ja: Es gab umfragen das die Mehheit der Berliner für die A100 sind. Und auch haben Sie Parteien die Mehrheit gegeben die dafür sind.

     

    Aber es gibt ja immer Menschen die sich Über dem Souverän sehen und auf Bäume klettern. In einem Volksentscheid hätten die A100 Gegner Null Chancen. Das sind einfach Menschen die sich über das Recht, die Legislative und den Souverän stellen.

     

    Vom Baum Runter holen, den Runterhol-Einsatz in Rechnung stellen und bei Nichtbezahlen absitzen lassen!

  • U
    Ute

    @Kommentar von "Grüne Ausbeuter": Es gibt auch Menschen, die zeitlich flexibel sind wegen Studierens oder Selbstständigkeit. Das Holzhammerargument "die leben auf meine Kosten" ist armselig, und dass der Kommentar trotz der Forderung nach Knüppeln freigeschaltet wurde, erstaunlich.

  • GA
    Grüne Ausbeuter

    Was sind das für Typen, die zwar fit genug sind sich abzuseilen, hochzuseilen und für sonstige sportliche Übungen, die geistig angeblich unschlagbar fit und mit endlosem Wissen gesegnet sind aber statt arbeiten lieber Bäume bewohnen? Ich arbeite um 7. Davon nimmt man mir Geld weg und das nicht knapp und bezahlt die Baumbewohner. Das sei nämlich "sozial". Ich finde Knüppel und Kettensäge wären hier viel sozialer. Das ewige Rumgeheule der Grünen hat sich bisher schon immer als Blödsinn herausgestellt. Es ist Bessermenschenselbstbeschäftigungsadventureurlaub. Der Wald ist nicht gestorben, der Frankfurter Flughafen hat Flora und Fauna nicht vernichtet, es ist weder die neue Eiszeit vor der man bis in die 80er warnte noch die Sahara vor der Tür. Das macht auch gar nichts. Denn auch wenn wir in Höhlen wohnen, außer der Zentralrat der Grünen natürlich, wird es manche geben die lieber verbieten statt arbeiten. Die wird dann die taz feiern.

  • E
    eva

    Betonfeinde? Nein.

    Wir sind nicht per se gegen jeden Beton, gegen jede Autobahn. Nur gegen diese!

    Nicht nur weil sie - wie in meinem Fall - 80m hinter unserem Haus in erhöhter Lage und ohne Lärmschutzwand vorbeiführen wird.

    Sondern weil sie ein Projekt ist, das einer Städteplanung der 40er Jahre angehört und nicht zukunftsfähig ist. Der "Restring", der am Treptower Park enden wird, wird nichts als Dauerstau erzeugen und neuen Verkehr an bereits jetzt verstopfte Knotenpunkte führen (wie die Elsenbrücke, Puschkinallee, Schlesische Str.). Mit der A100 wären es statt 60.000 täglich 90.000 Kfz - der Dauerstau ist vorprogrammiert!

    Aber davon will der Senat nichts hören udn schwafelt weiter von Entlastung. Doch die vom ihm genannten "Entlastungszahlen" dagegen waren auch dem Leipziger Gericht unglaubwürdig.

    Auch gibt es keine gültige Umweltverträglichkeitsprüfung, ohne die ein solches Projekt eigentlich nicht erlaubt ist. Aber über solche Feinheiten setzt sich ein Herr Wowereit, der sein politisches Schicksal an die A100-Verlängerung geknüpft hat, locker weg.

    Berlin hat pro Haushalt weniger PKW als jede andere Stadt, Tendenz weiter sinkend. Es wäre sinnvoller, Geld in den ÖPNV, in Stadtstraßen, Schulen und Kitas zu stecken. Dort liegt nämlich unsere Zukunft, nicht in einem veralteten Planungsrelikt aus den brauen 40er Jahren. Denn allein das Land Berlin zahlt für diesen Unsinn 30-40 Millionen Euro! Aber Herr Wowereit ist eben von gestern.

  • EK
    E. K.

    Vielen Dank, den unermüdlichen Baumschützerinnen und Baumschützern !

     

    In der ganzen Stadt werden dauernd wertvolle Bäume gefällt: Im Ottopark in Tiergarten. Wegen der unzeitgemäßen A 100, die wir nicht brauchen und die mit fast 500 Mio. Euro viel zu teuer ist.

     

    Und am Landwehrkanal von den "Grünen" in Friedr.-Kreuzberg.

     

    Bis wieder so große Bäume da sind, die ähnlich viel klimaschädliches CO2 aufnehmen, dauert es jahrzehnte!

     

    Berlin hat aber überhöhte gesundheitsschädliche Feinstaubwerte und viel zu hohe Stickoxydwerte, die Asthma u.ä. Krankheiten verursachen können.

     

    Wegen der zu hohen Luftverschmutzung muss Berlin laut der EU demnächst Strafgeld zahlen. Aber dem Senat ist das ebenso egal wie die Gesundheit der berlinerinnen und Berliner.

     

    Hauptsache, die Amigo-Baulobby kann weiter massenhaft Steuergelder abkassieren.